Architektur

Pritzker-Preisträger Aravena steht für eine Zäsur

Der chilenische Architekt Alejandro Aravena im Oktober 2015.
Der chilenische Architekt Alejandro Aravena spricht bei einer Architekturkonferenz in Moskau © imago/ITAR-TASS
Von Jochen Stöckmann · 13.01.2016
Der chilenische Architekt Alejandro Aravena erhält den diesjährigen Pritzker-Preis. Damit unterstreicht die Jury die Bedeutung einer sozial verantwortungsvollen Architektur - und würdigt zugleich eine junge Generation Lateinamerikas.
Alejandro Aravena – dieser Pritzker-Preisträger aus Chile steht für eine Zäsur, markiert die Kehrtwende der Jury hin zu den eigentlichen, den nicht nur ästhetischen Aufgaben einer sozial verantwortungsvollen Architektur.
Wie wären seine Vorgänger verfahren mit einer Favela, in der sich auf einem halben Hektar die selbstgezimmerten Notunterkünfte von 100 Familien zusammenballen? Die Antwort der klassischen Moderne waren Bulldozer. Mit dekorativen Stilcollagen pflegte die Postmoderne solche Probleme zu verdecken. Und sogenannte "Star-Architekten" wie Norman Foster oder Rem Koolhaas haben für Slums wohl nur einen flüchtigen Blick aus dem Privatjet übrig. Aravena aber ist 2004 mit seinem VW-Käfer zur Quinta Monroy gefahren – und hat mit allen Beteiligten gesprochen:
"Partizipation ist weder für romantische Hippies noch für Leute, die gleich die richtige Antwort wissen. Man muss die richtigen Fragen finden. Nichts ist schlimmer als gute Lösungen für die falschen Probleme."
"Ein Wald gegen die Flutwellen"
Also beschränkte sich Aravena darauf, halbfertige Häuser zu bauen, für Küche, Sanitärinstallation, ein Dach und Schlafzimmer zu sorgen. Denn den Rest konnten die Bewohner aus eigener Kraft hinzufügen, ohne Kapital, aber mit viel Eigeninitiative. Dass am Ende dieser Entwicklung das eigene Auto steht, mit dem der von Aravena als öffentlicher Treffpunkt vorgesehene zentrale Platz zugeparkt wird – kann vorkommen, wenn es um soziale Prozesse geht. Nicht um genialisch-intuitive Baukunst oder das Errechnen besonders "kühner" Statik am Supercomputer.
Diese fantasielosen Krücken hätten kaum weitergeholfen, als die vom Tsunami heimgesuchte chilenische Stadt Constitución wieder aufgebaut werden sollte. Nach heftigen Diskussionen verzichteten die Bürger auf den massiven Betonwall zugunsten einer ungewöhnlichen Lösung:
"Ein Wald gegen die Flutwellen – der zugleich demokratischen, freien Zugang zum Fluss bietet. Als Ergebnis der Bürgerbeteiligung, befürwortet von der Politik und der Gesellschaft."
Allerdings erst, nachdem Alejandro Aravena seinen jugendlichen Charme eingesetzt hatte, hinter dem sich ein knallharter Überredungskünstler verbirgt. Und mit Unterstützung von COPEC, der chilenischen Ölgesellschaft, die auch an Aravenas Büro Elemental beteiligt ist.
Keine Angst vor großen Tieren
Der Architekt – ein umsichtiger Dompteur – hat keine Angst vor großen Tieren. Denn auch die Wirtschaft hat als Akteur ihren Platz im Planungsprozess – außerdem lässt sich von Managern so manches lernen. Etwa für den Umgang mit den Baubehörden:
"Wir haben die Struktur des Städtebaus untersucht: Drei Ministerien fördern drei Projekte an exakt demselben Ort! Dagegen setzen wir mit unserer Methode die derzeit knappste Ressource effektiv ein: nicht Geld, sondern koordinierte Zusammenarbeit."
Damit ist sozialer Wohnungsbau nicht länger lästige "Staatsausgabe", sondern soziales Investment. Der Pritzker-Preisträger hat sich mit einem "Innovation Center" in Santiago de Chile aber auch größeren Gebäuden gewidmet, einer sogenannten "Ikone": Der Verwaltungssitz steht klotzig da wie eine Betonskulptur, doch das hat durchaus keine ästhetischen Gründe.
Im Innern ermöglicht ein großzügiges Atrium für Begegnungen, überdimensionale Fensteröffnungen sind als Gartenterrassen angelegt. Vor allem aber filtern massive Außenwände anstelle der üblichen Glasfassade die Sonneneinstrahlung, machen eine aufwendige Kühlung überflüssig.
"Mit diesem Design kommt Nachhaltigkeit wie von selbst"
"So schwer kann das nicht sein: Es geht nicht um raffinierte Software oder Weltraumtechnologie, sondern um ganz altmodischen, gesunden Menschenverstand! Damit reduzieren wir 120 Kilowatt pro Quadratmeter auf 40 Kilowatt. Mit diesem Design kommt Nachhaltigkeit wie von selbst."
Schließlich wird mit diesem Pritzker-Preis eine junge Generation Lateinamerikas gewürdigt. Architekten wie Urban-Think Tank aus Venezuela oder der Argentinier Jorge Mario Jáuregui, der in Brasilien mit "slum-upgrading" das Wohnen und die Qualität öffentlicher Räume in Elendsvierteln verbessern hilft. Immer im Sinne von Alejandro Aravena:
"Diese sozialen Kräfte müssen in eine Form übersetzt werden – nicht Backsteine, Beton oder Holz. Der Gebäudeentwurf als "Synthese" heißt, die Kräfte des Alltagslebens ins Zentrum der Architektur zu stellen."
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