Argentinische Landfrauen wehren sich

Der Kampf gegen die Machokultur

23:43 Minuten
In einer Gartenanlage recken mehrere Bauersfrauen im T-Shirt die Faust hoch in die Luft.
"Für mich war es normal, mit einem blauen Auge herumzulaufen" - die kämpferische argentinische Bauersfrau Carolina Rodriguez und ihre Compañeras. © UTT
Von Anne Herrberg und Verena von Schönfeldt · 08.03.2021
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Argentiniens Frauen sagen nicht "Me too", sie sagen "Ni Una Menos": "Nicht eine weniger". Dabei geht es neben sexueller Gewalt auch um Mord. Eine Bewegung, die nicht nur ganz Lateinamerika aufgemischt hat - sondern auch die eigene Provinz.
Unermüdlich lockern sie die noch feuchte Erde. Sie ist dunkel und schwer und duftet nach Rindenhumus und Waldboden. Eine kühle Morgenbrise weht über den Acker, auf dem es sprießt, summt und grünt.

Teure Chemikalien sind unnötig

Salatköpfe und Blumenkohl, Mangold, rote Beete oder Sellerie wachsen in perfekt gezogenen Linien, dazwischen wuchert Unkraut, zwei Frauen reißen die Bündel aus, knicken faule Blätter ab oder zupfen eine Schnecke vom Kohlkopf – alles, was sie hier anbauen, ist bio.
"Hier auf dem Land gibt es den Mythos, dass Biolandwirtschaft gar nicht funktioniert. Dass es teure Chemikalien braucht, damit alles schneller und größer wächst und beim Bioanbau alles mickrig bleibt und langsamer geht", sagt Carolina Rodriguez.
Eine Frau mit grünem Käppi und einem Behälter auf dem Rücken steht auf einem Acker.
Stundenlange Knochenarbeit, alles was hier angebaut wird, ist bio - Carolina Rodriguez.© UTT
Sie ist eine von Tausenden Bauersfrauen, die hier im sogenannten "Ackerbau-Gürtel" rund um die Stadt La Plata die Felder bestellen, eine Stunde von Buenos Aires entfernt in der Provinz.

"Viele Compañeros fangen an zu trinken"

Sie produzieren, was in Buenos Aires auf den Tisch kommt: Mais, Tomaten, Kartoffeln. Auf gepachteten Feldern, in stundenlanger Knochenarbeit. Dass hier in den letzten Jahren immer mehr Familien auf Biolandwirtschaft umsatteln, das geschieht vor allem aus der Not heraus, sagt Rosa Jurado.
"Es war das Leid und die Verzweiflung, die viele dazu bewegt haben, etwas zu ändern. Manche waren krank, weil die vielen Chemikalien ihre Körper vergiftet hatten. Andere verschuldet, weil ein Unwetter ihre Ernte zerstört hatte oder die Zwischenhändler dir einen Hungerlohn oder gar nichts zahlen", erzählt sie.
"Früher musstest du die ganze Zeit nur ans Geld denken, für die Pacht, den Strom, die Geräte und die Chemie für die Pflanzen. All das musstest du von den multinationalen Unternehmen in Dollar-Preisen kaufen. Es entsteht eine Abhängigkeit, viele Compañeros fangen an zu trinken oder gehen in die Städte, denn einen Brokkoli zu produzieren kostet immer mehr Geld."

Ein grundlegender Wandel - nicht nur auf den Feldern

Rosa Jurado und Carolina Rodriguez gehören der UTT an, der Union de Trabajadores de Tierra, der größten Bauerngewerkschaft im Agrarland Argentinien. Es sind dort vor allem Frauen, die derzeit einen grundlegenden Wandel vorantreiben – und der findet lang nicht nur auf den Feldern statt.
"Mit unserer Frauengruppe erlernen wir die uralten Techniken unserer Großmütter- und Väter wieder. Deswegen sagen wir: Wir holen uns die Erde zurück. Es war ein langer Weg. Er hat uns auch geholfen, uns selbst wieder zu entdecken.
Denn wir wurden vergewaltigt, in jedem Sinn des Wortes. Genauso wie unser Land, unsere Äcker, unsere Erde. Sie wurde zerstört, durch all die Chemikalien, die hier zum Einsatz kamen. Wir haben ein Recht auf ein gesundes Leben. Und unsere Technikerinnen lehren den männlichen Compañeros heute, dass man mehr erntet, wenn man die Erde nicht tötet."
Eine ältere Frau mit Käppi, Zopf und knallgrünem T-Shirt spricht in ein Mikrofon, eine junge Frau mit Strohhut im Hintergrund hört zu.
Landarbeiterin und Aktivistin - Carolina und ihre Compañera Rosalia Pellegrini.© UTT
Was hat Ökolandwirtschaft mit dem Kampf der Kleinbäuerinnen gegen Machostrukturen zu tun? Was Biogemüse mit Selbstbestimmung? Sehr viel, sagt Rosa Pellegrini, die die Frauengruppe der UTT vor fünf Jahren ins Leben rief.
"Den Anstoß gab eben, dass es sehr viele Fälle von Gewalt gegen Compañeras gab. In den ländlichen Gegenden werden Machismo und Gewalt fast als etwas Natürliches angesehen, auch von den Frauen selbst. Sie wird hingenommen. Wir fingen an, uns darüber auszutauschen, ein Hilfsnetzwerk aufzubauen und in den Gesprächen schälte sich eine Erkenntnis heraus:
Die Gewalt, die wir zu Hause in den Quintas erfahren, die körperliche Gewalt, psychologische Gewalt, wirtschaftliche Gewalt, die geht Hand in Hand mit einer patriarchalen Kultur, die heutzutage die Landwirtschaft in Argentinien bestimmt. Es ist ein Produktionsmodell, das auf Ausbeutung setzt, auf Pestizide, auf Spekulation mit Lebensmittelpreisen, in dem immer mehr Land in wenigen Händen konzentriert ist und in dem Frauen meist nicht mitentscheiden können. Und wir merkten, da gibt es einen Zusammenhang."
Eine ältere Frau sitzt mit einem jungen Mädchen im Grünen an einem Holztisch, auf dem viele kleine Fläschchen stehen.
„Wir holen uns die Erde zurück“: Dazu gehört auf der Farm auch „Schreibtischarbeit“. © UTT
Ihre Compañera Carolina Rodriguez trägt die tiefschwarzen Haare zum Dutt gebunden. Sie ist gerade mal 1 Meter 55 groß, aber hat die robusten Schultern und starken Arme einer Frau, die ihr Leben lang hart gearbeitet hat.

"Was hast du gemacht, dass dein Mann dich schlägt?"

Ihre Compañera Carolina Rodriguez trägt die tiefschwarzen Haare zum Dutt gebunden. Sie ist gerade mal 1 Meter 55 groß, aber hat die robusten Schultern und starken Arme einer Frau, die ihr Leben lang hart gearbeitet hat.
"Was hast du gemacht, dass dein Mann dich schlägt?"
Die Bäuerin wurde in Jujuy geboren, in einem kleinen Dorf am Fuß der Anden, weit im Norden Argentiniens. Mit 15 Jahren kam sie nach Buenos Aires, mit einem acht Monate alten Kind von ihrem Onkel, der sie monatelang vergewaltigt hatte.
"Für mich war es normal, mit einem blauen Auge herumzulaufen. Ich habe davon auch Narben im Gesicht. Aber hier spricht niemand über Gewalt an Frauen. Es heißt, was hast du gemacht, dass dein Mann dich schlägt? Als Frau bist du unterwürfig. Ich bekam ein Kind nach dem nächsten. Wenn ich mal nicht wollte, dann beschimpfte mich mein Mann als Hure, er sagte, ich hätte einen anderen.
Ich trennte mich. Er redete schlecht über mich in der Gemeinschaft. Ich wurde geächtet, saß auf der Straße, ohne nichts. Ich fand einen neuen Compañero, aber er trank viel, schlug mich wieder. Und ich fand keine Arbeit mehr, die Patrones, die Besitzer der Ländereien, nannten mich die Hündin, die Kinder wirft."
Ein zentrales Problem auf dem Land ist die enorme wirtschaftliche Abhängigkeit der Frauen. Die Arbeitsverhältnisse werden zwischen Männern ausgehandelt, der Pachtvertrag über das Feld vom Mann unterschrieben, wenn die Familie ein Motorrad oder ein Auto hat, gehört es dem Mann. Und er ist es auch, der Kontakte und Verbindungen hat.

In der Pandemie hat Gewalt gegen Frauen zugenommen

Aber wer im Streitfall gehen muss, ist die Frau, oft mit nichts als den Kindern auf dem Arm, sagt Elsa Yanaje. Sie ist selbst Bäuerin und arbeitet seit 2019 im Landwirtschaftsministerium – dort setzt sie sich für gerechtere Landverteilung und Kredite für Kleinbauern ein und hob die prekäre Situation der Landarbeiterinnen erstmals auf die politische Agenda. Sie kritisiert, selbst bereits existierende Gesetze, kommen auf dem Land nicht zur Anwendung.
"In der Pandemie hat die Gewalt gegen Frauen zugenommen. Wir sind in Alarmbereitschaft. Die staatlichen Maßnahmen zum Schutz von Frauen geraten schon in den Städten an ihre Grenzen, auf dem Land sind sie völlig unzureichend. Und sie passen meistens nicht zur besonderen Situation der Landfrauen, die oft ohne Angehörige aus anderen Provinzen oder Nachbarländern kommen, keine Netzwerke haben, mit einer anderen Kultur aufgewachsen sind.
Dazu kommt die Angst, die Arbeit zu verlieren, die Möglichkeit für die Kinder zu sorgen, sie auf die Schule zu schicken. Und wenn sie den Schritt wagen, Anzeige zu erstatten, ist das nächste Polizeirevier weit entfernt. Einmal dort müssen sie lange warten oder werden abgewiesen oder sogar diskriminiert, aufgrund ihrer Herkunft und dem Umstand, dass sie einfache, meist landlose Bäuerinnen sind."
Frau und junger Mann mit Vollbart im Büro vor Bücherregal am Schreibtisch mit dicken Akten.
Dolores Etchevehere und ihr Anwalt Juan Grabois, der Gründer der MTE, einer der größten sozialen Bewegungen Argentiniens© Proyecto Artigas
Dazu kommt: Auf dem Land und in Kleinstädten bleiben Untersuchungen aufgrund von männlichen Seilschaften und Vetternwirtschaft oft ergebnislos. Auch die Justiz ist von einer patriarchalen Struktur geprägt.
Die heute bekannteste Stimme, die genau das anprangert, ist Dolores Etchevehere: einzige Tochter einer der einflussreichsten Familien der Sojaprovinz Entre Rios und ausgebildete Journalistin.

Der Kampf einer Frau um ihr Erbe

Seit dem Tod ihres Vaters im Jahr 2009 ringt sie mit ihren drei Brüdern – und der Mutter – um ihr Erbe. Bis heute hat sie davon keinen Cent erhalten. Der Fall ist vor Gericht.
"Wenn Frauen unter den Landerben sind, gilt es im Grunde als ausgemacht, dass dieses Land früher oder später den männlichen Erben, meist den Brüdern zufällt. Die Idee, dass nur die Männer etwas von Produktion und Verwaltung verstehen und sozusagen die Vormundschaft für die Frauen übernehmen, wird auch von ihnen selbst akzeptiert und führt dazu, dass sie ihre Rechte verlieren.
Weil sie heiraten, Kinder bekommen, nie zuvor in Geschäfte eingeweiht wurden. Ihr Land zu lächerlichen Preisen abgeben, es bleibt ja in der Familie. Der Notar ist ein Kumpel, der Anwalt schuldet einem noch was. Es gibt einen Modus Operandi, der dazu führt, dass Frauen vom Land verdrängt werden. Mein Großvater hatte sechs Schwestern, doch mit den Jahren war allein er es, der allen Landbesitz in seinen Händen hielt."

Frau besetzt Land – ein Skandal

Am 15. Oktober vergangenen Jahres wagt Dolores Etchevehere einen radikalen Schritt. Sie nimmt sich, friedlich, was sie als ihr rechtmäßiges Erbe ansieht. Teile einer Hacienda in Entre Rios.
Sie besetzt das Land nicht allein, sondern gemeinsam mit einer Gruppe Kleinbauern und Bäuerinnen einer sozialen Bewegung. Entstehen soll ein ökologisches und soziales Landwirtschaftsprojekt.
Ein großes Plakat mit Text hängt zwischen zwei Bäumen in flacher Landschaft, ein Mann mit rotem T-Shirt steht davor.
Nachhaltig und sozial: Ökolandwirtschaft dort, wo sonst Soja in Monokultur wächst.© Copyright: Proyecto Artigas
In den Folgetagen läuft die Crème de la Crème der argentinischen Agrarunternehmer am Gatter Sturm, den Besetzern wird erst freies Geleit angeboten, dann gedroht. Es gibt Demos mit SUVs und Nationalhymne zur Verteidigung des Privatbesitzes der Etchevehere-Brüder, vorneweg Luis Miguel, der ehemalige Landwirtschaftsminister.
"Warum so viel Ablehnung nicht nur gegen mich, sondern auch gegen unser alternatives Projekt, das ein anderes Landwirtschaftsmodell vorschlägt? Warum bekämpfen sie es? Das Modell des exportorientierten Agrobusiness generiert enorm viel Geld in ganz wenigen Händen. Das gibt den Landbesitzern viel Macht, alle anderen dürfen zuschauen.
Unser Modell ist integral, es basiert nicht auf Ausbeutung des Bodens und der Arbeitskraft, sondern will nachhaltig sein, Vielfalt statt Monokultur erzeugen, einer Familie ein Auskommen ermöglichen. Heißt: Es greift direkt in den Kreislauf des Geldes ein, deswegen wird es so bekämpft."

Korruption, Geldwäsche und Steuerhinterziehung

Es geht längst um mehr als einen Erbschaftsstreit. Gegen die Etchevehre-Brüder laufen 17 Rechtsverfahren, angestoßen vor allem durch Recherchen der Schwester: es geht um Korruption, Geldwäsche, Zwangsarbeit, Steuerhinterziehung, Urkundenfälschung, kurz ein Geflecht aus kriminellen Machenschaften, in das Richter, Notare, Journalisten und Politiker gleich mit verwickelt seien.
15 Tage später, Ende Oktober 2020, ordnet eine Richterin die Räumung an. Dolores Etchevehre wird von 150 Polizisten abgeführt, kurze Zeit später kommt sie wieder frei, ihr Kampf geht weiter: "Eine Frau alleine bewegt nichts, all das funktioniert nur im Bündnis!"

Ein Frauenhaus für Landarbeiterinnen

Zurück im "Garten-Gürtel" von La Plata. Carolina Rodriguez führt stolz durch eine mit buntem Mosaik geschmückte Tür in ihr neues Projekt: Das erste Schutzhaus für Landarbeiterinnen, sie selbst hat es mit der Frauengruppe renoviert und ausgebaut.
Eine junge Frau bereitet Mate-Tee zu. Luz Ortega, sie hatte Stress zu Hause, wie sie sagt und lebt nun im Frauenhaus. Gleichzeitig arbeitet sie als "Promotora", sie informiert über Gewaltsituationen, klärt über Rechte auf, begleitet Frauen, die Gewalt erlebt haben – und sie berät auch Männer.
Elias Amador, Mitglied der Kleinbauerngewerkschaft UTT erzählt von einem solchen Workshop:
"Am Anfang war das sonderbar: Wir verstehen, dass es Machismo gibt, aber das mit der Frauengruppe fanden wir nicht gut. Es gab einige Frauen, die dahin sind und dann haben sie sich getrennt. Aber mit der Zeit habe ich nachgedacht und gemerkt, dass ich auch Dinge ändern muss.
Ich glaube, uns Männer kostet es, Kontrolle abzugeben. Wir wurden so erzogen, dass es die Männer sind, die das Wort haben und sagen, was zu machen ist. Heute haben die Frauen eine Stimme, sie sind Protagonistinnen und ich bewundere das eigentlich sehr."
Eine Frau mit grünem T-Shirt und Käppi steht in einem Maisfeld, das sich bis an den Horizont erstreckt.
„Ich bin heute auf niemand mehr angewiesen“, sagt Carolina Rodriguez.© UTT
Carolina Rodriguez fasst es so zusammen:
"Ich bin das Beispiel einer Frau, die durch das Frauenbündnis, durch die gemeinsame Organisation ein neues Leben gefunden hat. Das bedeutet für mich Freiheit. Ich bin heute auf niemand mehr angewiesen. Ich weiß, wer ich bin, ich habe mein eigenes Geld und wenn ich will, sage ich: Heute koche ich nicht! Und dann steige ich mit einer Freundin aufs Motorrad und wir gehen was essen. Ich gucke zurück und denke, wow, was ich alles gemacht habe, alleine hätte ich das nicht geschafft.
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