Argentinisch-tschechische Labyrinthe

Von Victoria Eglau |
Jorge Luís Borges und Franz Kafka sind sich nie begegnet, aber das Labyrinth spielt bei beiden eine zentrale Rolle. Vor zwei Jahren hatte das Werk des Argentiniers seinen ersten Auftritt in Prag. Jetzt stehen Franz Kafkas Welten im Mittelpunkt des literarischen Lebens von Buenos Aires.
Die Gesichter der beiden großen Literaten in den Pupillen des Golem, Kafka mit Käfern auf dem Kopf, und Borges mit den von ihm geliebten Tigern und Katzen sind nur einige der Motive aus den an Pop-Art erinnernden Collagen des argentinischen Künstlers Rogelio Polesello.

"Ich wollte ein Labyrinth mit aktuellen, mit neuen Bildern zu Borges und Kafka schaffen", erklärt Polesello seine Installation. Der argentinische Schriftsteller Jorge Luís Borges – geboren 1899 - und der tschechische Literat Franz Kafka – Geburtsjahr 1883 - sind sich nie begegnet, aber das Labyrinth spielt in beider Werke eine zentrale Rolle. Was wäre also besser geeignet, den symbolischen Anfangspunkt dieser Biennale zu markieren? Juan Eduardo Fleming, Initiator und Koordinator der Biennale:

"Borges und Kafka haben viel gemeinsam, nicht nur die Labyrinthe, auch die Träume, die unerwarteten Lösungen oder Wendungen in ihren Erzählungen, die Grenzsituationen. Natürlich auch die außergewöhnliche Vorstellungskraft dieser beiden Genies."
Die erste Borges-Kafka-Biennale fand vor zwei Jahren in Prag statt. Fleming, argentinischer Diplomat, war damals Botschafter in der tschechischen Hauptstadt. Es gelang ihm, sowohl die Borges-Witwe Maria Kodama als auch die argentinischen und tschechischen Regierungen von seinem Projekt zu überzeugen. Die Biennale sieht Fleming als Möglichkeit für Tschechien und Argentinien, ihre in der Zeit des Eisernen Vorhangs brachliegende Beziehung weiter zu verbessern.

"Die Kultur schien dafür ein geeignetes Mittel zu sein. In Tschechien gibt es wie in allen europäischen Ländern einen großen Respekt für die Kultur, große Kreativität und kulturelle Vielfalt. Und die Argentinier sind fasziniert von Kultur und saugen sie auf wie ein Schwamm. Warum Borges und Kafka? Weil Borges Kafka sehr schätzte, und der erste war, der Kafka in der spanischsprachigen Literaturwelt bekannt machte. Und auch, weil wir Argentinier eine große Leidenschaft für Kafka haben, und die Tschechen wiederum sich sehr für Borges interessieren."
Die Biennale, die bis Ende April dauert, hat verschiedene Standorte in der argentinischen Hauptstadt und umfasst Kunstausstellungen, Konzerte, Theater, Tanz, Vorträge und Film. Kernveranstaltung ist ein Symposium mit Experten aus beiden Ländern. Daniela Capková, Leiterin des tschechischen Kulturzentrums in Buenos Aires:

"Es nehmen bekannte Wissenschaftler der Prager Karlsuniversität teil, zum Beispiel der wichtigste Kafkaforscher, Josef Cermak. Es kommt auch der bekannte tschechische Schriftsteller Arnost Lustig, Mitglied der Franz-Kafka-Gesellschaft. Und der Protestsänger Jiri Dedecek, Präsident des tschechischen Pen-Clubs, wird bei der Biennale auftreten."

"Bei dem Symposium wird es etwas sehr Interessantes geben. Bisher haben Psychoanalytiker die Texte von Kafka und Borges getrennt interpretiert. In Buenos Aires werden Freudianer und Lacánianer das Werk beider Schriftsteller in seiner Gesamtheit analysieren," freut sich Juan Eduardo Fleming, Koordinator der Biennale. Von argentinischer Seite wird an dem Symposium unter anderem der Wissenschaftler Rodrigo Quian Quiroga teilnehmen, der über die Beziehung zwischen Jorge Luis Borges und den Neurowissenschaften sprechen wird. Zum Kunstprogramm der Biennale gehört die Installation "El Libro de Arena" – zu deutsch "Das Sandbuch" – inspiriert durch die gleichnamige Erzählung von Borges. Das Sandbuch ist ein Buch ohne aufsteigende Seitenzahlen, ein Buch ohne Anfang und Ende, mit unendlichem Inhalt. Der argentinische Künstler Mariano Sardón über seine interaktive Installation, die aus zwei mit Sand gefüllten, nach oben offenen Plexiglaswürfeln besteht.

"Wenn man mit der Hand den Sand berührt oder bewegt, erscheinen Texte von Jorge Luis Borges, die in Echtzeit und nach dem Zufallsprinzip aus dem Internet heruntergeladen werden, und danach wieder verschwinden. Es ist, als würde man ein Buch durchblättern, über das man keine Kontrolle hat. Es existiert nur die spielerische Möglichkeit, mit der Hand im Sand Texte zu entdecken, und zu versuchen, sie zu lesen."


Infos:
Bienal Borges Kafka 2010
19. bis 30. April in Buenos Aires
Die Biennale wird alle zwei Jahre abwechselnd in der argentinischen Hauptstadt und in der tschechischen Hauptstadt organisiert. 2008 fand sie erstmals in Prag statt.
Franz Kafka, Schriftsteller
Franz Kafka© AP Archiv