Arm das Land, das Helden braucht
Arm das Land, das Helden braucht – kurz vor der Wiederkehr des 50. Todestages von Bertolt Brecht kommen uns seine Worte wieder ins Gedächtnis. Ich finde, sie haben nichts von ihrer suggestiven Überzeugungskraft verloren. Doch angesichts des gerade vergangenen WM-Festes drängt sich die Frage auf, ob uns heute nicht wenigstens die Helden des Fußballs gegönnt sein sollten. Sie lassen uns nicht arm zurück, im Gegenteil, sie haben uns reich gemacht: reich an guter Laune, reich an freudigen Erlebnissen, reich an Freundschaftsgesten gegenüber den Besuchern aus aller Welt.
Brecht meinte vermutlich den martialischen Typus des Helden. Ihm haftet etwas Archaisches an - es riecht nach gewaltsamem Kampf, der Weltkrieg ist noch nahe. Diesen Bedeutungshof wird das Wort Held wahrscheinlich nie ganz loswerden. Deshalb bin ich dafür, Brechts Skepsis zu teilen und schlage unter dem Druck der neu entstandenen Verhältnisse vor, das Wort einfach fallen zu lassen.
Es dürfte der gegenwärtigen Situation nicht mehr entsprechen. Gewiss traf es damals, in der wirtschaftlich und politisch stark geprüften DDR, noch zu, als vor allem von ihren Arbeitern heldenhafte Anstrengungen verlangt wurden. In der wirtschaftlich weniger leidgeprüften Bundesrepublik zeigte sich das Heldentum auf anderem Gebiet.
Nehmen wir aus gegebenem Anlass wieder das Beispiel des Fußballsports: Die Helden von Herberger vollbrachten 1954 das Wunder von Bern und verhalfen mit ihrem Sieg einer ganzen Nation zu neuem Respekt. 1945 war verdrängt und auf einmal in den Hintergrund geraten.
Heute sieht es anders aus. Die Kultur der Erinnerung hat Früchte getragen. Es steht nicht mehr so viel auf dem Spiel. Trotzdem schaffte es die Mannschaft von Klinsmann mit ihrer langen Siegesserie, die Deutschen fast über Nacht aus dem kollektiven Jammertal zu ziehen. Sie riss zeitweise eine ganze Gesellschaft heraus.
Die karnevalesken Züge dieses Rausches wurden überall beschrieben. Es war sogar von den Händen Gottes die Rede, so, als würden wir den früheren Heldenstatus der Spieler noch überbieten wollen. Doch es waren nur Fußballgötter im Faschingssinn, wir konnten alle herzhaft darüber lachen. Die Helden von damals sind perdu.
Ich plädiere dafür, das deutsche "Held" durch das englische "hero" zu ersetzen. Im Hero steckt zwar das Wort Heroismus, aber die englische Aussprache bewahrt uns davor, vom Regen in die Traufe zu kommen. Der Ausdruck "hero" dürfte allerdings befremden, da er der Tendenz allgemeiner Anglifizierung der deutschen Sprache Vorschub leistet.
Wenn Leute sagen, Sie seien "happy", geht mir das auch gegen den Strich. Ebenso, wenn sie von "kids" sprechen. Gegen das Wort "kids" gebe ich jedoch langsam meinen Widerstand auf. Und zwar, weil ich den Typus des Kindes soziologisch nicht mehr richtig einordnen kann. Gibt es das Kind überhaupt noch als gesellschaftlich ernstzunehmende Größe? Mir scheint, uns ist die Unschuldsgestalt, die früher mit dem Begriff verbunden war, abhanden gekommen.
Das Kind ist inzwischen zu einem Typ mutiert, der gewievter, gleichzeitig altklüger, aber auch früher weltgewandt zu sein scheint, vielleicht auch erwachsener. Es geht ihm irgendwie besser als dem Kind, besonders pekuniär. Kids kann man deshalb mit Marketingkategorien beikommen. Solange sie noch Kinder waren, ließen sie sich nicht vermarkten.
Ganz ähnlich müsste es mit dem Begriff des Helden zugehen. Die fünfziger Jahre des gerade vergangenen Jahrhunderts gehörten in die heroische Phase der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Helden des Sports hie, Helden der Arbeit da. Das haben wir heute nicht mehr nötig.
Die Helden des Sports verdienten, gemessen an den Einkünften ihrer Nachfolger, wenig, die Helden der Arbeit verdienten genauso wenig und überarbeiteten sich noch dazu. Das geht heute alles effizienter. Die Märkte haben überall ihre Macht entfaltet. Wir wissen das und nehmen es in kauf.
Ab und zu meckern wir über die hohen Einkünfte unserer heroes, aber sie verderben uns nicht die gute Laune. Auch, weil von den heroes eine andere Strahlkraft ausgeht. Sie haben etwas Heiteres, unangestrengt Glamouröses, das ihre Umgebung ansteckt. Zwar sind sie äußerst fit, aber es fehlt das Markige ihrer Erscheinung, das Militärische sowieso. Es sind Welten dazwischen.
So hätte denn ironischerweise ein neues, lässigeres Image des hero, zusammen mit der alles durchdringenden Marktmacht, gegen die Brecht mit dramatischer Wucht zu Felde gezogen war, eine für den Systemgegner unerwartete Wirkung gehabt. Tatsächlich wäre ein Land arm dran, das heute noch Helden brauchte. Es geht einfacher, es geht smarter - aber es geht nicht ohne Geld.
Übrigens, wem das Wort "hero" nicht passt, der kann ja "Star" oder "Superstar" sagen. Der Zusammenhang zwischen Glamour und ökonomischem Status wird da nur umso deutlicher.
Erik von Grawert-May, Publizist, Romanist, Wirtschaftswissenschaftler. 1944 in Lauban/Niederschlesien geboren, studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften in Paris, Tübingen und Berlin. Er habilitierte sich über den Barockbegriff "Theatrum Belli", ist seit 1994 Professor für Unternehmensethik und -kultur an der Fachhochschule Lausitz und leitet seit 1999 das "Hanns von Polenz Institut für regionalgeschichtliche Studien, Senftenberg".
Es dürfte der gegenwärtigen Situation nicht mehr entsprechen. Gewiss traf es damals, in der wirtschaftlich und politisch stark geprüften DDR, noch zu, als vor allem von ihren Arbeitern heldenhafte Anstrengungen verlangt wurden. In der wirtschaftlich weniger leidgeprüften Bundesrepublik zeigte sich das Heldentum auf anderem Gebiet.
Nehmen wir aus gegebenem Anlass wieder das Beispiel des Fußballsports: Die Helden von Herberger vollbrachten 1954 das Wunder von Bern und verhalfen mit ihrem Sieg einer ganzen Nation zu neuem Respekt. 1945 war verdrängt und auf einmal in den Hintergrund geraten.
Heute sieht es anders aus. Die Kultur der Erinnerung hat Früchte getragen. Es steht nicht mehr so viel auf dem Spiel. Trotzdem schaffte es die Mannschaft von Klinsmann mit ihrer langen Siegesserie, die Deutschen fast über Nacht aus dem kollektiven Jammertal zu ziehen. Sie riss zeitweise eine ganze Gesellschaft heraus.
Die karnevalesken Züge dieses Rausches wurden überall beschrieben. Es war sogar von den Händen Gottes die Rede, so, als würden wir den früheren Heldenstatus der Spieler noch überbieten wollen. Doch es waren nur Fußballgötter im Faschingssinn, wir konnten alle herzhaft darüber lachen. Die Helden von damals sind perdu.
Ich plädiere dafür, das deutsche "Held" durch das englische "hero" zu ersetzen. Im Hero steckt zwar das Wort Heroismus, aber die englische Aussprache bewahrt uns davor, vom Regen in die Traufe zu kommen. Der Ausdruck "hero" dürfte allerdings befremden, da er der Tendenz allgemeiner Anglifizierung der deutschen Sprache Vorschub leistet.
Wenn Leute sagen, Sie seien "happy", geht mir das auch gegen den Strich. Ebenso, wenn sie von "kids" sprechen. Gegen das Wort "kids" gebe ich jedoch langsam meinen Widerstand auf. Und zwar, weil ich den Typus des Kindes soziologisch nicht mehr richtig einordnen kann. Gibt es das Kind überhaupt noch als gesellschaftlich ernstzunehmende Größe? Mir scheint, uns ist die Unschuldsgestalt, die früher mit dem Begriff verbunden war, abhanden gekommen.
Das Kind ist inzwischen zu einem Typ mutiert, der gewievter, gleichzeitig altklüger, aber auch früher weltgewandt zu sein scheint, vielleicht auch erwachsener. Es geht ihm irgendwie besser als dem Kind, besonders pekuniär. Kids kann man deshalb mit Marketingkategorien beikommen. Solange sie noch Kinder waren, ließen sie sich nicht vermarkten.
Ganz ähnlich müsste es mit dem Begriff des Helden zugehen. Die fünfziger Jahre des gerade vergangenen Jahrhunderts gehörten in die heroische Phase der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Helden des Sports hie, Helden der Arbeit da. Das haben wir heute nicht mehr nötig.
Die Helden des Sports verdienten, gemessen an den Einkünften ihrer Nachfolger, wenig, die Helden der Arbeit verdienten genauso wenig und überarbeiteten sich noch dazu. Das geht heute alles effizienter. Die Märkte haben überall ihre Macht entfaltet. Wir wissen das und nehmen es in kauf.
Ab und zu meckern wir über die hohen Einkünfte unserer heroes, aber sie verderben uns nicht die gute Laune. Auch, weil von den heroes eine andere Strahlkraft ausgeht. Sie haben etwas Heiteres, unangestrengt Glamouröses, das ihre Umgebung ansteckt. Zwar sind sie äußerst fit, aber es fehlt das Markige ihrer Erscheinung, das Militärische sowieso. Es sind Welten dazwischen.
So hätte denn ironischerweise ein neues, lässigeres Image des hero, zusammen mit der alles durchdringenden Marktmacht, gegen die Brecht mit dramatischer Wucht zu Felde gezogen war, eine für den Systemgegner unerwartete Wirkung gehabt. Tatsächlich wäre ein Land arm dran, das heute noch Helden brauchte. Es geht einfacher, es geht smarter - aber es geht nicht ohne Geld.
Übrigens, wem das Wort "hero" nicht passt, der kann ja "Star" oder "Superstar" sagen. Der Zusammenhang zwischen Glamour und ökonomischem Status wird da nur umso deutlicher.
Erik von Grawert-May, Publizist, Romanist, Wirtschaftswissenschaftler. 1944 in Lauban/Niederschlesien geboren, studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften in Paris, Tübingen und Berlin. Er habilitierte sich über den Barockbegriff "Theatrum Belli", ist seit 1994 Professor für Unternehmensethik und -kultur an der Fachhochschule Lausitz und leitet seit 1999 das "Hanns von Polenz Institut für regionalgeschichtliche Studien, Senftenberg".