Architektur-Utopien

Die geplatzten Träume von "Arcosanti" und "Masdar City"

Die Experimentalstadt "Arcosanti"
Die Experimentalstadt "Arcosanti" in Arizona/USA. Hier eine Aufnahme von 1991. © imago/Detlev Konnerth
Von Marietta Schwarz  · 22.12.2016
Solange gebaut wird, haben Architekten auch versucht, über sich selbst und das Mögliche hinauszuwachsen. Vor allem das 20. Jahrhundert ist das Jahrhundert der Utopien: Manche wurden Realität, andere scheiterten grandios.
In unserer Reihe über Utopien widmen wir uns heute den Architektur-Utopien: Denn solange gebaut wird, haben Architekten auch versucht, über sich selbst und das Mögliche hinauszuwachsen. Vor allem im 20. Jahrhundert, mit dem ein massives Wachstum der Städte und neue technische Möglichkeiten durch die Industrialisierung einhergingen, ist das Jahrhundert der Utopien: Nicht nur am Reißbrett, sondern auch in der Realität. Unsere Kollegin Marietta Schwarz hat nachgefragt, was eigentlich passiert, wenn eine Utopie plötzlich gebaut ist? Und entwickeln wir heute eigentlich noch Utopien?
"Ich empfinde das Wort Utopie als eine Beleidigung, weil es noch nie einen Sinn ergeben hat. Es ist ein Hirngespinst."
War es Resignation? Oder war es eine Rechtfertigung, die den Architekten Paolo Soleri am Ende seines Lebens zu solchen Äußerungen trieb? Über 40 Jahre waren vergangen seit der Gründung seiner Experimentalstadt "Arcosanti" in der Wüste von Arizona.
Arcosanti – eine ökologische Stadtutopie der 1970er-Jahre: Kompakt, organisch, autark und im Einklang mit der Natur sollten die Menschen hier in ihren kuppelförmigen Betonbauten leben. Ein Gegenentwurf zum damaligen Idealbild der autogerechten Stadt – Energiequellen: Wüstenwind und Sonne.
"Von Weitem erinnerte mich das an so ein mediterranes Dorf, es wohnen 60 Menschen dort, wir als Besucher sind diejenigen, von denen Arcosanti lebt. Man kommt dann ins Nachdenken..."

...sagt die Architekturkritikerin Friederike Meyer. Tausende Menschen hätten in Arcosanti eigentlich leben sollen. Doch die hochtrabenden Pläne wurden nur ansatzweise realisiert – von Freiwilligen. Wer Architekturutopien besuche, so Friederike Meyer, erwarte stets ein Bild des Scheiterns. Und doch:
"Man denkt darüber nach, wie schön es eigentlich ist, dass es Menschen immer wieder schaffen, diese Ideen auch wirklich anzufangen. Sie sind im Grunde auch ein Labor für das menschliche Fortkommen."
Gibt es sie überhaupt, die gebaute Utopie? Nein, sagt der Visionär Paolo Soleri:
"Vergessen wir die Utopie. Das ist einfach totaler Quatsch."
Nein, sagt auch Friederike Meyer.
"Der Begriff gebaute Utopie ist eigentlich ein Widerspruch, wenn man davon ausgeht, dass Utopie heißt: Der Nicht-Ort. Wenn eine Utopie vom Papier in die Realität findet und nicht scheitert, ist es keine Utopie mehr."

Träume von Wolkenkratzern und Häusern vom Fließband

Zum Beispiel die sozialen Wohnungsbauten der 1920er-Jahre: gelungene Nicht-Mehr-Utopien mit Welterbestatus.
Geträumt haben Architekten vor allem im 20. Jahrhundert, so der Architekt und Kunstwissenschaftler Carsten Krohn. Weil technisch durch die industrielle Revolution alles möglich schien: Wolkenkratzer, die funktionale Stadt oder die Häuser vom Fließband, die sich Buckminster Fuller Mitte des 20. Jahrhunderts ausdachte:
"Der hat sich überlegt, dass die Häuser dann transportabel sind und an unterschiedlichen Orten auf- und abgebaut werden können. ...Sein Antrieb dabei waren ökologische Argumente, eigentlich etwas, das man heute diskutiert."
Von Fullers Vision wurde nur ein Prototyp entwickelt. Aber immerhin sind in den USA inzwischen Mobile Homes weit verbreitet. Und zahlreiche Open Source Projekte verfolgen die Idee eines Hauses aus dem 3D-Drucker.
"Heute gibt es auf der ganzen Welt wieder einen neuen Boom von visionären Projekten ähnlich wie in den 60er-Jahren. Aber vieles, was heute entsteht, was radikal ist, hat nicht mehr den gleichen gesellschaftspolitischen Impetus wie die Projekte der 60er-Jahre."


Das Wüstenprojekt Masdar City in Abu Dhabi ist vielleicht das aktuellste Beispiel einer gescheiterten Utopie: Geplant als CO2-neutrale Wissenschaftsstadt, die sich mit erneuerbaren Energien versorgen soll. Doch Wüste, Wohnen und Klimaneutralität vertragen sich auch im 21. Jahrhundert noch nicht.
"Und dort kam ich hin und war vielleicht enttäuschter als bei Arcosanti oder Brasilia, weil auch dieser Traum dort noch so aufrecht erhalten wird in den Medien."
...erzählt Friederike Meyer.
"Und wir erlebten dort, wie wir von einem selbstfahrenden Automobil aus der Tiefgarage abgeholt wurden, um in die Stadt zu fahren, die selbst autofrei funktionieren soll, und aus dieser Tiefgarage kamen wir nach oben und es rauschte nur so von den üblichen Klimaanlagen. Es gab einen Ökoladen, der wirkte wie so ein Souvenirshop. Und auf der anderen Seite war ein großer Parkplatz, wo alle mit ihren großen SUVs gefahren kommen. Weil man in den kleinen Blöcken nicht fahren muss."
Masdar sei im Prinzip die High-Tech-Variante von Arcosanti, sagt Friederike Meyer. Was uns zeigt: Die Frage, wie wir auf dem Erdball ein gutes Leben führen können, ohne ihn zu ruinieren, treibt uns immer noch um. Die Bilder aber haben sich geändert: Der visionäre Stadtentwurf am Reißbrett sieht nicht mehr unbedingt spektakulär aus. Scheitern macht vielleicht auch ein bisschen demütig.
"Ich denke, dass viele Architekten heute sagen würden: Wir sind nicht in der Lage, die Gesellschaft zu verändern. Und das ist nicht nur was, das die Architekten von sich selbst sagen, sondern was die Gesellschaft von den Architekten denkt und was auch richtig ist. ...Wir haben natürlich gemerkt, dass die Realität viel komplexer ist als einfache Lösungen."

Was ist aus den Utopien und Visionen von Thomas Morus geworden? Der Schwerpunkt "Zukunft denken. 500 Jahre 'Utopia'" in Deutschlandradio Kultur sucht nach Antworten vom 18. bis 27. Dezember. Die Übersicht der Themen und alle bereits gesendeten Beiträge gibt es hier zu lesen und zu hören: Utopien in Politik, Gesellschaft und Kunst − Welche anderen Welten sind möglich?
"Paradies" von Hieronymus Bosch
"Paradies" von Hieronymus Bosch© Bild: Imago