Architekt zwischen zwei Frauen

12.08.2009
In Peter Stamms Erzählung "Der Brief", erschienen im Erzählungsband "Wir fliegen" im Jahr 2008, stellt sich für die Protagonistin nach dem Tod ihres Mannes die Frage, ob er während der gemeinsamen Ehe fremd gegangen ist aus einem "Überschuss" an "Liebe und Neugier".
Fremd geht auch Alexander in Peter Stamms neuem Roman "Sieben Jahre". Doch ihn treibt nicht ein Überschuss aus Liebe oder Neugier in die Arme der Polin Iwona. Alexander fühlt sich vielmehr von der bedingungslosen Liebe dieser Frau angezogen – die ihn auch wieder abstößt, wenn er bei ihr gefunden hat, was er in der Ehe vermisst. Gründe, weshalb er seine Frau Sonja, die gut aussieht und intelligent ist, gerade mit der "nicht gut" aussehenden, "langweiligen und ungebildeten" Iwona betrügt, erklären sich aus dem Gefühl, dass Iwona ihn selbstlos, ohne jegliches Kalkül liebt. Nur zu gut allerdings weiß Alexander, dass diese Augenblickserfüllung nicht dauern kann, er besitzt aber nicht die Kraft, um ihr zu entsagen.

Peter Stamm hat in seinem Roman "An einem Tag wie diesem" (2006) und dem erwähnten Erzählungsband "Wir fliegen" in stets neuen Varianten Untiefen der Zweisamkeit wie auch Frustrationen der Einsamkeit beschrieben. Seine Figuren irren von einem Lebensunglück ins nächste, ohne dass sie "ihr" Leben finden können. Zu Recht ist Stamm dafür gelobt worden, dass er die Kunst beherrscht, eindrucksvoll über die Lebensleere zu erzählen, ohne im Kitsch zu enden. Doch im neuen Roman vermag er seinem Lieblingsthema keine weiteren Nuancen abzugewinnen. Die Geschichte ist zu durchsichtig angelegt und braucht zu lange, um zum Eigentlichen zu kommen.

Alexander und seine Frau Sonja haben zusammen Architektur studiert. Die großen Meister der Baukunst wie Le Corbusier, Aldo Rossi oder Norman Foster sind Ideengeber der Jungarchitekten, die nach dem Studium schnell der Alltag einholt. Sie richten sich im Berufsleben wie in der Ehe ein. Die Unbehaustheit von Alexander, der an Sonjas Seite nicht findet, wovon er träumt, entwickelt Stamm vor dem Hintergrund kühner Architekturideen. Sonja und Alexander wohnen ansehnlich, aber sie leben in den falschen Räumen. Ihr Erinnerungsspeicher bildet kein Fundament für das Ersehnte: gut eingerichtet sind sie obdachlos.

Alexander wird schließlich Vater eines Kindes mit Iwona, mit Sonja hatte er keines bekommen können. Sonja und Alexander werden dieses Kind adoptieren und dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – nicht zueinander finden. Es ist kühn und selbstlos gedacht, was die beiden vorhaben, aber nicht lebbar. Stamm hat der Substanz der Geschichte – Scheitern an den eigenen Lebensentwürfen, obwohl man über genügend Kenntnisse in Konstruktionslehre und Statik verfügt – am Schluss offensichtlich selbst nicht mehr vertraut. Denn statt es den Lesern zu überlassen, die Parallelen zwischen Lebenskunst und Baukunst, auf der sie basiert, selber finden zu lassen, erklärt er sie ihnen. So bleibt die Beschreibung einer Krise trivial.

Besprochen von Michael Opitz

Peter Stamm: Sieben Jahre
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009
298 Seiten, 18,95 Euro