Arte-Doku von Rosa von Praunheim

Auf der Suche nach der Operntunte

06:12 Minuten
Tobias Bonn (li.) und Christoph Marti (re.) auf der Bühne der Komischen Oper Berlin
"Die Geschwister Pfister" auf der Bühne der Komischen Oper Berlin. Kein Opernhaus sei schwuler, heißt es. © ZDF / Arte / Lorenz Haarmann
Von Gerd Brendel · 17.04.2020
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Schwule Männer lieben die Oper: Ist das ein Klischee? Oder verbirgt sich mehr hinter dem Stereotyp? In dem Arte-Film "Operndiven – Operntunten" begeben sich Markus Tiarks und Rosa von Praunheim auf die Suche nach dem Phänomen.
In der Oper, auf der Oper: Operndiven. Vor der Bühne: Operntunten. Darum geht es dem aktuellen Dokumentarfilm von Rosa von Praunheim: Er selbst vielleicht eine Regie-Diva, aber ganz bestimmt keine Operntunte. "Ich bin ja kein Musikliebhaber", sagt von Praunheim über sich. Trotzdem: "Warum Schwule mit so ungeheurer Leidenschaft, fast fanatisch die Oper lieben, das fand ich ein sehr, sehr interessantes Phänomen."

Der Filmemacher lässt sich das in seinem Film "Operndiven – Operntunten" von genau diesen beiden erklären lässt. Einst gefeierte Sängerinnen wie Edda Moser kommen zu Wort, aber auch schwule Männer, die ihre Opernliebe zum Beruf gemacht haben – wie der Intendant der komischen Oper Berlin Barrie Kosky oder der New Yorker Essayist Wayne Koestenbaum, der in den 90ern das Standardwerk zum Thema verfasste: "The Queen’s Throat", in Deutsch erschienen unter "Die Königin der Nacht".

Aida und Tosca bezahlen für ihre Leidenschaft mit dem Tod

"Diese Qualität emotionaler Übertreibung, die die Diva ausmacht, schlägt eine Saite in der Seele schwuler Männer an, die ihre emotionalen Bindungen als von der Norm abweichend oder gar als illegal erlebt haben", sagt Koestenbaum im Skype-Interview mit dem Autor dieses Beitrags und so ähnlich auch im Film.
Madame Butterfly, Aida, Tosca: Sie alle lieben außerhalb der Konvention und bezahlen ihre Leidenschaft mit dem Tod. Mit ihren Geschichten konnten sich Schwule lange vor Stonewall und der Legalisierung von Homosexualität identifizieren.
"Und was ist mit Wagner?", fragt Barrie Kosky im Film. Wayne Koestenbaums Erklärung fehlt leider im Film. "Bei Wagners Musik ist nicht klar, wohin es geht. Seine Musik ist uneindeutig. Der berühmte Tristan und Isolde Akkord zum Beispiel. Er wird nicht aufgelöst, bleibt in der Schwebe. Diese Verweigerung der Auflösung wurde mit Perversion, Geschlechteruneindeutigkeit, exzessiver Erotik übersetzt."
Porträt vom Filmemacher Axel Ranisch
Axel Ranisch im Gespräch mit Rosa von Praunheim. Er ist Filmemacher und Opernregisseur und bezeichnet sich selbst als Opernnerd.© ZDF / Arte / Lorenz Haarmann
Nur was geschieht, wenn Homosexuelle nicht mehr Strafverfolgung und soziale Ächtung befürchten müssen? Die großen Diven der Opernbühne scheinen genauso der Vergangenheit anzugehören, wie die Operntunten, wie eine ganze schwule Subkultur, mit Türklingeln an Bars und geheimen Treffpunkten. Auch davon erzählt Rosa von Praunheim in seinem Film, wenn der Musikwissenschaftler Kevin Clarke nicht von den Dramen auf der Bühne in Bayreuth schwärmt.

In jedem steckt ein bisschen Diva

"Wir sind ja hier im Park vor dem Grünen Hügel... Dafür war der Berg legendär. Es gab hier auch eine öffentliche Toilette. Die wurde die Siegfried-Wagner-Gedächtnisklappe genannt." Die Klappen haben Dating-Apps ersetzt und im uneindeutigen Tristan-Akkord können sich heute vermutlich nicht nur homosexuelle Männer erkennen. Wer weiß, vielleicht wird es Zeit, sich auf die Suche nach der heterosexuellen Operntunte zu machen.
Schwule haben es vielleicht durch ihre Geschichte leichter, in Tosca oder Isolde Leidensgeschwister zu entdecken, aber steckt ein bisschen Diva nicht in jedem und jeder? In Rosa von Praunheims Film bringt es die Wagner-Interpretin Nadine Secunde auf den Punkt: "Mir haben das meine schwulen Freunde so erklärt: In der Oper wird Leiden in Schönheit verwandelt." Und am Ende gibt es Applaus für alle - für die Toscas auf der Bühne und für alle ihre Fans im Publikum, die mit Schönheit die kleinen und großen Schmerzen im Alltag ertragen.

Erstausstrahlung auf Arte
Sonntag, 19. April 2020 um 23.05 Uhr (53 Min.) oder bereits ab 18. April in der Mediathek.

Weitere Sendetermine: Sonntag, 19. April 2020 um 23.05 Uhr; Donnerstag, 23. April 2020 um 05.00 Uhr; Montag, 27. April 2020 um 01.25 Uhr

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