Armida Quartett beim Festspielherbst Rügen

Intime Briefe aus Putbus

Leoš Janáček sitzt auf einer nachkolorierten Fotografie an einem Tisch und hat ein Buch aufgeschlagen.
Leoš Janáček war noch in reifen Jahren schrecklich verliebt. © IMAGO/Leemage
Moderation: Volker Michael · 24.10.2021
Als Leoš Janáček sein Streichquartett "Intime Briefe" komponierte, ließ er seinen Gefühlen zu einer jungen Frau freien Lauf. Diese Musik und die vom väterlichen Förderer Antonín Dvořák setzte das Armida Quartett an den Beginn des Festspielherbstes Rügen.
Der Festspielherbst Rügen ist normalerweise ein Frühling, nur ausnahmsweise fand er 2021 im Herbst statt. Die federführenden Festspiele Mecklenburg-Vorpommern wollten damit das Programm des Jahrgangs retten. Das Berliner Armida Quartett hatte sich für die Vernissage des Rügener Festspielherbstes einen Gast eingeladen – den Pianisten Kit Armstrong. Er verstärkt das Streichquartett in Antonín Dvořáks zweitem Klavierquintett in A-Dur op. 81.
Der gesamte Abend im Putbuser Marstall war tschechisch geprägt – dem mährischen Teil unseres Nachbarlandes repräsentiert wie kein anderer Leoš Janáček mit seiner unverwechselbaren Musik. Dazu gehören auch seine beiden Streichquartette.

Quartette ohne Skrupel komponiert

Sehr spät begann Leoš Janáček, sich noch einmal mit der Gattung Streichquartett zu befassen. Ein Werk aus seiner Studienzeit in Leipzig und Wien ist verschollen. Danach hat er sich selten um die klassischen Gattungen geschert. Als spät in die Öffentlichkeit tretender Künstler musste sich Janáček nie mit der Frage beschäftigen, ob er in der Nachfolge Mozarts oder Beethovens der Gattung noch etwas beizutragen habe.
Ein Auftrag des damals berühmten Tschechischen Streichquartetts erreichte Janáček im Jahr 1923. Erstaunlich leicht fiel dem schon 69 Jahre alten Künstler dann das Schreiben in der Königsgattung der Kammermusik.

Kriminaloper im Kammerformat

Das erste Streichquartett basiert auf einer literarischen Vorlage, der Novelle Leo Tolstois "Die Kreutzersonate". Der Titel spielt auf eine gleichnamige Violinsonate Beethovens an. Sie spielt eine wichtige Rolle in der Novelle, nicht aber in Janáčeks Streichquartett.
Hier ist eher die Handlung von Tolstois Novelle ein Gerüst. Ein moralischer Konflikt und ein Kriminalfall werden nicht direkt beschrieben, aber in allen emotionalen Facetten nacherlebt. Aus Überdruss und eingebildeter Eifersucht misshandelt und ermordet ein Mann seine Gattin. Das Verhängnis kündigt sich schon im Tonfall vom ersten Takt an.

Intime Briefe eines 72 Jahre alten Liebhabers

Das zweite Streichquartett von Janáček trägt den Titel "Intime Briefe" und ist ein sehr spätes Liebesgeständnis des Komponisten zu der deutlich jüngeren Kamila Stösslova. Sie war ihm viele Jahre eine platonische Geliebte und eine Muse, der er 700 Briefe oft mit schwelgerischem Ton sandte. Verheiratet waren beide jeweils mit anderen Partnern.
Dieses zweite Streichquartett entstand ohne Auftrag und wurde auch erst nach Janáčeks plötzlichem Tod öffentlich uraufgeführt.

Eine siebensaitige Liebesbratsche

Eigentlich sollte eine Viola d’amore im Quartett Platz finden, nicht nur wegen ihres Namens. Janáček liebte den warmen facettenreichen Klang dieser siebensaitigen Bratsche. Doch das historische Instrument besteht volumenmäßig nicht im modernen Streichquartett, deshalb hat sich diese Formation nicht durchgesetzt. "Meine Gefühle werfe ich nicht Dummköpfen vor die Füße..." sagte Janáček über sein Quartett "Intime Briefe". Trotzdem liegen hier alle Gefühle und Gedanken verletzlich offen.
Die Vier vom Armida Quartett sitzen bei einem Konzert vor einer Fensterfront, die ungewöhnlich viele Glühlampen reflektiert.
Das Berliner Armida Quartett hat dieses Jahr das Festivalprogramm gestaltet.© Felix Broede
Beide Werke hintereinander innerhalb eines Konzerts zu spielen, ist eher ungewöhnlich. Es verlangt den Interpreten wie Zuhörerinnen viel ab. Martin Funda und Johanna Staemmler vom Armida Quartett sind dennoch überzeugt, dass es funktioniert, weil die Musik so packend, vielfältig und verständlich ist.

Väterlicher Freund Dvořák

Antonín Dvořák war väterlicher Freund Janáčeks und in gewisser Weise auch Förderer seiner Musik, auch wenn ihre Kunst klanglich deutliche Unterschiede aufweist. Das Klavierquintett A-Dur op. 81 zeigt das besonders: auch Dvořák sieht die tschechisch-slawische Volksmusik als Basis seiner Eingebungen. Doch er würde nie die klassisch-romantischen Strukturen und ihre Melodik und Harmonik in Frage stellen. Seine Musik kommt vom Gesang, während Janáček sich stärker an die Rhythmen der gesprochenen, tschechischen Sprache anlehnt.
Festspielherbst Rügen
Aufzeichnung vom 15. Oktober 2021 im Marstall Putbus
Leoš Janáček
Streichquartett Nr. 1 "Kreutzersonate"
Streichquartett Nr. 2 "Intime Briefe"
Antonín Dvořák
Klavierquintett Nr. 2 A-Dur op. 81

Kit Armstrong, Klavier
Armida Quartett:
Martin Funda, Violine
Johanna Staemmler, Violine
Teresa Schwamm-Biskamp, Viola
Peter-Philipp Staemmler, Violoncello

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