Archaisches Leben und poetischer Glanz
Galsan Tschinag ist deutschsprachiger Schriftsteller und mongolischer Schamane. Als er in den 60ern in der DDR studierte, wurde Erwin Strittmatter sein Mentor. "Mein Altai" versammelt zwölf Erzählungen des 60-Jährigen. Sie beschreiben archaische Lebensformen in der Mongolei in ihrer Härte - jedoch mit poetischem Glanz.
Galsan Tschinag ist ein Mann mit mehrfacher Identität. Zum einen ist er ein produktiver deutschsprachiger Schriftsteller. Seit den 80er Jahren hat er über 20 Bücher auf Deutsch geschrieben und veröffentlicht. Zum anderen ist Galsan Tschinag der Stammesfürst eines tuwinischen Nomadenvolkes, das im Westen der Mongolei lebt. Und er ist ein mongolischer Schamane, schon ganz jung wurde er in die schamanistische Überlieferung seines Volkes eingeführt.
1944 wurde Tschinag im Hohen Altai als Kind einer Nomadenfamilie geboren. Irgit Schynykbai-oglu Dshurukuwaa, Pelzbaby, ist sein eigentlicher Name. In den 60er Jahren hat er in Leipzig Germanistik studiert, der Schriftsteller Erwin Strittmatter wurde der Mentor für die ersten Prosaarbeiten von Galsan Tschinag. An Strittmatter hat Tschinag Anfang der 70er Jahre eine seiner ersten Erzählungen geschickt. "Wir gratulieren dir, lieber Galsan", stand in Strittmatters Antworttelegramm, "deine Erzählung ist groß." Dieser Text, "Eine tuwinische Geschichte", wurde zum Debüt von Galsan Tschinag in der DDR.
In dem jetzt vorliegenden Band "Mein Altai" ist die "tuwinische Geschichte" das erste längere Stück. "Mein Altai" versammelt die Erzählungen von Galsan Tschinag, die bisher auf Deutsch erschienen sind, von den frühen, noch in der DDR publizierten Texten bis zu Arbeiten aus den letzten Jahren. Den Band zu lesen, ist eine Wanderung durch das bisherige Autorenleben des 60-Jährigen. Und es ist eine Wanderung durch die Geschichte seines Volkes.
Die "tuwinische Geschichte" schildert den Einbruch des Sozialismus in die jahrhundertealte Nomadenkultur. Ein alter Hirte erzählt einem Begleiter bei einer Wolfsjagd, wie er zum Mörder an seinem Sohn wurde. Der Sohn war von der Roten Armee desertiert. Der Hirte war damals der Parteisekretär seines Kreises, er bekam den Auftrag, den Deserteur wieder einzufangen.
Mit einer Gruppe von Männern hetzt er seinen Sohn durch die Berge, um ihn am Ende zu stellen. Als der Sohn eine Waffe zieht, schießt der Parteisekretär. Die "tuwinische Geschichte" ist eine eindringliche Parabel über die sozialistische Modernisierung, die die Traditionen der Nomaden gewaltsam abgebrochen hat.
Die letzte Erzählung des Bandes, "Die Karawane", berichtet davon, wie die Tuwa-Nomaden nach dem Ende des Sozialismus wieder an ihr früheres Leben anzuknüpfen versuchen. "Die Karawane" ist eine autobiographische, dokumentarische Tagebucherzählung. Galsan Tschinag hatte Mitte der 90er Jahre ein von ihm gegründetes florierendes Reiseunternehmen verkauft.
Den Erlös hat er verwendet, um eine Karawane zu finanzieren, die mehrere der zerstreuten Nomadenfamilien wieder in ihre alte Heimat in der Westmongolei zurückführt. Die Erzählung schildert Pferdediebstähle, Reifenpannen und Saufgelage, die Mühen und die Schwierigkeiten dieser Karawane. Am Ende aber steht ein kollektiver Weinkrampf, bei der Ankunft der Tuwiner in ihrem alten Siedlungsgebiet.
Wenn Galsan Tschinag vom Nomadenleben erzählt, dann wird das alles andere als eine Idylle. Die Frauen in den Jurten kriegen viele Kinder, von denen die meisten sterben. In dieser rauen Altai-Landschaft mit extremen Temperaturen in Sommer und Winter tragen die Frauen die größte Last. Neben den schwierigen Lebensbedingungen müssen sie auch selbstherrliche, durch und durch patriarchalische Männer ertragen.
Eine der Frauen, die nach langem Aushalten gegen dieses Leben aufbegehren, hat Tschinag in der Erzählung "Dojnaa" porträtiert. Die zwölf Geschichten des Bandes "Mein Altai" verschweigen nichts von der Härte dieser archaischen Lebensform. Viele von ihnen haben aber dennoch einen starken poetischen Glanz, spätestens, wenn Galsan Tschinag von der berückenden Schönheit des Hohen Altai erzählt.
Galsan Tschinag
"Mein Altai"
Erzählungen
A1 Verlag, 560 Seiten, 26,80 €
1944 wurde Tschinag im Hohen Altai als Kind einer Nomadenfamilie geboren. Irgit Schynykbai-oglu Dshurukuwaa, Pelzbaby, ist sein eigentlicher Name. In den 60er Jahren hat er in Leipzig Germanistik studiert, der Schriftsteller Erwin Strittmatter wurde der Mentor für die ersten Prosaarbeiten von Galsan Tschinag. An Strittmatter hat Tschinag Anfang der 70er Jahre eine seiner ersten Erzählungen geschickt. "Wir gratulieren dir, lieber Galsan", stand in Strittmatters Antworttelegramm, "deine Erzählung ist groß." Dieser Text, "Eine tuwinische Geschichte", wurde zum Debüt von Galsan Tschinag in der DDR.
In dem jetzt vorliegenden Band "Mein Altai" ist die "tuwinische Geschichte" das erste längere Stück. "Mein Altai" versammelt die Erzählungen von Galsan Tschinag, die bisher auf Deutsch erschienen sind, von den frühen, noch in der DDR publizierten Texten bis zu Arbeiten aus den letzten Jahren. Den Band zu lesen, ist eine Wanderung durch das bisherige Autorenleben des 60-Jährigen. Und es ist eine Wanderung durch die Geschichte seines Volkes.
Die "tuwinische Geschichte" schildert den Einbruch des Sozialismus in die jahrhundertealte Nomadenkultur. Ein alter Hirte erzählt einem Begleiter bei einer Wolfsjagd, wie er zum Mörder an seinem Sohn wurde. Der Sohn war von der Roten Armee desertiert. Der Hirte war damals der Parteisekretär seines Kreises, er bekam den Auftrag, den Deserteur wieder einzufangen.
Mit einer Gruppe von Männern hetzt er seinen Sohn durch die Berge, um ihn am Ende zu stellen. Als der Sohn eine Waffe zieht, schießt der Parteisekretär. Die "tuwinische Geschichte" ist eine eindringliche Parabel über die sozialistische Modernisierung, die die Traditionen der Nomaden gewaltsam abgebrochen hat.
Die letzte Erzählung des Bandes, "Die Karawane", berichtet davon, wie die Tuwa-Nomaden nach dem Ende des Sozialismus wieder an ihr früheres Leben anzuknüpfen versuchen. "Die Karawane" ist eine autobiographische, dokumentarische Tagebucherzählung. Galsan Tschinag hatte Mitte der 90er Jahre ein von ihm gegründetes florierendes Reiseunternehmen verkauft.
Den Erlös hat er verwendet, um eine Karawane zu finanzieren, die mehrere der zerstreuten Nomadenfamilien wieder in ihre alte Heimat in der Westmongolei zurückführt. Die Erzählung schildert Pferdediebstähle, Reifenpannen und Saufgelage, die Mühen und die Schwierigkeiten dieser Karawane. Am Ende aber steht ein kollektiver Weinkrampf, bei der Ankunft der Tuwiner in ihrem alten Siedlungsgebiet.
Wenn Galsan Tschinag vom Nomadenleben erzählt, dann wird das alles andere als eine Idylle. Die Frauen in den Jurten kriegen viele Kinder, von denen die meisten sterben. In dieser rauen Altai-Landschaft mit extremen Temperaturen in Sommer und Winter tragen die Frauen die größte Last. Neben den schwierigen Lebensbedingungen müssen sie auch selbstherrliche, durch und durch patriarchalische Männer ertragen.
Eine der Frauen, die nach langem Aushalten gegen dieses Leben aufbegehren, hat Tschinag in der Erzählung "Dojnaa" porträtiert. Die zwölf Geschichten des Bandes "Mein Altai" verschweigen nichts von der Härte dieser archaischen Lebensform. Viele von ihnen haben aber dennoch einen starken poetischen Glanz, spätestens, wenn Galsan Tschinag von der berückenden Schönheit des Hohen Altai erzählt.
Galsan Tschinag
"Mein Altai"
Erzählungen
A1 Verlag, 560 Seiten, 26,80 €