Archäologisches Rätsel in Unterregenbach

Ein Dorf fürchtet den Ansturm der Touristen

08:10 Minuten
Ein Dorf zwischen Bäumen und Büschen vor einem begrünten Berg.
Die Idylle eines Dorfs im Grünen ist mancherorts bedroht. Dazu zählt auch Unterregenbach. © picture alliance / imageBROKER / A. Scholz
Von Harald Holz · 17.09.2021
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Denkmalpfleger sprechen begeistert von einem einmaligen Fund in dem kleinen Dorf Unterregenbach. Sie stehen aber vor einem archäologischen Rätsel. Ein Stifter will die Forschung mit viel Geld voranbringen. Aber ein Teil der Dorfbewohner ist dagegen.
Das heutige Unterregenbach gehört zu Langenburg im Kreis Schwäbisch Hall. 57 Einwohner leben dort im idyllischen Tal, am kleinen mäandrierenden Fluss mit dem Namen Jagst. Der Ort ist umgeben von Auen, Wiesen und Wäldern.
In der Mitte des Dorfes stehen ein Pfarrhaus, eine kleine Kirche und ein altes Schulhaus über den Fundamenten der großen Basilika, die hier vor rund 1000 Jahren gestanden hat. Im Schulhaus gibt es eine kleine Ausstellung mit Steinen, meist Repliken, Zeichnungen und Informationen zu den archäologischen Grabungsfeldern und Funden der letzten Jahrzehnte. Museumsleiter Hans-Jörg Wilhelm kümmert sich seit 13 Jahren ehrenamtlich um das Grabungsmuseum.

Die Kunst der Steinmetze

"Was wir hier sehen sind archäologische Artefakte, die im Rahmen von 30-jährigen archäologischen Ausgrabungen hier in Unterregenbach im Untergrund freigelegt wurden. Das besondere an den bearbeiteten Sandsteinen ist die Kunst der Steinmetze. Das ist für die damalige Zeit eine brillante Arbeit. Es gibt vor 1000 Jahren hier in Württemberg keine Baustelle, wo so exakt gearbeitet wird wie hier. Und das ist ein Teil von dem Rätsel von Unterregenbach."
Das größte Rätsel ist, warum überhaupt vor 1000 Jahren an diesem Ort eine Basilika stand, die gut 50 Meter lang und halb so breit war und dazu noch ein weiterer Sakralbau etwas kleiner. Die Grundmauern sind überall im Ort sichtbar gemacht worden. Jonathan Scheschkewitz vom Landesamt für Denkmalpflege steht auf einem der Fundamente am Pfarrgarten:

Den Sprung nicht geschafft

"Wir haben hier zwei große Kirchen, die parallel nebeneinander gleichzeitig gestanden haben. Und wenn wir uns den Ort jetzt angucken, dann fragt man sich, wieso? Und das ist die Fragestellung, die bis heute im Raum steht. Da kommen wir zu diesem Aspekt der Zentren, aus denen normalerweise dann auch Städte hätten entstehen können, aber es gab eben auch Fehlentwicklungen. Und Unterregenbach ist ganz offensichtlich ein Platz, der diesen Sprung dann nicht geschafft hat und Langenburg hat davon massiv profitiert."
Blick hindurch zwischen Säulen einer unterirdischen Krypta. Die Decke wird von einem Gewölbe gehalten.
1880 wurde beim Bau des Pfarrhauses eine Krypta gefunden. Keiner wusste damals, wozu sie gehörte.© picture alliance / imagebroker / Reinhard Hölzl
Also, keiner weiß, warum diese großen Sakralbauten in Unterregenbach gebaut wurden, auch nicht wer sie gebaut hat und warum diese Bauten auch wieder verschwunden sind. 1880 wurde das Pfarrhaus gebaut und man fand eine Krypta. Das war der Start der Untersuchungen. Olaf Goldstein vom Landesamt für Denkmalpflege:

Die Riesen von Unterregenbach

"Das Rätsel von Unterregenbach ist ja geprägt worden Anfang des 20. Jahrhunderts, was vor allem darauf beruht, dass wir zwar archäologisch mittlerweile relativ viel wissen, aber in den Schriftquellen vor allem die früheren Zeiten vom 8. bis 11. Jahrhundert so gut wie gar nicht fassen können. Und das macht es natürlich äußerst spannend: Wer kommt nach Unterregenbach und gründet hier so ein Ensemble? Das ist eine Frage die wir wahrscheinlich nie beantworten werden können.
Derzeit laufen DNA-Untersuchungen von den Skeletten, die gefunden worden sind. Die sind viel größer als die Menschen vor 1000 Jahren in Süddeutschland: Die sogenannten Riesen von Unterregenbach. Christian Neuber, ein ehemaliger Stuttgarter Verleger, hat zur archäologischen Erforschung von Unterregenbach eine Stiftung gegründet.
"Ich habe Herrn Wilhelm kennengelernt und hab dieses hohe Engagement feststellen dürfen, dass dieser Mann an den Tag legt, um dieses Kleinod zu bewahren und mit Engagement und Leidenschaft den Leuten, die hier vorbeikommen, klarzumachen, was wir hier für ein kulturelles Erbe haben. Und dieses zu bewahren und möglicherweise noch ein bisschen weiter aufzulösen, das war meine Intention."
Und er möchte, dass diese archäologischen Erkenntnisse in Zukunft besser für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Seitdem hängt der Dorfsegen schief. An manchen Häusern hängen Plakate mit der Aufschrift "Wir sind das Dorf" - weil es Ideen gab, die archäologischen Funde mit einem Erlebnispfad Besuchern näher zu bringen. Eingebunden das Grabungsmuseum im alten Schulhaus. Ein Teil der Dorfbewohner hat Angst, dass sich alles verändert, das woll man nicht, sagt einer. Er sorgt sich vor zu vielen Touristen im Ort. "Die Fahrradfahrer, die kommen, die reichen uns."
"Vieles darf sich hier verändern. Aber ich glaube der Herr Neuber denkt grösser, als wir es haben möchten", sagt jemand anderes. Andere fühlen sich nicht ausreichend informiert. Sie hätten lediglich gedacht, die wollten die Knochen untersuchen.

Pläne für ein Besucherempfangszentrum

Richtig hochgeschäumt ist die Kritik, nachdem Architekturstudenten der TU Darmstadt Gebäudeentwürfe vorgelegt haben, die ein Besucherempfangszentrum darstellen sollen. Ein Entwurf ist ins Internet und so auch zu den Dorfbewohnern in Unterregenbach gelangt. Sie denken, das wird gebaut. Aber das geht allein rechtlich nicht, sagt der Langenburger Bürgermeister Wolfgang Class.
"Das kann ich ehrlich gesagt nicht ganz nachvollziehen, weil man jetzt mehrere Informationsveranstaltungen gemacht hat. Diese studentischen Projektarbeiten - da gibt es das Baurecht dagegen, da gibt es Naturschutzbelange dagegen Wasserschutz, Vogelschutz, FFH-Gebiete, so dass es nicht realisiert werden kann. Das hat man aber auch immer der Dorfgemeinschaft gegenüber kommuniziert."
Diese Zeichnungen seien reine akademische Fingerübungen gewesen. Der Stifter Christian Neuber hat jetzt die meisten Ideen zurückgestellt. Nun wird eine Doktorarbeit an der Uni Tübingen mit 70.000 Euro unterstützt, die all die Funde ordnen und bewerten soll. Seine Reaktion auf die Dorfbewohner:

Ein Ort für die Kostbarkeiten

"Das haben wir kritisch zur Kenntnis genommen und haben gesagt, dann tun wir es nicht. Und haben jetzt erstmal diese Doktorarbeit in den Vordergrund gestellt, die uns jetzt hier weitere Erkenntnisse bringen soll. Und bezüglich des Umbaus des Schulhauses ist noch gar nichts entstanden, da entstehen Gerüchte. Aber unser Ziel ist einfach, mit dem Umbau des Schulhauses einen Ort zu schaffen, der es erlaubt dass die Kostbarkeiten, die hier vor hundert Jahren gefunden wurden, zurückzuholen. Die sind jetzt in Rastatt und gehören da nicht hin. Die gehören hier nach Unterregenbach."
Insgesamt scheint die Kommunikation unter allen Beteiligten aus dem Ruder gelaufen zu sein. Außerdem sind nicht alle Unterregenbacher gegen die Ideen des Stifters.
"Ich habe keine Angst. Ich möchte nur mehr einen Konsens finden in der Dorfgemeinschaft, nicht dass die einen Plakate aufhängen und die anderen davon nix wissen. Es tut mir leid, weil es rund 30 Prozent gibt, die dem Herrn Neuber nicht so kritisch gegenüber stehen. Und es kommt nicht jeden Tag einer und gibt 300.000 € als Anfangskapital für eine Stiftung. Wir müssen alle zusammenarbeiten, gut miteinander sein, weil das Dorf spalten ist das schlechteste, was passieren könnte."

Ein komplettes Ensemble

Alle Beteiligten müssten aufeinander zugehen und konstruktiv bleiben, um das Thema gemeinsam weiterzuentwickeln. Denn das Rätsel von Unterregenbach ist und bleibt herausragend, meint der Präsident des Landesamtes für Denkmalpflege, Claus Wolf.
"Im baden-württembergischen Kontext handelt es sich sicher für diese Zeitepochen um eine der ganz herausragenden Fundstellen, die wir überhaupt haben. Wir haben praktisch das komplette Ensemble vor uns. In dieser Einheit kommt das nur sehr selten vor. Auch zu der Zeit haben es nicht viele Orte bis zu dieser Einheit geschafft. Und deshalb sind die wenigen Grabungen, die bisher gemacht sind völlig ausreichend, um zu sagen, dass Unterregenbach wirklich zu den Top-Adressen für diese drei Jahrhunderte in Baden-Württemberg gehört."
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