Architekt Walther Grunwald

"Ich wollte nicht der gute Deutsche sein"

33:49 Minuten
Walther Grunwald vor einem Bücherregal.
Selbst in den Hungerjahren immer was auf dem Tisch: Architekt Walther Grunwald. © Luise Müller-Hofstede
Moderation: Gisela Steinhauer · 16.12.2019
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Walther Grunwald ist der Mann fürs Schöne. Der Architekt restaurierte Kirchen und Schlösser, sorgte für den Wiederaufbau der Anna-Amalia-Bibliothek. Im Gespräch erzählt er, wie der die Hungerjahre nach dem Krieg überlebte.
Mit Anfang 80 wollte Walther Grunwald zurückblicken. Auf die Zeit kurz nach dem Krieg. Als der Architekt, Stadtplaner und Fotograf noch der kleine Walter war, und Tante Trude und Onkel Fritz das Überleben der Familie Grunwald auf dem Schwarzmarkt sicherten.
Auch der achtjährige Walther wurde dabei gebraucht: "Ich hatte eine eigens genähte Weste unter meinem Mantel, wo Schläuche reingesteppt waren. Und in dieser Weste war Bohnenkaffee, ungeröstet. Der wurde von Berlin nach Halle geschleust."

Die erste Schokolade vom Schwarzmarkt

In "Gehungert haben wir nicht" erinnert sich Walther Grunwald an die Jahre zwischen 1945 bis 1949. Diese Zeit erlebte er vor allem in seiner Geburtsstadt Halle. Aber auch in Berlin, wenn Walter Grunwald bei Tante und Onkel zu Besuch war. Hier ließ es sich aushalten. Denn das Ehepaar hätte mit allem geschmuggelt, was man in die Hände bekam. Kaffee, Fleisch, Zigaretten, natürlich auch mit Geld und Süßigkeiten.
"Ich habe von ihnen das erste Mal in meinem ganzen Leben Schokolade bekommen. Ich kann mich erinnern, dass ich von ihnen eine Mark geschenkt bekommen habe. Sie waren absolut liebe Menschen."
Diese Schwarzmarktgeschichten ließ sich Walther Grunwald in späteren Jahren noch einmal erzählen. Als er an dem Buch schrieb, war der Buchtitel schnell gefunden. Mit reichlich Stolz hätten Tante und Onkel erzählt, dass man selbst in den Hungerjahren "immer was auf dem Tisch hatte". Tante Trudes Aussage: "Gehungert haben wir nicht", klingt dem 81-Jährigen noch heute in den Ohren.

Vom Nazi zum guten Deutschen

In den 1960er-Jahren studierte Walter Grunwald Architektur und Literatur in Berlin. 1968 ging er nach New York, begann dort für den damaligen Star-Architekten Philip Johnson zu arbeiten. Ein Mann, der seine berufliche Karriere prägen sollte. Der amerikanische Architekt, so Walther Grunwald, hätte keine Probleme gehabt, einen deutschen Architekten ins Team zu holen.
"Philip Johnson sprach Deutsch. Philipp Johnson hat zwei Jahre in Berlin gelebt, in den 30er-Jahren. Er war ein begeisterter Deutschlandliebhaber. Und da hat er auch keine Probleme, den NS-Sozialismus gleich mit zu schlucken. Weil, ihre Industrie, ihre Flugzeuge, ihre Autos, ihre Brücken, er war sowas von hingerissen."
Für Walther Grunwald war New York damals "der Puls der Welt. Wolkenkratzer, Mies van der Rohe, daran habe ich mich orientiert. Ich als Westberliner hatte auch von den Amerikanern ein Idealbild. Das waren die, die uns die Demokratie gebracht haben. Es waren die, die mit dem Nationalsozialismus aufgeräumt haben."

"Er ist ein guter Deutscher"

Für die Kollegen im Büro, darunter viele emigrierte Juden, war der Mann aus Deutschland schon ein Problem.
"In der Zeit wurde man als Deutscher für alles in Haftung genommen. Ich habe, als ich nach New York gegangen bin, einen Fragebogen mit 132 Fragen ausfüllen müssen, wo ich angeben musste, in welcher NS-Organisation ich war. Ich war ein Kind, sechs Jahre. Aber davon nehmen die Amerikaner überhaupt keine Notiz."
Das Stereotyp, jeder Deutsche sei ein Nazi gewesen, konnte Walther Grunwald mit der Zeit korrigieren. "Ich bekam den Titel, wenn ich vorgestellt wurde in jüdischen Kreisen: 'Er ist ein guter Deutscher.' Ich habe mich immer dagegen verwahrt und gesagt: Ich bin Deutscher. Wie gut, das entscheidenden andere."

Flucht vor dem FBI

Eigentlich plante Walther Grunwald ein Jahr in New York zu bleiben, es wurden sechs. Doch es war kein freiwilliger Abschied. Walther Grunwald engagierte sich schon länger gegen den Vietnamkrieg.
"Das FBI bedrohte mich mit Ausweisung, wenn ich meine politische Tätigkeit nicht einstellen würde. Ich habe Architekten organisiert. 1500 sind die Fifth Avenue runtergezogen, mit 1500 schwarzen Fahnen, angeführt von Walther Grunwald. Und ich hatte eine Heidenangst auf dieser Demonstration, weil die Bauarbeiter von den Gerüsten uns mit Steinen beschmissen haben."

Das Glück mit der Renaissancedecke

Es folgten zwei Jahre in Pakistan, dort arbeitete Walther Grunwald für die Vereinten Nationen. Ende der 1970er-Jahre eröffnete er ein eigenes Architekturbüro in Berlin. Sein vielleicht berühmtester Auftrag war die Restaurierung der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar. Den Auftrag erhielt er 2004, wenige Monate vor dem Brand in der Bibliothek.
Kurz vor dem Feuer hatten Walther und Grunwald und ein Statiker die Decke der Bibliothek untersucht. Das sollte sich als großes Glück erweisen. Man stellte fest, hier handelt es sich nicht um eine Barockdecke, wie angenommen, sondern um eine aus der Renaissancezeit. Ein solche, so Walther Grunwald, sei viel stabiler. Hier würden Balken an Balken liegen. Das bedeutete, die Decke brauche mindestens anderthalb Stunden, bis sie durchbrenne. So konnte die Feuerwehr, zumindest für eine kurze Zeit, Menschen in die Bibliothek lassen. "Dann entstand diese Menschenkette, die man kennt. Also extrem viele Bücher konnten gerettet werden."
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