Armenien unter Beschuss

Ein Autokrat wittert Morgenluft

23:25 Minuten
Ein Mann zeigt auf eine durch Grananten beschädigte Wand in der armenischen Stadt Jermuk am 15. September 2022
Eine durch Grananten beschädigte Wand in der armenischen Stadt Jermuk: Aserbaidschan hält sich nicht an den Waffenstillstand von 2020 und greift Armenien weiter an. © IMAGO / ITAR-TASS / Alexander Patrin
Von Anastasia Gorokhova · 20.09.2022
Audio herunterladen
Im Schatten des Krieges gegen die Ukraine bombardiert der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew das Nachbarland Armenien, um seine Macht auszubauen. Der internationale Protest bleibt verhalten. Denn die EU braucht Gas aus Aserbaidschan.
Aserbaidschan und Armenien sind seit 30 Jahren wegen des Streits um die Region Berg-Karabach verfeindet. Ilham Alijew - seit 2003 im Amt, das er von seinem Vater geerbt hat - bezeichnet Armenien als „altes aserbaidschanisches und türkisches Gebiet“ und erhebt Ansprüche darauf. Diese werden immer wieder mit Gewalt reklamiert, wobei Aserbaidschan derzeit gute Chance sieht, sich durchzusetzen.
Der aserbaidschanische Präsident schreckt nicht davor zurück, sein Nachbarland zu überfallen. In der vergangenen Woche gab es über 200 Tote und zahlreiche Verletzte nach Bombenangriffen und Kampfhandlungen. Unsere Autorin verbrachte die Nächte im Keller eines Hotels und schildert eindrücklich, was sie erlebt hat.

Russische Friedenstruppen in der Region

Den letzten Krieg im Oktober 2020 hat Aserbaidschan für sich entschieden. Armenien blieb nichts anders übrig, als Zugeständnisse zu machen angesichts der drohenden Gefahr einer lang anhaltenden, militärischen Auseinandersetzung. Nachdem ein Waffenstillstand geschlossen wurde, sollten russische Friedenstruppen in der Region Berg-Karabach weitere Kampfhandlungen verhindern.
Kämpfe in der von Armenien und Aserbaidschan umstrittenen Region Berg-Karabach im Oktober 2020
Den letzten Krieg in der umkämpften Region Berg-Karabach im Oktober 2020 hatte Aserbaidschan für sich entschieden.© IMAGO / ITAR-TASS / Vakhram Bagdasaryan
Aber Aserbaidschan hält sich nicht an den Waffensillstand und greift Armenien weiter an. Und Russland und seine Friedenstruppen sehen zu. Der aserbaidschanische Präsident, bisher vor allem durch Korruption und Vetternwirtschaft aufgefallen, sieht sich im Aufwind. Die internationale Kritik an der aggressiven Politik des autoritären Regimes ist verhalten. Vor Sanktionen oder dem Einfrieren von Geldern braucht sich Aserbaidschan derzeit nicht zu fürchten.
Das liegt vor allem an Russlands Krieg gegen die Ukraine. Die EU möchte mehr Gas aus Aserbaidschan und hat das Land als zuverlässigen Partner eingestuft. Andere Werte der EU, wie Demokratie und Menschenrechte, geraten angesichts der Energiekrise in den Hintergrund.

Russland eigentlich Verbündeter Armeniens

Russland ist eigentlich Verbündeter von Armenien, konzentriert sich derzeit aber voll und ganz auf den Krieg gegen die Ukraine. Russland ist momentan nicht interessiert daran, sich im Kaukasus mehr als bisher zu engagieren. Nicht einmal die jüngsten Bombardements aus Aserbaidschan riefen in Russland mehr als eine diplomatische Protestnote hervor. Dabei sollen russische Soldaten seit Ende des Krieges 2020 verhindern, dass der Waffenstillstand gebrochen wird.
Der türkische Präsident Erdogan und der aserbaidschanische Präsident 
Alijew bei einem Treffen 2022.
Die Türkei unterstützt in dem Konflikt um Berg-Karabach Aserbaidschan mit dem Ziel, das Einflussgebiet der Türkei im Kaukasus auszubauen.© picture alliance / AA / Turkish Presidency / Murat Cetinmuhurdar / Handout
Eine wichtige Rolle in der Region spielt die Türkei. Sie unterstützt in dem Konflikt um Berg-Karabach Aserbaidschan mit dem Ziel, das Einflussgebiet der Türkei im Kaukasus auszubauen. Gleichzeitig ist die Türkei aber auch in einer Vermittlerrolle in Russlands Krieg gegen die Ukraine. Erdogan hat sich nie direkt gegen Putin positioniert, sondern sich als Gesprächspartner angeboten, durchaus mit Erfolg: Nach langen Streitereien werden nun die Getreidelieferungen aus der Ukraine in der Türkei geprüft und abgewickelt.
Es ist unwahrscheinlich, dass es sich Putin mit der Türkei und Erdogan verscherzen möchte, nur um dem vergleichsweise unbedeutenden Armenien unter die Arme zu greifen. Russland ist auf die Türkei angewiesen, wenn es darum geht, die diplomatische und wirtschaftliche Isolation vom Westen zu durchbrechen.
Insofern ist es nicht überraschend, dass sich die Menschen in Armenien allein gelassen fühlen. Der Krieg, dem sie ausgesetzt sind, interessiert die Welt wenig.

Krieg gegen die Ukraine auch in Armenien präsent

Der Krieg gegen die Ukraine ist auch in Armenien ständig präsent, wenn auch aus besonderen Gründen: Immer mehr Russen kommen in das befreundete Land, wo es keine Visumspflicht gibt und Russisch gesprochen wird. Sie verlassen die Heimat, weil sie mit dem Angriffskrieg nicht einverstanden sind und Putins Propaganda und die repressive Politik nicht weiter ertragen wollen.
So wird in Armenien über zwei Kriege diskutiert, wobei der zweite, der scheinbar unbedeutende, mit den Bomben aus Aserbaidschan allen gefährlich nahe kommt – auch den Russen im Exil.

Abonnieren Sie unseren Hörspiel-und-Feature-Newsletter!

Wöchentlich erhalten Sie mit diesem Newsletter Informationen zu den wichtigsten Hörspielen, Features und anderen Hörstücken unserer Sender.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
Mehr zum Thema