Architekturprojekt

Wo die menschliche Kontrolle versagt

Ein deutsch-südafrikanisches Projekt zum Internationalen Architektenkongress in Durban.
Autos auf hohen Stahlstelzen als Dach: So sieht das gemeinsame Projekt aus. © Roger Jardin
Von Leonie March · 04.08.2014
Zum ersten Mal in der Geschichte findet der Architekten-Weltkongress in Subsahara-Afrika statt. Die Hauptthemen des Kongresses - Widerstandsfähigkeit, Umwelt und Werte - spiegeln sich auch in dem deutsch-südafrikanischen Projekt "Rushhour" wieder.
Rushhour in Durban – auf der Autobahn herrscht dichter Verkehr, direkt nebenan strömen Menschen auf einem Fußweg in die Stadt. Straßenhändler und Marktleute; es sind tausende, die hier jeden Tag von den Townships ins Zentrum kommen. Ihre Wege kreuzen sich auf einer kleinen Verkehrsinsel, von der aus man die Skyline und die Bucht der südafrikanischen Hafenmetropole überblickt.
Diesen Ort haben Architekten von "raumlaborberlin" und dem südafrikanischen "dala"-Kollektiv unter der Leitung von Doung Jahangeer für ihr gemeinsames Projekt "Rushhour" ausgewählt.
"Dieses Dreieck ist ein gutes Beispiel für einen Ort zwischendrin, einen verlorenen Ort, einen öffentlichen Raum, der kein richtiger Ort ist. Er liegt zwischen einer mehrspurigen Autobahn und einer anderen großen Straße. Die Leute nutzen ihn, um in die Stadt zu gelangen, um sich auszuruhen oder um zu pinkeln, denn es gibt hier keine öffentlichen Toiletten. In gewisser Weise ein Ort, an dem die menschliche Kontrolle versagt, aber gleichzeitig Kreativität vorherrscht."
Überleben jenseits formaler Strukturen
Es ist die Kreativität des sogenannten informellen Sektors, des Überlebens jenseits formaler Strukturen. Menschen, die die Apartheid in die Peripherie der Städte verbannt hat, haben sich ihre eigenen Zugangswege ins Zentrum geschaffen. Minibustaxis haben die Rolle öffentlicher Verkehrssysteme übernommen.
Viele Südafrikaner haben angesichts des Mangels an Jobs wirtschaftliche Nischen gefunden. Was auf den ersten Blick wie Chaos wirken mag, ist der Ausdruck einer immensen Widerstandskraft, der die Architekten eine Art Denkmal setzen wollen, erklärt Samuel Carvalho von "raumlaborberlin".
"Unser Interesse spiegelt sich auch im Untertitel unseres Projekts wieder: Die Anerkennung alltäglicher Praktiken. Sie sind hier sehr präsent und werden von tausenden Menschen angewandt. Die Herausforderung war, wie wir diese informelle Bewegung in eine formale Struktur übersetzen. Wir dachten also an ein Dach, einen Unterstand, wo die Leute eine Pause einlegen und sich miteinander unterhalten können, bevor sie weitergehen. Da dieser Ort und Durban als Stadt stark von Autos geprägt sind, hatten wir die Idee, ein Dach aus Karosserien zu konstruieren. Von der Autobahn wirkt es, als würden sie schweben. Der Unterstand wird so zu einem Orientierungspunkt in der Stadt."
"Fußgänger schreiben seine Geschichte"
Die frisch lackierten und ausgeschlachteten Karosserien sind auf übermannshohen Stahlstelzen montiert. Durch diese auffällige Konstruktion rücken ein Ort und Menschen in den Fokus, die vorher auch von Stadtplanern weitgehend ignoriert wurden. Ausdruck einer Architektur, die zu einem sozialen Wandel beitragen möchte, zu einer neuen Perspektive. Sozusagen von unten statt von oben herab, meint Doung Jahangeer:
"Die Fußgänger geben diesem Ort seine Bedeutung, sie schreiben seine Geschichte. Aber sie sind sich dessen nicht bewusst. Es wäre die Aufgabe der Stadtentwickler dies zu erkennen und ebenso innovative wie alltägliche Praktiken ihrer Einwohner zu unterstützen. Das setzt politischen Willen voraus. In vielen Städte des Kontinents ist der öffentliche Raum noch immer durch die koloniale Vergangenheit und in Südafrika auch durch die Apartheid geprägt. Bevor wir neue, bedeutsame Architektur schaffen können, müssen wir diese Strukturen erst dekonstruieren."

Deutsch-südafrikanisches Projekt zum Internationalen Architektenkongress in Durban: "Rushhour".
Deutsch-südafrikanisches Projekt zum Internationalen Architektenkongress in Durban: "Rushhour".© Roger Jardin
"Rushhour" ist ein Angebot, auch über diese Themen nachzudenken. Das Interesse sei groß, sagt Sam Carvalho. Viele Passanten hätten in den letzten Wochen Fragen gestellt, während das vom Goethe-Institut geförderte internationale Team schraubte, schweißte und schwitzte.
Unterschlupf für Straßenkinder?
"Viele fragen sich, was aus diesem Dach in Zukunft wird. Einige sind überzeugt, dass es nach und nach geklaut und die Einzelteile verkauft werden. Andere glauben, dass die Leute es tatsächlich in unserem Sinne nutzen werden. Viele haben auch gesagt, dass die Straßenkinder hier nachts Unterschlupf suchen würden. Es wird also interessant sein, inwieweit die Stadt sich einmischen wird. Werden sie die Kinder vertreiben? Werden sie aufpassen, dass das Dach intakt bleibt? Wie also geht die Stadt mit diesen Themen um?"
Bislang war Durban eher an Prestige-Projekten interessiert, wie dem Fußballstadion, das zur WM 2010 errichtet wurde. Den öffentlichen Raum nach den Bedürfnissen der Mehrheitsbevölkerung auszurichten, ist eher die Ausnahme. Aber vielleicht trägt der Architektenkongress ja zu einem Umdenken bei.