Arbeitswelt

Selbstversuch mit der Vier-Tage-Woche

Tempelhofer Feld in Berlin
Wer nicht im Büro sitzt, kann sich auch mehr an der frischen Luft bewegen. © picture alliance / dpa / Foto: Rainer Jensen
Von Ernst-Ludwig Aster |
Termindruck, permanent erreichbar sein und kaum Freizeit. Für den Berliner Jungunternehmer Andreas Stückl gehören diese Stressfaktoren zur Vergangenheit. Er hat in seiner Firma Bike Citizens die Vier-Tage-Woche eingeführt und hat bisher Erfolg damit.
"Ich bin gestern angekommen mit einem rückwärtigen Jetlag aus Taipeh, das ist eigentlich ganz angenehm, weil die Nacht um sieben Stunden verlängert war…"
Gut ausgeschlafen eilt Andreas Stückl die nackten Betonstufen nach oben. Zu seinem Berliner Büro, direkt an der Spree. Am rechten Fußgelenk funkelt ein neongelbes Band. Als Hosenschutz. Vor der Fahrradkette. Vor zwei Tagen ist der 33-Jährige noch in Taiwan geradelt. Nach seiner Arbeit auf der Messe.
"Das war einmal die Velo-City global, das ist so die weltgrößte Fahrradfachkonferenz, das ist aber mehr so im kommunalen und planerischen Bereich, das andere war die Taipeh cicle-show, das ist so asiatische das Pendant zur Eurobike."
Alles drehte sich ums Fahrrad – ein perfektes Umfeld für Stückl und seine Firma Bike Citizens. Vor vier Jahren gründete er mit einem befreundeten Fahrradkurier das Unternehmen. Heute entwickeln und vertreiben 20 Mitarbeiter digitale Produkte für Fahrradfreunde.
"Fahrradfahren und Digitalisierung – wir verbinden diese zwei Welten und das ist meistens so ein bisschen ein Novum."
Digitale Dienste für Radler. Das Navi für den Lenker – mehr als 300 Städte sind mittlerweile erfasst.

"Wir hatten uns als Gründer die ersten ein zwei Jahre fast tot gearbeitet, auch mit einer sechs bis sieben Tagewoche, 70 Stunde und das ist ja kein Ziel, das man dauerhaft anstrebt."
Die Firma wuchs, doch die Freizeit schrumpfte. Dann las ein Mitarbeiter ein Interview: Der Chef eines US-amerikanischen Startups lobte die Vier-Tage-Woche. Die sei gut fürs Geschäft und die Mitarbeiterzufriedenheit.
"Wir hatten einfach mal gesagt, vielleicht bringt es uns was, vielleicht können wir die Mitarbeiterzufriedenheit steigern. Also wir hatten Gespräche mit allen Mitarbeitern."
"Bike Citizens, Zischler, hallo..."

"Ein Tag nicht erreichbar zu sein, fand ich befremdlich"

Frederic Zischler erinnert sich noch gut an die Umfrage. Seit 2013 arbeitet er in dem Unternehmen, das Geschäft rund um die Fahrrad-Mobilität läuft blendend, die Zukunftsaussichten sind hervorragend. Da kommen die beiden Gründer mit ihrem Vier-Tage-Vorschlag.
"Ich habe mich dagegen ausgesprochen, erstmal. Also ich bin ja eher im Vertrieb hier tätig. Und bin da eigentlich gewohnt, immer verfügbar zu sein, wenn ein Kunde anruft. Und dann ein Tag nicht erreichbar zu sein, fand ich erst einmal befremdlich."
Andreas Stückl nickt. Ja, einige Mitarbeiter befürchteten Arbeitszeitverdichtungen und mehr Stress. Der 33-Jährige zuckt mit den Schultern.
"Wir haben das schon geregelt, dass wir am Schluss das entschieden haben, im Gesellschafterbereich, letztendlich tragen wir dann auch die Konsequenzen, wenn das Ding in die Hose geht…"
Die Chefs verordnen einen Testlauf von zwei Monaten. Und führen auch noch den "stillen Vormittag" ein. Das heißt: Meetings und Sitzungen finden nur noch nachmittags statt. Der Freitag aber ist für alle frei. Frederic Zischler passt notgedrungen seinen Arbeitsrhythmus an:
"Wir haben halt Kunden mit denen wir regelmäßig zu tun haben, den verklickert man das dann, und Anfragen, die halt so rein kommen, die bearbeitet man halt erst am Montag. Teilweise mit dem Verweis, dass wir diese Vier-Tage-Woche haben."
Die Kunden zeigen Verständnis. Und Zischler arbeitet an der Optimierung seiner Arbeitszeit:
"Sonst versucht man nun schon die Zeit effizienter zu gestalten, die man hat. Zwei Stunden lang am Kicker stehen, das spielt sich halt nicht mehr Wochentags während der Arbeitszeit…"
Kein Kicker während der Dienstzeit – dafür freitags frei. Nach zwei Monaten sind sich Chefs und Mitarbeiter einig. Einstimmig votieren sie für eine Fortsetzung. Die Vier-Tag-Woche wird zum Arbeitsalltag.
"Ich kann mir tatsächlich nicht mehr vorstellen fünf Tage die Woche zu arbeiten, ich wohne in einer WG und da arbeiten meine anderen Mitbewohner fünf Tage die Woche…"
Und er kann sich am freien Freitag entspannt in der WG ausbreiten. Am Anfang allerdings musste Zischler dort arbeiten: Wer frei hat, kann ja die Pakete von der Post holen. Und auch schon mal die WG putzen, fanden die Mitbewohner. Mit der Fünf-Tage Woche.
"Das war am Anfang wirklich so ein bisschen. Mittlerweile haben wir uns auf einen Putzplan geeinigt und das ist wieder fairer verteilt."

Andras Stückl scrollt über sein Tablet, sucht eine Meldung, die er neulich in der U-Bahn auf dem Info-Screen gesehen hat. Jeder zweite Arbeitnehmer würde in Deutschland gerne eine Auszeit nehmen, stand da, um einem Burnout vorzubeugen.
"Da frage ich mich eigentlich, wie krank ist unsere Arbeitswelt, das ich da raus muss, um einen Burnout vorzubeugen."
Stückl schüttelt den Kopf. Er weiß, dass die Vier-Tage-Woche nicht für alle Unternehmen taugt. "Für uns aber ist sie perfekt", sagt er.
"Die wirtschaftlichen Ziele werden erfüllt, da bin ich auch glücklich, die schaffen wir auch mit der vier Tage Woche..."
Im Vergleich zu 2015 wollen sie ihren Umsatz dieses Jahr noch einmal verdoppeln. Auf mehr als 1,5 Millionen Euro.
"Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir momentan immer noch ohne Fremdkapital auskommen, also ohne Fremdfinanzierung. Und dementsprechend ist das für uns eine große Spielwiese…"
Auf der sie die Spielregeln bestimmen können. Andreas Stückl blickt aus dem Fenster. Draußen fließt träge die Spree. Auf der anderen Uferseite drehen sich Baukräne. An der Fensterscheibe lehnt ein alter Fahrradrahmen.
"Das ist eigentlich eine sehr begehrte Fahrradmarke, das ist ´Puch` aus der Steiermark, die haben früher ziemlich gute Stahlrahmen gebaut, das habe ich gebraucht gekauft, das werden wir aufbauen, aber Du siehst, da ist noch ein bisschen Arbeit dran zu tun."
Aber nicht am Freitag…
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