Architektur-Biennale in Chicago

"Zu sehr in die eigene Geschichte verliebt"

Das vom deutsch-amerikanischen Architekten Ludwig Mies van der Rohe entwickelte Farnsworth House in Plano bei Chicago
Das vom deutsch-amerikanischen Architekten Ludwig Mies van der Rohe entwickelte Farnsworth House am Ufer des Fox River © picture alliance / dpa / Chris Melzer
Von Jürgen Kalwa · 03.10.2015
Die erste Architektur-Biennale in Nordamerika zeigt, dass eine architekturaffine Stadt wie Chicago zwar das Geld mobilisieren kann, um eine solche Großveranstaltung auf die Beine zu stellen, aber die Frage nach der Relevanz bleibt trotzdem.
Man muss einige Kilometer von Chicago aus aufs platte Land fahren, um eines der Meisterwerke des Architekten Ludwig Mies van der Rohe sehen zu können: das Farnsworth House am Ufer des Fox River. Die berühmte gläserne Villa zwischen hohen Laubbäumen. Seit ein paar Jahren ein Museum.
Doch die Distanz schreckte niemanden ab, das Haus zu einem Nebenschauplatz einer Initiative zu machen, die in den kommenden Monaten gleich zwei Dinge leisten soll: an den Ruf der Millionenstadt am Lake Michigan als Katalysator für moderne Architektur zu erinnern und gleichzeitig die Augen zu öffnen für neue Ideen.
Beides soll die erste Architektur-Biennale in Nordamerika leisten – mit Ausstellungen, Podiumsdiskussionen, Bauprojekten und einer Vielzahl weiterer Programmpunkte. Darunter: drei Streichquartett-Konzerte in dem 140 Quadratmeter kleinen – Glaspalast.
Die Musik hat die Amerikanerin Mary Ellen Childs geschrieben, die einen Hang zum Perkussiven hat und überlegte, Stücke zu komponieren, die aus dem Rahmen fallen und die Wände und Möbel als Instrumentarium einzubeziehen.
Nicht für alle Ideen und Experimente hat man Verständnis
"Das Haus selbst spielen. Das würde man sich schon wünschen. Aber es hätte sich nicht gut angefühlt, auf diesen schönen Holzschränken herumzuklopfen."
Und so wird das Ganze eben konventioneller ausfallen. Und natürlich auch gefälliger.
Die Episode illustriert ein Dilemma: Nicht für alle neuen Ideen und Experimente hat man bei einer Architektur-Biennale Verständnis. Schon gar nicht hier, der Ur-Metropole des urbanen amerikanischen Lebensgefühls mit ihrem attraktiven Wolkenkratzer-Ensemble. Weshalb? Der Trend geht zur Musealisierung.
"Chicago zur Zeit ist ein bisschen zu sehr in die eigene Geschichte verliebt",
sagt der Architekt Alexander Eisenschmidt, in Sachsen-Anhalt geboren und seit einer Weile Professor an der University of Illinois.
"Und man ist sehr darauf aus, die Stadt schön zu bereiten. Was sie natürlich absolut ist. Aber was verloren geht, ist das Intensive, was man an der Geschichte von Chicago hat. Es ist ja eine relativ junge Stadt."
Keine andere Stadt so stolz
Zusammenpuzzelt über Jahrzehnte mit Hilfe von Architekten, die bei allem narzistischen Naturell einen Sinn fürs größere Ganze hatten. Darunter: Mies van der Rohe, Louis Sullivan, Frank Lloyd Wright und so mancher ihrer Schüler.
"Auch wenn man sagt, das ist so im Laissons-Faire-Development für die Industrie geschehen, kann man eine Handschrift erkennen, die sich aus der Stadt heraus entwickelt hat."
Und das sorgte für eine Rückkopplung, sagt Eisenschmidt:
"Es gibt, glaube ich, keine andere Stadt in den USA, die sich mehr mit Architektur befasst und stolz auf die Architektur ist wie Chicago."
Es wird noch immer gebaut. Attraktive Freiluftflächen am Lake Michigan zum Beispiel. Aber leider auch Auswüchse wie den vom Immobilien-Spekulanten Donald Trump zu verantwortenden protzigen gläsernen Turm am Chicago River.
Tatsächlich kann Chicago von der Vergangenheit auf die Dauer nicht zehren. Wie bleibt man als Metropole abseits wirtschaftlich bedeutenderer Zentren wie New York, Los Angeles oder Silicon Valley relevant?
Viel eigenes sprießt derzeit nicht. Also zapfte man für die Biennale – Titel "Der Stand der Architekturkunst" – konsequenterweise gleich das kreative Potenzial aus dem Rest der Welt an. Rund 500 Architekten meldeten sich mit Konzepten und Projektideen. Etwas mehr als 100 aus 40 Ländern wurden ausgewählt.
"Wir legen den Grundstein, damit es weitergeht"
Für Sarah Herda, eine der beiden Künstlerischen Leiter, ein vielverspechender Anfang:
"Wir hoffen, dass dies zu einer Institution wird wie die großen Architektur-Biennalen in Venedig und Sao Paulo. Es ist eigentlich kaum zu begreifen, dass es eine solche Veranstaltung noch nie in den USA gegeben hat. Aber wir legen den Grundstein, damit es weitergeht. Auch mit Hilfe der unglaublichen Unterstützung."
Rein private Unterstützung, übrigens. In Höhe von etwas mehr als sechs Millionen Dollar. Den größten Batzen steuerte der umstrittene Ölkonzern BP bei. Worauf der Bürgermeister Rahm Emanuel besonders stolz ist. Genauso wie auf die offiziell propagierte Version, wonach die Biennale angeblich seine Idee war.
Das klingt gut. Besonders in einer Zeit, in der die Haushaltskassen überstrapaziert sind und die Stadt Schulen und Krankenhäuser schließt. Nicht zu reden von der Gewalt in den Straßen. Tagtäglich werden in Chicago durchschnittlich zwei Menschen ermordet.
Mit der Biennale will man sich dem irgendwie entgegenstemmen und den Tourismus neu ankurbeln. Aber vor solchen Ambitionen warnt nicht nur Stanley Tigerman, so etwas wie die graue Eminenz der Chicagoer Architekten. Auch Alexander Eisenschmidt, der für den Katalog einen Essay über die Geschichte von elf herausragenden Gebäuden und städteplanerischen Ideen schrieb, ist skeptisch.
"Ich habe immer darauf aufmerksam gemacht, dass die Biennale nur eine Architektur-Biennale sein kann, wenn sie für die Architekten wichtig wird. Für den Diskurs."
Aber ob das aber gelingt, lässt sich so früh noch gar nicht sagen. Das wird sich erst bei der nächsten oder übernächsten Ausgabe zeigen.
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