Architekturkritiker zur neuen BND-Zentrale

"Hau ab, hier sind Geheimnisse"

Aufnahme der neuen BND-Zentrale, in Gold getaucht, mit Palme vor der Fassade.
Die neue Zentrale des Bundesnachrichtendienstes. © picture alliance/Christoph Soeder/dpa
Gerhard Matzig im Gespräch mit Ute Welty  · 08.02.2019
Die neue BND-Zentrale in Berlin wird heute eingeweiht. Ursprünglich vorgesehen war ein architektonisch offenes Gebäude, das Bürgernähe signalisiert. Herausgekommen ist das Gegenteil, kritisiert Gerhard Matzig: "eine Machtdemonstration der Bürokratie".
Die neue BND-Zentrale in Berlin gilt als der größte Neubau der Bundesrepublik. Heute wird sie in einem Festakt mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Ehrengästen feierlich eingeweiht. "Also, für mich hat das schon etwas sehr Unangenehmes, ein von seinem Volumen her völlig unpassendes und eigentlich missglücktes Stück Architekturgeschichte", sagte Gerhard Matzig, Architekturkritiker der "Süddeutschen Zeitung" im Deutschlandfunk Kultur über die neuen Gebäude des Nachrichtendienstes. Deshalb finde er den Protest gegen einen so großen Eingriff in die Stadt verständlich. Die Gebäude passten nicht in die Umgebung. Ihn erinnere diese neue Barriere an den Todesstreifen, der früher in der Nähe gewesen sei. (gem)

Das Interview im Wortlaut:

Ute Welty: Licht brennt schon lange, aber erst heute findet der offizielle Festakt in Berlin statt. Eingeweiht wird die neue Zentrale des Bundesnachrichtendienstes, mehr als zwölf Jahre nach dem ersten Spatenstich. Der BND ist zuständig für die zivile und militärische Aufklärung in Deutschland. Der Umzug von Pullach bei München nach Berlin war und ist umstritten. Jetzt also präsentiert sich der Geheimdienst in neuen Räumen, oder sollte man besser sagen: in neuen Fluchten. In der Mitte der Hauptstadt ist ein gewaltiger Gebäudekomplex entstanden. Autor Gerhard Matzig hat sich unter anderem einen Namen gemacht als Architekturkritiker der "Süddeutschen Zeitung". Guten Morgen, Herr Matzig!
Gerhard Matzig: Schönen guten Morgen aus München!
Welty: Die neue BND-Zentrale in Berlin gilt als der größte Neubau der Bundesrepublik. Ist sie auch architektonisch gelungen?
Matzig: Also, ich glaube, vor allem ist es städtebaulich misslungen, nämlich unverträglich in dieser schweren Monumentalität. Architektonisch, also wenn man jetzt einfach die Fassadensprache sich ansieht, wenn man ein großer Fan des italienischen Rationalismus der 30er-Jahre ist, dann kann man dem vielleicht was abgewinnen. Ich finde es ein sehr ödes und abweisendes Gebäude.
 Die Glasfassade des Bundesnachrichtendienstes, der neuen Zentrale in der Chausseestraße in Berlin mit einer künstlichen Palme.
Die Glasfassade des Bundesnachrichtendienstes in Berlin mit 14.000 Fenstern unterstreicht die Gleichförmigkeit. © Michael Kappeler/dpa
Öde allein deswegen, weil man ja immerzu auf die gleiche Fassade guckt. Alle Fensterelemente, diese schießschartenartigen schmalen Fenster, 14.000 Stück sollen das sein, die sehen immer gleich aus. Das ist eine repetitive Architektursprache. Wenn man an dem Gebäude entlanggeht, an diesem abweisenden Zaun entlang, hat man das Gefühl, das Gebäude verfolgt einen. Es sieht immer gleich aus. Also, für mich hat das schon etwas sehr Unangenehmes, ein von seinem Volumen her völlig unpassendes und eigentlich missglücktes Stück Architekturgeschichte.
Welty: Und die Lage, ist das auch eine Machtdemonstration, so mitten in der Stadt?
Matzig: Ja, es ist eine Machtdemonstration der Bürokratie, und verblüffenderweise sollte es ja das Gegenteil werden. Die zugrundeliegende Idee war ja, nachdem der BND mit seiner Zentrale erst in Pullach saß – das ist in einem zauberhaften Isertal bei München –, da waren die Gebäude aus den 30er-Jahren so versteckt im Wald oder eingewachsen.
Dort hat man zwar, wenn man dort entlanggeradelt ist, was ich oft gemacht habe, dann haben schon die hohen Mauern und der Stacheldraht und die Kameras einem zugeschrien, hau ab, hier sind Geheimnisse, hier hast du nichts verloren, geh weg, wir sind gar nicht da. Darum wollte man ja raus, und man hat gesagt, mit der Verlegung der Zentrale nach Berlin machen wir das ganz anders.
Wir zeigen jetzt, dass wir ein offenes Gebäude sind, dass wir Teil der Bürokratie und der Regierung sind, dass wir im Volk und in der Stadt angekommen sind, wir sind nicht mehr so geheim. Aber das ist natürlich totale Heuchelei, denn jetzt sagt das Gebäude immer noch –
Welty: Hau ab!
Matzig: – hau ab, hier sind Geheimnisse, aber in Pullach hat das Gebäude gesagt, ich bin gar nicht da, ich bin eigentlich hinterm Wäldchen versteckt. Hier sagt das Gebäude, ich bin sowas von da, ich bin so wie das Haus des Volkes in Bukarest. Also man kann das nicht mehr übersehen. Es ist so massiv und bedrängend. Also, ich glaube, die Idee hat überhaupt nicht funktioniert.
Die Präsidentvilla auf dem Gelände des Bundesnachrichtendienstes in Pullach. Die Villa war einst Wohnsitz von Martin Bormann, Leiter der Partei-Kanzlei der NSDAP und ein Vertrauter von Hitler, und gehörte zur ehemaligen Reichssiedlung Rudolf Heß, die zwischen 1936 bis 1938 erbaut wurde. Ab 1947 wurden die Gebäude von der Organisation Gehlen und später vom Bundesnachrichtendienst (BND) genutzt.
Der Kontrast zu dem früheren Gelände in Pullach und der Präsidentenvilla könnte nicht größer sein. © Sven Hoppe/dpa
Welty: Aber können Sie sich allen Ernstes ein Geheimdienstgebäude vorstellen, das nicht sagt, hau ab, sondern sagt, komm rein?
Matzig: Eben nicht. Das ist genau diese Paradoxie. Man hat das schon versucht, hier ein neutrales Gebäude zu erbauen. Man hat sogar ein Besucherzentrum berücksichtigt, aber trotzdem wird natürlich ein Nachrichtendienst immer ein Geheimnis, nicht zugängliches Gebäude sein und auch so sein müssen. Deswegen ist diese Idee auch ein bisschen heuchlerisch. Also genau diese Formel, wir machen uns jetzt mal offen und transparent, ist eigentlich völlig absurd gewesen.

Öde Büroarchitektur

Welty: So wie sich der BND jetzt in Berlin Mitte präsentiert, was macht das mit denen, die dort arbeiten? Haben die Raum für Gespräche, Austausch beim Kaffee? Vielleicht steht ja irgendwo ein Kicker oder eine Tischtennisplatte?
Matzig: Die ersten Bilder, die ich von den Büros gesehen habe, ja, also ich würde ihnen einen Kicker gelegentlich wünschen. Es gibt wohl auch Zonen der Kommunikation, aber im Grunde ist das eine sehr öde Büroarchitektur. Es sind Büros mit jeweils zwei Tischen, vier Monitoren, vier Rechnern. Da sitzen zwei Leute jeweils drin und teilen sich eben ein Fenster, und dann kommt die nächste Zelle.
Also eine besonders kommunikative Architektur ist das nun auch nicht. Auch das kann es eigentlich nicht sein. Es ist das Gebäude eines Nachrichtendienstes, und vielleicht war einfach der Fehler, dass man dieses ungeheure Volumen zusammengetragen hat. 260.000 Quadratmeter, die da bebaut sind, also das reiht sich schon ein in den Wettbewerb der Gigantomanie in aller Welt, denn ich kenne wenig Gebäude, die größer sind. Das Pentagon fällt mir da ein oder das Haus des Volkes in Bukarest. Ich glaube, das sind noch mal 100.000 Quadratmeter mehr.
Außenaufnahme des Parlamentsgebäudes in der rumänischen Hauptstadt Bukarest, auch als Haus des Volkes bekannt.
Der Parlamentspalast in der rumänischen Hauptstadt Bukarest, auch als Haus des Volkes bekannt.© picture-alliance / dpa / Karl Thomas
Welty: Es gab ja zum Teil heftige Anwohnerproteste gegen diesen BND-Neubau. Wie wirkt sich der aus auf diejenigen, die in unmittelbarer Nachbarschaft wohnen und da zum Beispiel täglich draufgucken?
Matzig: Der Protest ist, finde ich, verständlich gegen einen so großen Eingriff in die Stadt. Das Gebäude passt auch einfach nicht zu seiner Umgebung, denn die Umgebung dort ist heterogen, kleinteilig, besteht aus Läden, besteht aus Wohnungen, und da hinein hat man jetzt etwas gesetzt, was alle Maßstäbe sprengt, was unzugänglich ist, mit einem hohen Zaun gesichert ist und was eine völlig homogene Masse ist, eben diese Aluminiumfassade.
Das ist etwas, was die Stadt trennt an dieser Stelle und nicht zusammenführt. Das ist eine Barriere, die man da eingebaut hat. Also, es erinnert mich wieder an den Todesstreifen, der da in der Nähe war. Ich kann den Protest also gut nachvollziehen.
Jetzt wird man sich arrangieren mit diesem Gebäude. Es sind ja auch 3.000 bis 4.000 Mitarbeiter dort beschäftigt, und die Hoffnung ist, dass die vielleicht die umgehende Wirtschaft, die Lokalitäten, dass es das vielleicht zum Florieren bringt. Die Gegend selbst ist ja tatsächlich sehr erfolgreich. Da sind einige der teuersten Wohnbauten auch entstanden. Es wird da sicher viel Gastronomie geben.
Also wenn die Mitarbeiter dazu führen, dass es dort an dieser Stelle einen regen Austausch von Finanzgeschichten gibt, dann ist das sehr positiv. Vielleicht betrinkt sich der eine oder andere Mitarbeiter in den Kneipen und der plaudert ein paar Regierungsgeheimnisse aus. Das wäre auch nett.

3000 Schlapphüte

Welty: Ich überlege oder stelle mir gerade irgendwie BND-Mitarbeiter als die Partypeople vor. Mir fällt das ein bisschen schwer, muss ich zugeben.
Matzig: Mir auch. Ich glaube, wenn da 3.000 Schlapphüte auftauchen, ist das vielleicht auch nicht so schön. Nein, ich glaube, diese Gebäude wird nicht in großem Austausch und in großer Kommunikation zu seiner Umgebung funktionieren. Das kann ich mir nicht vorstellen.
Welty: Auch bei diesem Bau gab es Verzögerungen, Unregelmäßigkeiten, Wasserschaden, Insolvenz, Baukosten. Geht öffentliches Bauen nicht mehr ohne?
Matzig: Offenbar. Also der Bauherr hat ja in einem "Spiegel"-Interview, meine ich, gesagt, die Kostensteigerungen seien im Rahmen geblieben. Ich habe mir das noch mal angeschaut. 720 Millionen Euro sollte es kosten, 1,1 Milliarden Minimum hat es gekostet. Das ist für mich eine Steigerung um knapp 50 Prozent. Wenn das noch im Rahmen ist, dann fragt man sich natürlich, ob wir überhaupt noch öffentlich in Deutschland bauen können.
Die geheime, innere Vorfahrt zum Bundesnachrichtendienst BND, aufgenommen in der neuen Zentrale in der Chausseestraße in Berlin.
Die geheime, innere Vorfahrt zum Bundesnachrichtendienst BND. © dpa
Tatsächlich ist die Liste der Bauskandale und der Peinlichkeiten und der Bauten, die nicht funktionieren, wo es immer Kostenexplosionen und Verzögerungen gibt, so bedenklich geworden, dass ich mich schon um den Standort Deutschland als Ingenieursstandort sorge. Das hat zu tun mit den öffentlichen Bauherren, denn im privaten Sektor findet sowas sehr, sehr selten statt, und im öffentlichen Sektor, wo es um öffentliche Gelder geht, hat man offenbar nicht dieses Verantwortungsgefühl und denkt, man hat genug Geld und kann das auch ausgeben.
Deswegen guckt man da nicht so genau hin. Es hat oft mit den Planungen zu tun, die einfach ungenau sind, und das ist hochärgerlich.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema