Architektur

Sparsamer bauen, besser leben

Arno Brandlhuber im Gespräch mit Katrin Heise · 04.12.2013
Man könne mit seinem Leben auch etwas anderes anfangen, als 40 Jahre lang einen Wohnungskredit abzuzahlen, meint der Architekt Arno Brandlhuber. Im Interview plädiert er daher für mehr Sparsamkeit.
Katrin Heise: Was kann Architektur sein? Architektur kann das Ordnen von sozialen Beziehungen durch Gebautes sein. So ein Verständnis von Architektur hat der Architekt Arno Brandlhuber, der in Berlin ansässig ist. Dreimal vertrat Brandlhuber Deutschland auf der Architekturbiennale in Venedig, er lehrt als Professor in Nürnberg, und wir erreichen ihn jetzt in Zürich. Ich grüße Sie, Herr Brandlhuber!
Arno Brandlhuber: Guten Tag!
Heise: So ein Satz, das Ordnen von sozialen Beziehungen durch Gebautes, wie man ihn über die von Ihnen initiierte "Akademie c/o" lesen kann, die sich mit Architektur und Stadtplanung beschäftigt. Dieser Satz lässt ja auf Verantwortung des Architekten im sozialen Miteinander unserer Gesellschaft schließen. Ist Bauen eine soziale Aufgabe und trägt Verantwortung?
Brandlhuber: Zunächst mal, wenn man davon ausgeht, dass wir hier über städtisches Bauen reden, also über das Zusammenleben innerhalb von Städten, heißt das, das ganz verschiedene soziale, kulturelle Gruppierungen miteinander in einem Raum zu Hause sind oder zu Hause sein sollen. Und das heißt, dass es um Ordnung geht zwischen diesen verschiedenen sozialen Schichten, verschiedenen kulturellen Milieus. Und unser Grundansatz wäre, dass es darum geht, dass möglichst verschiedene, unterschiedlichste Gruppierungen am gleichen Ort und auch mit Zugang zu den Lagen miteinander auskommen.
Heise: Die Wirklichkeit sieht ja ein bisschen aus. Aber kann Architektur tatsächlich der sozialen Entmischung ganzer Stadtviertel entgegenwirken, also dass die hippe Innenstadt für die Reichen ist und die weniger attraktiven Randlagen für die, die weniger zahlen können oder nichts?
Brandlhuber: Architektur kann da nur einen Teil dazu beitragen. Zuerst geht es natürlich darum, dass der Zugang zu diesen Grundstücken und so weiter nicht nur als handelbare Ware verstanden wird, sondern dass vielleicht da Gewinnerzielungsabsichten zurückgesteckt werden. Das kann sozusagen die öffentliche Hand relativ gut steuern, gerade, wenn sie noch über eigene Liegenschaften verfügt oder, wie in den meisten Städten Deutschlands zumindest ja noch, dass sie über eigene Wohnungsbaubestände verfügen, in denen sie eine soziale Mischung durchaus auch weiter protegieren können.
Und Architektur kann in dem Zusammenhang natürlich auch dazu beitragen. Also man kann sich vorstellen, dass ein Gebäude oder eine Wohnung dann günstiger wird – auch in der Miete – wenn es sich um eine Mietwohnung handelt, wenn die Erstellungskosten günstiger sind. Also, ein ganz maßgeblicher Punkt liegt darin, dass wir mittlerweile glauben, dass die Standards, die verlangt werden, um Wohnungsbau herzustellen, so hoch sind, dass eben kein bezahlbarer, auch im Mietvergleich bezahlbarer Wohnungsraum mehr entstehen kann.
Wohnen und Arbeiten kombinieren
Heise: Die Standards, die man sich quasi selber setzt, oder die, die von irgendwelchen Gesetzesvorhaben oder, was weiß ich, ökologischen Gesichtspunkten her gestellt werden? Von welchen Standards sprechen Sie da?
Brandlhuber: Von beiden Seiten. Man könnte, nur um ein Beispiel von der Gesetzgeber-, also der legislativen Seite. Man könnte zum Beispiel sagen, wenn es um den Energieverbrauch geht, dass es nicht mehr darum geht, dass jeder Quadratmeter Wohnraum gleich viel Energie verbrauchen darf, sondern dass es um einen persönlichen energetischen Fußabdruck geht. Das heißt, jeder darf gleich viel für sein Wohnen an Energie verbrauchen. Das heißt, jemand, der weniger Wohnraum in Anspruch nimmt, müsste dann wesentlich weniger ausgeben, um ein gleichermaßen isoliertes oder sozusagen energetisch optimiertes Gebäude zu haben. Jemand, der sehr viel Fläche in Anspruch nimmt, muss dann wesentlich höhere Aufwendungen machen. Das wäre auf der legislativen Seite.
Und es geht natürlich auch darum, dass Architekturen auch in der Lage sind, ganz andere Angebote zu machen. Also, wenn wir uns vorstellen, man kann zum Beispiel Wohnen und Arbeiten kombinieren in einer Situation – und dafür gibt es kaum Angebote zurzeit in den Innenstädten – dann hat man sozusagen für den, der dafür arbeitstechnisch prädestiniert ist, hat er eben weniger Aufwendungen sowohl im Büro als im Wohnraum zu finanzieren. Oder wir können sagen, es macht fast überhaupt keinen Unterschied, viele Flure zu bauen, viele Treppenhäuser und so weiter, sondern sich darauf zu konzentrieren, dass Wohnen eine reine Nutzfläche wird. Und das geht mit ganz unterschiedlichen architektonischen Konzepten, die aber nicht gleichermaßen so aussehen wie die Wohnungen, die man vielleicht aus den 60er-Jahren oder aus den 80er-Jahren kennt.
Nicht ein Leben lang den Kredit abzahlen
Heise: Jetzt haben Sie ganz viele verschiedene Aspekte angesprochen. Wenn ich noch mal eben zurückgehe, wo Sie sagen, wie man erst mal überhaupt baut, mit welchen Materialien man baut. Sie haben ein Haus gebaut in Berlin-Mitte in der Brunnenstraße 9, ein sehr gelobter Bau. Vor drei Jahren ist er erstellt worden. In diesem Haus haben Sie beispielsweise Wohnen und Arbeiten versucht, zusammenzudenken und zu ermöglichen, Sie haben aber vor allem erst mal das genommen, was da war. Da war nämlich keine leere, saubere Baulücke, sondern da war eine Investruine. Ist es zum Beispiel günstiger gewesen, die einfach mit einzubauen?
Brandlhuber: In dem konkreten Fall war es so, dass das Untergeschoss schon gebaut war, und das wissen vielleicht die Wenigsten, die sich wirklich mit Bauen beschäftigen, dass das Untergeschoss meistens der teuerste Teil eines Gebäudes ist. Das heißt, das Weiterverwenden von etwas Bestehendem ist auf jeden Fall günstiger, und zwar sowohl auf der Seite der Investkosten, weil der Teil eben schon besteht, aber auch energetisch. Also jeder Neubau, jeder Baustoff, der eingesetzt wird, verbraucht ja auch wieder Energie. Und wenn man das weiterdenkt, wenn man es wirklich radikal weiterdenkt, braucht natürlich auch jeder eingesetzte Euro zur Herstellung dieses Euros energetische Prozesse im Hintergrund. Das heißt, je weniger wir für Gebäude ausgeben, desto weniger Energie haben wir auch verbraucht.
Und es ist jetzt keineswegs nur eine Frage sozusagen für sozial Schwache, sondern ich glaube, dass auch diejenigen, die es sich leisten könnten, mehr auszugeben und sich mit einer größeren Summe vielleicht da zu verschulden, wenn sie sich Eigentum bilden wollen, zum Teil gut dran beraten wären, sich nicht auf 40 Jahre oder 20 Jahre zu verschulden, sondern eben nur auf zehn, dann abbezahlt zu haben und mit dem Geld noch was ganz anderes in ihrem Leben anfangen zu können als nur ihren Wohnungskredit zurückzuzahlen.
Heise: "Neue Bescheidenheit – Architektur der Verknappung", so heißt eine Architekturausstellung, die morgen Abend in Berlin eröffnet wird. Im Radiofeuilleton hören wir dazu den Architekten Arno Brandlhuber. Das, Herr Brandlhuber, was Sie eben angesprochen haben, nämlich auch so diese persönliche Strategie des Zurückzahlens, das ist ja auch einer, also das kann man ja auch unter dem Stichwort moderne Lebensentwürfe bilden, vielleicht ist das Haus, was man da bezogen hat, dann in zehn, fünfzehn Jahren gar nicht mehr so ganz das Richtige. Wie sollte denn Architektur auf andere Lebensentwürfe – also, ich baue nicht einmal, bis an mein Lebensende werde ich da wohnen beispielsweise – reagieren? Oder eben leben, arbeiten zusammendenken, flexibel bleiben, älter werden – all das muss ja ein Bau eigentlich ja mittragen können, oder?
Flexible Raumgestaltung nach Lebensentwurf
Brandlhuber: Ja, das fängt bei den Kosten an. Wenn es günstiger ist, muss ich mich weniger lang verschulden, weniger lang belasten. Ich bin sozusagen freudiger im Leben, weil ich nicht so stark verschuldet bin. Es geht aber weiter mit Fragen – es kann natürlich sein, ich brauche eine Zeit lang mehr Raum und ich hab in einem anderen Zeitraum gebraucht weniger Raum oder will einen Teil untervermieten aus wirtschaftlichen Gründen. Es macht also durchaus Sinn, dass selbst eine Wohnung zwei Eingänge hätte, dass man die teilen kann, dass man Innenwände verändern kann, und zwar möglichst einfach.
Also, dass jemand, der jetzt kein Bau-Profi ist, mit einfachsten Mitteln sozusagen sich den Raum so herstellen kann, wie er ihn wirklich braucht. Und noch mal zurück zur Brunnenstraße, dort gibt es viele Ausstattungsdetails, die kann man sich leisten wollen, wie beispielsweise irgendeinen guten Bodenbelag. Aber man muss es sich ja nicht leisten, weswegen wir da die Räume so angeboten haben, dass es erst mal relativ robust ist. Und alles, was sozusagen dem persönlichen Geschmack oder vielleicht einer höheren luxuriösen Ausstattung geschuldet ist – und zwar wirklich alles – wird jeweils vom Nutzer eingebracht und auch wieder entfernt, wenn er das möchte.
Heise: Also das heißt, jemand, der irgendwo einzieht, muss nicht erst mal irgendeinen Bodenbelag entfernen, den er gar nicht haben möchte. Sie haben, weil Sie gerade 'robust' sagen, beispielsweise die Heizungsrohre liegen einfach so im Raum, das hat ja nicht nur ästhetische Gesichtspunkte, also der eine mag's, der andere mag's vielleicht nicht, sondern man heizt gleichzeitig mit den Heizungsrohren.
Brandlhuber: Klar. Wenn die Heizungsrohre offen geführt sind, dann heizen die mit und ich brauche einen kleineren Heizkörper und hab auch die Heizleistung gleichmäßiger im Raum verteilt. Das heißt, wir reden hier eben auch über eine Art von Vorstellung, die man von seinem Wohnen hat. Und natürlich fällt das erst mal ins Auge, wenn Sie mal bei dem genannten Beispiel, ein Heizungsrohr, also eine technische Infrastruktur sichtbar ist. Und es ist einfach von den Erstellungskosten her günstiger. Es ist von der Nutzung her günstiger, und in einem Schadensfall ist es um ein Vielfaches günstiger, weil das kleine Leck erkennen wir sofort, wo es sich wirklich befindet.
Architektur als hedonistischer Lifestyle
Heise: Und man muss nicht ganze Wände aufstemmen. Das also, ist das auch so ein bisschen dem – also diese Ausstellung heißt ja "Architektur der Verknappung". Ist das Stichwort Verknappung da bei Ihnen so gedacht in Richtung Verknappung der Ressourcen, also Architektur muss auch daran denken, Ressourcen zu sparen?
Brandlhuber: Wenn wir uns vorstellen, dass unser Lifestyle sich ja maßgeblich geändert hat, also wir wissen, wir wollen nicht mehr so fettleibig sein, sondern verknappen unsere Nahrungszufuhr, zumindest in diesen westlichen Ländern, freiwillig, um besser auszusehen. Das Gleiche könnte man auch auf Architektur übertragen. Also Verknappung ist sozusagen nicht nur die Ressourcenfrage, die ist es auch, es ist aber auch sozusagen ein Lifestyle, der sehr viel hedonistischer sein kann, wenn man auf Teile verzichtet. Also es geht nicht nur um diesen Minimalstandard. Und es ist einfach ein ganz maßgeblicher Punkt, dass Wohnraum gerade in Städten, in größeren Städten, auch immer knapper wird. Und wenn wir davon ausgehen, dass möglichst alle Zugang auch zu den insofern guten Lagen in der Stadt haben sollten, wo man auch sozusagen einer Erwerbstätigkeit leicht nachgehen kann, dann müssen wir einfach dafür sorgen, dass möglichst viele auf möglichst engem Raum hochqualitativ zusammenwohnen können. Und das hat eben auch viel mit der Ressource Finanzen zu tun.
Heise: Sagt Arno Brandlhuber, Architekt. Danke schön für das Gespräch, Herr Brandlhuber!
Brandlhuber: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Veranstaltungshinweis:
Im Deutschen Architekturzentrum Berlin wird am 5. Dezember die Ausstellung "Neue Bescheidenheit – Architektur der Verknappung" eröffnet.
Konzepte für gute und günstige Architektur aus Deutschland, Thailand, Indonesien oder Uganda und Chile werden gezeigt.