Architekturstreit in Potsdam

Turmbau zu Babelsberg

10:11 Minuten
Das Eingangstor des Filmparks Babelsberg. Links im Bildvordergrund eine Löwenskulptur.
Der Löwe am Eingang des Filmparks in Babelsberg könnte bald Gesellschaft von einem 70 Meter hohen Turm bekommen - entworfen vom Stararchitekten Daniel Libeskind. © Imago / CHP
Von Christoph Richter · 09.11.2021
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Im Streit um Potsdams architektonische Zukunft scheinen die Gräben unüberwindbar: Auf der einen Seite die Vertreter der barocken Rekonstruktionen, auf der anderen Seite die Verfechter des DDR-Erbes. Jüngster Streitfall: ein Neubau von Daniel Libeskind.
An einer Straßenkreuzung in Potsdam-Babelsberg soll bald ein knapp 70 Meter hoher Turm in den Himmel ragen. Gebaut von keinem Geringeren als dem US-Stararchitekten Daniel Libeskind. Schöpfer des Holocaust-Mahnmals in Amsterdam, des One World Trade Centers am Ground Zero in New York und des Jüdischen Museums in Berlin.
In diese illustre Reihe soll sich jetzt auch Potsdam-Babelsberg einordnen. Der Vorsitzende des Potsdamer Bauausschusses, Wieland Niekisch, CDU, hat leuchtende Augen.

Libeskind möchte auf dem Filmpark bauen

"Der Chef vom Filmpark und der Investor, der das Grundstück erworben haben soll, die hatten die Idee, dort, wo Film und moderne Medien passieren, einen Glanzpunkt hinzusetzen", sagt er. "Weil er dort besser hinpasst, als vielleicht in die historische Innenstadt. Und dann einen Mann wie Libeskind zu gewinnen, der selber wohl ein Cineast ist, ein Verehrer des Films. Dass man dort so einen Glanzpunkt setzt, auch wenn es eine gewisse Höhenentwicklung hat, das ist schon eine Herausforderung, die sehr, sehr positiv gesehen werden muss."
Stehen soll der Bau irgendwann auf dem Gelände des Filmparks Babelsberg, einem Filmerlebnis-Areal, am Rand des geschichtsträchtigen Studio Babelsberg, wo Filmgrößen wie Heiner Carow, Wes Anderson und Roman Polanski schon gedreht haben.
Finanziert werde es durch den Berliner Immobilien-Entwickler KW, heißt es. Veranschlagte Kosten: 300 Millionen Euro.
"Natürlich finanziert die KW-Development – so wie auch bei allen anderen Bauvorhaben – dieses Projekt selbst", heißt es in einer Mail. Entstehen soll letztlich ein neues Potsdamer Wahrzeichen.

Öffentlich ist nichts über den Neubau bekannt

CDU-Politiker Niekisch ist einer der wenigen, der weiß, wie der Turm mal aussehen soll. Einen öffentlich einsehbaren Entwurf gibt es bislang nämlich nicht. Für eine Kontroverse in der Stadtgesellschaft sorgt nun der Vorschlag des Bauausschusses, man möge doch bitte auf einen städtebaulichen Wettbewerb verzichten.
Wieland Niekisch sagt: "Neben so einem großen verdienten Namen, wenn der sich hier leidenschaftlich mit 75 Jahren noch ein Alterswerk schaffen will, das sollte man nicht in einen Wettbewerb pressen. Wer soll denn daran noch teilnehmen? Da gibt es viele, viele andere Möglichkeiten an öffentlichen Bauten, wo man so was machen kann."
Im Dezember will die Potsdamer Stadtverordnetenversammlung einen "Verfahrensvorschlag" verabreden, ob und inwiefern die Öffentlichkeit in die Planung mit eingebunden wird. Angedacht seien Workshops und Werkstattgespräche.

"Überraschend provinziell"

Beim Bund Deutscher Architektinnen und Architekten ist man über diese Verfahrensweise irritiert. Und schreibt in einem Offenen Brief: "Überraschend provinziell und großspurig vorgetragen. Bauherr und Investor wollen (sich) ein Zeichen setzen. Einen Libeskind wollen sie (sich) bauen - und da brauchen sie natürlich auch keine Einmischung oder etwa einen Wettbewerb."
Deutlich wird an dieser Stelle: Der Turmbau zu Babelsberg hat nicht nur Fans. "Ich persönlich bin kein Freund von Stararchitekturen," sagt Architektin Frauke Röth, Mitglied der Ortsgruppe Potsdam von "Architects for Future" und der im Stadtrat vertretenen Wählergruppe Die Andere.
"Ich finde es sehr schön, wenn nicht das Bild im Vordergrund steht, sondern wie sich eine Architektur konzeptionell und kontextuell in die Stadt hineinpasst. Ich glaube, dass viel mehr über die Qualitäten von Architektur geredet werden muss. Allerdings muss ich auch sagen: Potsdam hat eine besondere Stadtbaugeschichte hinsichtlich von Repräsentation und Bildern. Und wenn man diese Linie verfolgt, passt dann tatsächlich eine Architektur von Daniel Libeskind und reiht sich sehr gut in die Architekturgeschichte Potsdams ein."

Emotionaler Streit

Der Streit um Potsdams bauliche Zukunft wird emotional geführt. Die Trennlinie: Auf der einen Seite die Vertreter der barocken Rekonstruktionen, auf der anderen Seite die Verfechter, die das DDR-Erbe im Blick haben. Deutlich wird das am Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche.
Das Rechenzentrum und die Baustelle für den Wiederaufbau des Turms der Garnisonkirche spiegeln sich in einer Pfütze in Potsdam.
Über das Gebäude des DDR-Rechenzentrums und den Wiederaufbau des Turms der Garnisonkirche wird in Potsdam heftig diskutiert.© imago / Martin Müller
Der Architekt, der den Wiederaufbau plant, ist Thomas Albrecht. Er steht vor dem eingerüsteten Turmstummel der Garnisonkirche, der stetig wächst. Und schaut in die Höhe.
Albrecht sagt: "Wir werden ja bis 60 Meter Höhe 2,8 Millionen Ziegelsteine vermauern. Und der Rest des Hauses, die letzten 30 Meter – also bis 90 Meter – sind eine Holz-Stahl-Konstruktion."
Von der Idee gar nicht begeistert ist dagegen der Berliner Politikwissenschaftler Hajo Funke: "Wir haben mit dem Wiederaufbau des Garnisonkirchturms – schon im 'Wieder' steckt das Problem – eine Retusche der Geschichte."
Und weiter: "Eine Restituierung des Gebäudes selbst verdeckt den Charakter der ruinösen Rolle, die die Garnisonkirche immer wieder im Nationalsozialismus gespielt hat."

Streitpunkt Garnisonkirche

Die Potsdamer Garnisonkirche ist ein neo-barocker Sakralbau: Er beherbergte einst die Gräber der Hohenzollernkönige und diente Hitler als Kulisse für den Staatsakt, der sein Drittes Reich legitimierte: Hier, im März 1933, am "Tag von Potsdam", verneigte Hitler sich vor Hindenburg und schloss mit dem preußischen Adel einen Schulterschluss.
Für die einen also ein hochproblematischer Ort, für andere unbedingt erhaltenswert.
Neu an Fahrt aufgenommen hat die Debatte, als kürzlich das Glockenspiel der Garnisonkirche unter Denkmalschutz gestellt wurde. Das war ursprünglich von einer rechtslastigen Traditionsgemeinschaft aufgestellt worden.
Die Glockeninschriften sind nach Angaben des Architekturhistorikers Philipp Oswalt mit rechtsextremen Einschreibungen versehen, die das NS-Regime verharmlosen, Kriegsschuld und Kriegsverbrechen leugnen. Alles Gründe, weshalb der wissenschaftliche Beirat des Lernorts Garnisonkirche gegen die Entscheidung eine Fachaufsichtsbeschwerde eingelegt hat.

Objekt der Neuen Rechten

Philipp Oswald sagt: "Es ist ihnen nicht bewusst, dass sie das erste Objekt der Neuen Rechten zum Denkmal erhoben haben. Man kann es machen, weil es eine Entwicklung in der Gesellschaft ist, die sehr relevant ist, die da einen baulichen Ausdruck gefunden hat, aber dann sollte man wissen, was man tut."
Auch der Rechtsextremismus-Experte Matthias Quent sieht in dem Glockenspiel eine "Verzahnung von rechtsextremen mit konservativen Strukturen". Und spricht von einem Symbol, das für die "Normalisierungstrategien der äußersten Rechten" stehe.
Brandenburgs Landeskonservator Thomas Drachenberg ficht die Vorwürfe nicht an. Ganz im Gegenteil: Gerade die Ideologiegeschichte des Glockenspiels mache es zum Denkmal:
"Ich würde mir wünschen, dass die Potsdamer Stadtgesellschaft sich dieses sperrige Teil aneignet. Und dass es dann weniger sperrig ist. Nicht in dem Sinne, wir bügeln alles glatt, sondern seine Geschichte akzeptiert. Es gab mal den Vorschlag, jeden Tag um zwölf Uhr die 'Internationale' darauf zu glöckeln, zu spielen. Finde ich eine tolle Idee."

Diskussion um DDR-Rechenzentrum entspannt sich

Für die einen also ein hochproblematischer Ort, für andere dagegen ein Ort der Versöhnung, des Aufbruchs.
Aktuell entspannt sich auch die Kontroverse um das sogenannte Rechenzentrum – ein DDR-Plattenbau und heute Galerie-und Kreativhaus, das teilweise auf dem Gelände der Garnisonkirche steht. Es soll 2024 abgerissen werden.
"Der Abriss ist geltender Beschluss der Stadtverordnetenversammlung, geltender Status im B-Plan. Und wir wollen einfach vereinbarungsgemäß dann unser Grundstück nutzen," meint Wieland Eschenburg, Vorstand der Stiftung Garnisonkirche. Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert, SPD, ist unentschlossen, eine Entscheidung zu dem Areal steht aus.

DDR-Geschichte an Gebäuden anschaulich machen

Dennoch: Der Aufschrei unter Teilen der Stadtöffentlichkeit ist groß. Der Vorwurf: DDR-Architektur soll geschliffen werden. Architekturhistoriker Philipp Oswalt fordert den Erhalt des Rechenzentrums, mit der Begründung: "Das ist etwas, was sehr ausdrucksstark ist, was Geschichte anschaulich macht, was wir unseren Nachkommen erhalten sollten."
Für ein Zeugnis der Ostmoderne – das Restaurant Minsk an anderer Stelle in Potsdam - gibt es bereits Pläne. SAP-Gründer und Mäzen Hasso Plattner will hier im kommenden Jahr ein Museum für Kunst aus DDR-Zeiten eröffnen.
Eine Ausnahme. Denn ansonsten wird in der Potsdamer Innenstadt – auf den Trümmern der DDR-Bauten, gewissermaßen – die barocke Residenzstadt wiederaufgebaut.
Beispiele hierfür sind das Stadtschloss, heute Sitz des Landtags. Oder die Palazzi Chiericati oder Barberini. Derzeit entsteht auch der Plögersche Gasthof, eine barocke Stadtvilla.
Die Rekonstruktionen sorgen für Kontroversen. Und so kann es passieren, dass Befürworter des Wiederaufbaus des alten Potsdam schon mal als "Barock Al Quaida" beschimpft werden.
Brandenburgs Landeskonservator sieht es weniger aufgeregt, eher nüchtern. Und spricht in der Entwicklung von Potsdam von einem "Zeitalter der Rekonstruktion".
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