Selbstverteidigung für Frauen

Raus aus der Opferrolle

Zwei Frauen üben in einem Krav-Maga-Studio die Abwehr eines Angriffs.
Zwei Frauen üben in einem Krav-Maga-Studio die Abwehr eines Angriffs. © picture alliance / dpa / Boris Roessler
Von Caroline Kuban · 24.01.2016
Die Übergriffe in der Silvesternacht in Köln haben viele Frauen verunsichert. Bei Anbietern von Selbstverteidigungskursen ist die Nachfrage sprunghaft angestiegen - beim Krav Maga Department in Berlin haben sich die Anmeldungen seit Jahresbeginn verdoppelt. Hier werden Regeln der Fairness bewusst außer Acht gelassen.
Mittwochabend, 19 Uhr. Im Budo Sportzentrum in der Revalerstraße Berlin Friedrichshain, geht es zur Sache. Etwa 30 Teilnehmer zwischen 20 und 60 Jahren stehen sich paarweise gegenüber, greifen sich an mit Messern und Stöcken. Selbstverteidigungstraining Krav Maga, einer von neun Standorten des Krav Maga Departments in Berlin und Potsdam. Björn Wiebe ist deren Headinstructor.
"Wir unterscheiden uns eklatant von klassischen Kampfsportsystemen, Kampfkünsten. Das liegt daran, dass Krav Maga keine fairen Regeln kennt. Wir gehen davon aus, wenn uns jemand attackiert auf der Straße, dann ist das ohnehin schon nicht fair. Wir kontern mit Dingen, die in vielen klassischen Systemen gar nicht erlaubt sind. Beispielsweise Tritt zwischen die Beine, Fingerstiche in die Augen, notfalls sogar Schlag Richtung Kehlkopf oder gegen Knie. All das klingt brutal, aber Angriffe sind es genauso. Wichtig ist dabei, dass wir uns immer am Notwehrgesetz orientieren, und das vermitteln wir auch entsprechend intensiv."
Krav Maga wurde Mitte des 20. Jahrhunderts von einem nach Israel emigrierten Slowaken entwickelt. Aufgrund seiner Effektivität wird es auch israelischen Polizisten und Soldaten beigebracht. "Krav Maga" heißt soviel wie "Kontaktkampf". Ziel ist die Selbstverteidigung gegenüber einem stärkeren Gegner, und das unter Verwendung möglichst realistischer Szenarien. So kann es durchaus vorkommen, dass der Trainingspartner einen anschreit, wegschubst und erst dann attackiert, sagt Björn Wiebe.
"Ich fühle mich sicherer, seit ich dabei bin"
Sandy Jahn kommt seit vier Monaten regelmäßig zum Training. Man bekomme neues Selbstbewusstsein, so die 25-Jährige, und lerne, sich nicht einschüchtern zu lassen.
"Ich glaube in Berlin, als junge, alleinstehende Frau, ist da schon ein großer Prozentsatz dabei, der bereit sein möchte. Wenn man Samstagabend weggeht, in die Disco, man wird immer angesprochen oder irgendwie angefasst, man möchte einfach in der Lage sein, im Ernstfall sich verteidigen zu können. Ich fühle mich sicherer, seit ich dabei bin."
Anwendungssportarten, vor allem im Bereich der Selbstverteidigung, boomen. Das bestätigt Stefan Frommann, Inhaber der Kampfsportschule BudoClub Berlin. Wer sich für Selbstverteidigungssysteme entscheidet wie bei ihm für das moderne Ju Juitsu, hat heutzutage wenig Interesse, an Wettkämpfen teilzunehmen, bedauert Frommann. Darunter leiden vor allem Sportarten wie Judo.
"Wir merken das in Berlin daran, dass wir mitbekommen, dass unsere Teilnehmer, die im Judo an Wettkämpfen teilnehmen, nicht mehr die vollen Klassen als Gegner haben, sondern dass teilweise eben auch auf Berliner Meisterschaften Klassen mit wenigen Leuten, drei bis zehn Leuten, pro Klasse, ausgekämpft werden und nicht mehr wie das früher der Fall war, dass zig Leute in einer Klasse sich gedrängt haben. Es ist also rückläufig, definitiv."
Im Bereich der Kampfsportarten geht es heute überwiegend um Taktik. Es geht darum, zu lernen, wie man sich als David gegen Goliath durchsetzen kann. Wichtiger als die Technik ist die Einstellung, sagt Stefan Frommann.
"Wir haben die positive Erfahrung gemacht, dass Leute, die sowas lernen und sich sicherer fühlen, dass sie nicht mehr die Signale aussenden auf der Straße, die zu ihrer früheren Opferrolle passen würden. Das heißt, wir schaffen mit der Fähigkeit zu schlagen, zu treten und sich zu verteidigen die Möglichkeit, Sicherheit auszustrahlen und nicht in die typische Opferrolle zu gelangen."
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