Architektur als Lebensform

05.11.2013
Der Hamburger Architekt Christoph Düesberg thematisiert die architektonische Antwort auf den Bevölkerungsboom der Nachkriegsjahre: Megastrukturen. Text und Bild sind nüchtern und ansprechend verknüpft in diesem Buch, gerade am Text hätte man aber noch feilen müssen.
Die ersten drei Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg waren nicht nur die Zeit eines in der Weltgeschichte einzigartigen Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstums, sondern auch die der großen städtebaulichen und architektonischen Utopien. Sollten sich die Gesellschaften vor allem Europas und Asiens, traumatisiert vom Krieg, von Menschenverlusten ohne Gleichen, der Zerstörung ganzer Städte und Erinnerungslandschaften, sich nicht gleich ganz neu erfinden?

Eine Antwort auf diese immer wieder gestellte Frage war die Forderung nach Megastrukturen, wie sie 1964 der japanische Architekt Fumihiko Maki erstmals benannte: Riesenbauten, die das Bevölkerungswachstum aufnehmen konnten, ohne, wie die alten Städte, die kostbare Agrarlandschaft zu zersiedeln, aber trotzdem flexibel genug sein sollten, auf neue Wandlungen der Gesellschaft zu reagieren.

Nun legt der 1976 geborene Hamburger Architekt Christoph Düesberg ein neues Buch zum Thema vor. Quadratisch gehalten, angemessen nüchtern gesetzt, nicht so hektisch, bunt und mit großen Farbtafeln, wie man es von DOM Publishers sonst leider gewohnt ist. Die Fotografien und Zeichnungen sind klug in den Text eingebunden, man lernt alleine schon durch das Durchblättern viele der Entwürfe der japanischen Metabolisten, der britischen Archigram-Gruppe und Jona Friedmanns kennen, die im Zentrum des Buches stehen.

Der Text allerdings hätte einen scharfen Redakteur benötigt. Er liest sich mit vielen Wiederholungen und unkritisch übernommenen Literaturexzerpten in weiten Strecken wie jene Abschlussarbeit, aus der er hervor gegangen ist. Oft erhält man, vor allem, sobald es um die Kultur- und zeitgeschichtliche Einordnung des Phänomens Megastrukturen geht, bestenfalls Internet-Wissen, sogar unsinnige Anglizismen wie Milan Central Station für den Mailänder Hauptbahnhof blieben stehen.

Im Ärger darüber überliest man dann schnell die vielen interessanten Beobachtungen, die Düesberg gemacht hat. Er will keine neue These zur Idee der Megastrukturen aufbauen, sondern das Bekannte für die neuesten Debatten um die Zukunft unserer Städte wieder verfügbar machen. Streng hält er sich dabei an die Definition von Megastrukturen als weitgehend unveränderlich gedachten Gerüsten und Bauten, in die die unterschiedlichsten Nutzungen regelrecht eingehängt werden können. Wie etwa im Pariser Centre Pompidou Ausstellungsräume, Bibliotheken, Cafes und Kinos. Oder die Stapelung der Habitat-Wohnungen in Montreal, die frei zusammen gefügt werden können.

Die Idee, alle Probleme unserer Städte mit einem riesigen Gewaltschlag lösen, faszinierte immer wieder. Exit Utopia – architectural provocations 1956–1976 von Martin van Schaik und Otakar Mácel (2005) oder Megastructure reloaded von Sabrina van der Ley und Markus Richter (2008) zeigten das in jüngster Zeit. Auch in Düesbergs Buch fehlen Le Corbusiers Riesenstraßen mit Wohnhäusern für Rio de Janeiro oder Algier nicht, genau so wenig Kenzo Tanges Plan, die Bucht von Tokio mit einem gewaltigen Straßengerüst und darin eingestellte Hochhäuser zu überbauen.

Die Besiedlung des Monds und des Alls schien nur noch eine Frage der Zeit zu sein, Atomkraft ewige Energiesicherheit zu garantieren, das Klein-Klein der historischen Städte der Vergangenheit anzugehören. Dass genau dieses Klein-Klein aber sehr viel flexibler ist als alle flexibel geplanten Megastrukturen, und das es weit besser zur Idee der Demokratie passt, dass sollte wenigstens angemerkt werden.

Besprochen von Nikolaus Bernau

Christoph Düesberg: Megastrukturen. Architekturutopien zwischen 1955 und 1975
DOM Publishers, Berlin 2013
200 Seiten, 170 Abb., 28 Euro