Arbeitsplatz Hochschule

Dauerstellen für Daueraufgaben

793 Studenten sitzen bei der Erstsemesterbegrüßung am Campus Koblenz der Universität Koblenz-Landau in Koblenz-Rheinland-Pfalz im großen Hörsaal.
Jedes Semester ein anderer Dozent - das Wissenschaftszeitvertragsgesetz macht's möglich © dpa / picture alliance / Thomas Frey
Moderation: Nana Brink · 29.06.2015
Zwischen 80 und 90 Prozent der Beschäftigten an Hochschulen haben Zeitverträge - davon über die Hälfte mit einer Laufzeit von unter einem Jahr. Das schade dem Wissenschaftsstandort Deutschland, meint GEW-Vorstandsmitglied Andreas Keller.
Wissenschaftler an einer Hochschule sein - für viele ist das ein Traumjob. Doch die Praxis sieht oft anders aus: Unbefristete Stellen sind rar, zwischen 80 und 90 Prozent der Beschäftigten haben nur Zeitverträge. "Über die Hälfte der Verträge hat eine Laufzeit von unter einem Jahr", kritisiert Andreas Keller, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und dort zuständig für den Bereich Hochschule und Forschung.
Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetztes gefordert
Keller fordert eine Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, das derartige Arbeitsverhältnisse ermöglich. Für Daueraufgaben der Hochschulen in Forschung und Lehre müssten auch Dauerstellen zur Verfügung stehen, betont der GEW-Vorstand. Außerdem müsse es bei Zeitverträgen eine Mindestdauer geben. "Wenn eine Doktorandin, ein Doktorand angestellt wird, dann muss der Arbeitsvertrag so lange dauern, wie man auch für die Doktorarbeit braucht. Und das sind mindestens drei Jahre", so Keller.
"Wir erwarten vom Deutschen Bundestag, dass er dieses Gesetz zügig noch in diesem Jahr ändert."

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Ein Wort macht in der Hochschullandschaft schon seit längerem die Runde, es heißt Uniprekariat und meint ein bisschen sehr klischeehaft die zehntausenden Nachwuchswissenschaftler, die sich an den Unis vom einen Zeitvertrag zum nächsten hangeln müssen. Grundlage dafür ist das sogenannte Wissenschaftszeitvertragsgesetz, ein wunderbares Wort, von 2007. Und das soll nun geändert werden: Der Bundesausschuss für Bildung und Technologie berät heute darüber, und in diesem Ausschuss sitzt auch als Sachverständiger Andreas Keller, er ist der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und bei der GEW auch Leiter des Organisationsbereichs Hochschule und Forschung. Guten Morgen, Herr Keller!
Andreas Keller: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Zwischen 80 und 90 Prozent – da gehen die Studien ein bisschen auseinander – der Beschäftigten an Hochschulen haben befristete Verträge. Was heißt denn das genau?
Keller: Also das heißt, dass das nicht nur sehr ungerecht gegenüber den Beschäftigten ist, die unter diesen Bedingungen sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hangeln müssen, die übrigens auch immer kürzer werden, nämlich über die Hälfte der Verträge hat eine Laufzeit von unter einem Jahr. Das ist also nicht nur schwer für die Kolleginnen und Kollegen, da eine Lebensplanung zu machen, auch eine Berufsplanung zu machen, sondern darunter leiden auch Kontinuität und damit Qualität der wissenschaftlichen Arbeit von Forschung und Lehre. Also man kann sich das ganz praktisch vorstellen: Wenn in einem Hörsaal in jedem Semester ein neuer Dozent oder eine neue Dozentin am Pult steht – dass da eine qualitativ hochwertige Lehre eine große Herausforderung ist, kann sich, glaube ich, jeder vorstellen. Und deswegen geht es hier nicht nur um die Interessen der Beschäftigten, die wir als Bildungsgewerkschaft vertreten, sondern auch um die Interessen der Studierenden, um aller derjenigen, die auf die Ergebnisse der Hochschule in der Forschung angewiesen sind.
Zeitverträge "bis ins vierte, fünfte Lebensjahrzehnt hinein"
Brink: Und was bedeutet das dann nicht nur für die Lehre, sondern auch vielleicht für den Wissenschaftsstandort Deutschland?
Keller: Das bedeutet, dass die Arbeitsplätze in Hochschule und Forschung nicht mehr so attraktiv sind, wie sie es eigentlich sein müssten. Also, wir wissen von unseren Mitgliedern, dass die nach wie vor sehr hohe Motivation mitbringen. Sie forschen gerne, sie lehren gerne. Das wird auch durch viele Befragungen belegt, dass Wissenschaft eigentlich ein sehr attraktiver Beruf ist, weil man sich da auch selbst verwirklichen kann, Dinge entdecken kann, mit Menschen arbeiten kann. Aber irgendwann ist auch hier die Motivation sozusagen ans Limit gekommen.
Denn in dem Moment, wo man nicht nur an den Hochschulen weniger Geld verdient als in der Industrie oder im Ausland, sondern eben auch bis ins vierte, fünfte Lebensjahrzehnt hinein immer wieder auf den neuen Zeitvertrag vertröstet wird, leidet die Attraktivität des Arbeitsplatzes Hochschule und Forschung und damit auch natürlich die Wettbewerbsfähigkeit der Hochschulen als Arbeitgeber mit anderen Arbeitgebern im In- und Ausland. Und das merkt man in Fächern wie in den Ingenieurwissenschaften schon sehr deutlich, dass die Arbeitgeber massive Probleme haben, ihre schönen befristeten Stellen dann auch wirklich qualifiziert zu besetzen.
Brink: Aber dann fragt man sich doch: Warum ist es denn so weit gekommen? Was ist Ihre Einschätzung?
Keller: Ja, da gibt es eigentlich aus meiner Sicht zwei Gründe. Also ein Grund ist, dass wir in der Wissenschaftsfinanzierung eine Veränderung haben, das heißt, Bund und Länder, die geizen, wenn es um die Finanzierung der Hochschulen in den Landeshaushalten geht. Auf der anderen Seite aber wird immer mehr Geld in die Drittmittelfinanzierung gegeben. Also, die Drittmittel kommen dann nicht etwa von der Industrie, nur sehr wenige, sondern von Bund und Ländern, die sie dann über die Deutsche Forschungsgemeinschaft oder die Exzellenzinitiative bereitstellen. Und die Hochschulen geben diese Unsicherheit der Drittmittelfinanzierung – die Drittmittel werden ja immer nur für eine bestimmte Zeit vergeben – dann an die Beschäftigten weiter in Form von Zeitverträgen.
Verhältnisse, die das Arbeitsrecht sonst nicht zulässt
Und der zweite Grund ist: Sie können das einfach so machen, was ein Arbeitgeber in der Industrie eben nicht könnte, weil es ein Gesetz gibt, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, was überhaupt den Hochschulen als Arbeitgebern sehr weitgehende Möglichkeiten gibt, immer wieder Zeitverträge abzuschließen – was im normalen Arbeitsrecht so gar nicht möglich wäre.
Brink: Genau dieses Wissenschaftszeitvertragsgesetz ist ja jetzt auch Thema im Bundestagsausschuss Bildung und Technologie. Es gibt aber auch die Argumentation vonseiten der Unis zum Beispiel, die sagen: Na ja, dieses Gesetz ermöglicht uns auch, die Konkurrenz eigentlich am Leben zu halten, das heißt, wir wollen auch vielleicht immer neue Leute da haben. Ist das nicht auch ein Argument, was Sie nicht einfach vom Tisch wischen können?
Keller: Also die GEW ist ja jetzt nicht eine Gewerkschaft, die sagt, dass wir nur noch Dauerstellen in der Wissenschaft brauchen. Das Entscheidende ist, dass wir für Daueraufgaben, die die Hochschulen zu erledigen haben, Dauerstellen brauchen, Daueraufgaben in der Forschung, in der Lehre, übrigens auch in Technik und Verwaltung. Aber dort, wo es gute Gründe gibt, dann auch einen Zeitvertrag abzuschließen – und das kann etwa die Förderung einer Promotion sein oder auch, wenn befristet Mittel von Drittmittelgebern kommen –, dann sind wir als GEW auch bereit, zu akzeptieren, dass dann Zeitverträge sinnvoll sind, wenn, und das ist eine ganz entscheidende Voraussetzung, dann auch sichergestellt wird, dass diese Zeitverträge unter anständigen Bedingungen abgeschlossen werden. Und wenn nun ein Doktorand oder eine Doktorandin einen Halbjahresvertrag kriegt oder auch einen Einjahresvertrag, dann ist das nicht angemessen, weil eine Doktorarbeit – auch das zeigen Statistiken – im Durchschnitt vier bis fünf Jahre dauert, und niemandem ist ja geholfen, wenn eine Doktorandin mit einer halbfertigen Doktorarbeit auf die Straße gesetzt wird. Und darum ist es entscheidend, dass für alle Daueraufgaben in den Hochschulen Dauerstellen vergeben werden, und dort, wo Zeitverträge notwendig sind, dann gewisse Mindeststandards gelten, und die müssen ins Gesetz reingeschrieben werden.
Klare Vorgaben für die Hochschulen
Brink: Sie sind ja auch heute im Ausschuss als Sachverständiger. Was geben Sie denen mit auf den Weg, ja, wahrscheinlich nicht nur der Politik, sondern auch den Unis?
Keller: Also heute werden wir uns vor allem an die Politik wenden. An die Hochschulen und auch die Forschungseinrichtungen, mit denen sind wir seit einigen Jahren im Gespräch und haben an sie appelliert, dass sie sich auch selbst verpflichten auf bestimmte Standards, wie man mit Zeitverträgen angemessen umgehen kann unter schwierigen Rahmenbedingungen, die wir ja auch sehen. Damit beißen wir aber so ein bisschen auf Granit, haben wir gemerkt. Also einige signalisieren, sie wollen was verändern, andere nicht. Und deswegen ist unsere Forderung heute Nachmittag, mein Appell auch an den Bundestag, dass er den Hochschulen klare Vorgaben macht, indem das Gesetz geändert wird und dort auch der Grundsatz Dauerstellen für Daueraufgaben verankert wird und vor allem auch geregelt wird, dass es Mindesvertragslaufzeiten geben muss. Also wenn eine Doktorandin, ein Doktorand angestellt wird, dann muss der Arbeitsvertrag so lange dauern, wie man auch für die Doktorarbeit braucht, und das sind mindestens drei Jahre. Das ist einer unserer Vorschläge für die Novellierung des Gesetzes, und wir erwarten vom Deutschen Bundestag, dass er dieses Gesetz zügig, noch in diesem Jahr, ändert.
Brink: Andreas Keller, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Vielen Dank, Herr Keller! Heute berät der Bundestagsausschuss für Bildung und Technologie über die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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