Arm trotz Arbeit - Brauchen wir einen gesetzlichen Mindestlohn?

5,80 Euro für den Sicherheitscheck am Flughafen, 2,30 Euro für die Reinigung eines Hotelzimmers, 3,42 für den Bäckereifachverkäufer … Rund 3,6 Millionen Menschen arbeiten nach Berechnungen des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarktforschung im Niedriglohnbereich. Pro Stunde verdienen sie weniger als zwei Drittel des Brutto-Durchschnittlohns. Er liegt im Westen Deutschlands bei 10,22 Euro, im Osten bei 7,36 Euro.
Zahlen wie diese heizen die Debatte um einen gesetzlichen Mindestlohn kräftig an.
Trotz mehrfachen Anlaufs ringt die Große Koalition nach wie vor um eine Lösung. "Zu menschenwürdiger Arbeit gehören existenzsichernde Löhne", fordert Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD). "Der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns wird die CDU nicht zustimmen", stellt dagegen CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla klar. Und so vertagte sich die zuständige koalitionäre Arbeitsgruppe Ende April erneut, ohne ein Ergebnis erzielt zu haben. Das Problem indes bleibt.

"Von vier Euro Grundlohn kann kein Mensch leben, geschweige denn Miete bezahlen oder Kinder ernähren. Das werden auch CDU/CSU-Politiker nicht bestreiten", sagt Margret Mönig-Raane. Die stellvertretende Vorsitzende der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di tritt – wie auch andere Gewerkschaftsvertreter – für einen Mindeststundenlohn von 7,50 Euro ein.

In der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur plädierte sie für ein gestuftes System:
"Einmal brauchen wir den gesetzlichen Mindestlohn, der prinzipiell für alle Branchen gilt und wo es heißt, in Deutschland kann niemand schlechter bezahlt werden als mit 7,50 Euro, niemand. Und darüber hinaus brauchen wir aber auch Schutz vor Lohn-Dumping, den wir jetzt überall erleben, ob das Telekom ist, ob das Quelle ist. Und das sind ja nicht irgendwelche Schmuddelfirmen, kann man ja nicht sagen. Die versuchen, wirklich ganz brutale Lohndrückerei zu machen. Und darum ist es für diese Branchen auch wichtig, eine Grenze nach unten zu haben, dass man Lohn und Einkommen hat, von dem man leben kann, wenn man Vollzeit arbeitet."

Die wie ein Mantra immer wieder vorgetragene Warnung vor dem Verlust von Arbeitsplätzen sei eine reine Angstpropaganda. In allen westeuropäischen Nachbarländern gebe es Mindestlöhne. Ob in Luxemburg oder Großbritannien, Frankreich oder den Niederlanden, nirgendwo ließen sich durch die Einführung negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt beobachten.

Dem widerspricht der Arbeitsmarktforscher Hagen Lesch. Der Experte für Lohn- und Tarifpolitik beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft in Köln warnt, den Mindestlohn als Allheilmittel des Niedriglohnsektors zu sehen:

"Die Einführung eines Mindestlohns führt zu drei Problemen:
Er verhindert, dass gerade bei den niedrig Qualifizierten Arbeitsplätze geschaffen werden. Zweitens fördert er die Schwarzarbeit und drittens verpuffen die Wirkungen des Mindestlohns, weil er nicht zielgerichtet ist. Er ist eben kein Instrument, um die Haushaltsarmut zu begrenzen, weil er ja nur individuell gezahlt wird. Damit erreichen Sie bei einem Haushalt mit zwei bis drei Kindern nichts."

Ein Mindestlohn von 7,50 Euro je Stunde werde zudem bei etwa 3,9 Millionen abhängig Beschäftigten Lohnanhebungen notwendig machen, das seien rund zwölf Prozent aller Arbeitnehmer. Insbesondere in Ostdeutschland werde diese Erhöhung zu einem Fiasko führen.

"Arm trotz Arbeit – Brauchen wir einen gesetzlichen Mindestlohn?" – darüber diskutiert Gisela Steinhauer heute von 9:07 Uhr bis 11 Uhr mit der Ver.di-Vize-Chefin Margret Mönig-Raane und dem Volkswirtschaftler Hagen Lesch.
Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800/22542254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.