Auf der Baustelle statt im Parlament
Die SPD-Politikerin und EU-Abgeordnete Jutta Steinruck setzt sich für die Rechte von Wanderarbeitern ein - nicht nur im Parlament, sondern auch nachts auf Baustellen, wenn die Arbeiter ihren Lohn nicht bekommen.
Bauarbeiter, die monatelang den Lohn nicht sehen, der ihnen zusteht. Die kein Geld mehr haben, Essen zu kaufen und auf Almosen angewiesen sind, damit sie nicht hungern müssen. Das gibt es nicht nur auf fernen Baustellen für Sportstadien, sondern auch im Rhein-Main-Gebiet. Sagt die SPD-Europaabgeordnete Jutta Steinruck:
"Ja, ich war mit der europäischen Wanderarbeitergewerkschaft auf einer kleineren Baustelle hier in der Region. Zielsetzung war, die Situation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kennenzulernen, die seit Monaten keinen Lohn hatten. Die von der Kirche mit Lebensmitteln versorgt wurden. Und ich bin dann gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen da geblieben und habe gesagt, ich gehe erst wieder von dieser Baustelle, wenn diese Menschen ihren Lohn haben."
Es wurde eine lange Nacht auf der Baustelle für Jutta Steinruck - mit einem erfolgreichen Ende:
"Es ist uns dann nach vielen, vielen Stunden, die halbe Nacht hat es gedauert, bis der Auftraggeber darauf eingegangen ist, gelungen, dass diese Menschen nach Hause gehen konnten."
Ausgebeutet von windigen Subunternehmern
Fast jeden Tag, sagt sie, könnte sie solche Sitzstreik-Aktionen auf europäischen Baustellen starten. Ausgebeutet werden vor allem Wanderarbeiter, die von windigen Subunternehmern beschäftigt werden. Auch auf staatlichen Großbaustellen. Ein besonders krasses Beispiel von moderner Sklaverei erlebte Jutta Steinruck in Frankreich. Im französischen Flamanville, auf der Baustelle eines Atomkraftwerkes des staatlichen Energieunternehmens EDF. Hier arbeiteten Menschen aus ganz Europa unter unwürdigen Bedingungen, teilweise illegal:
"Diese Menschen wurden ohne Lohn in die Heimatländer zurückgeschickt, sie hatten teilweise ein halbes Jahr keinen Lohn, so was prägt. Es gab Arbeitsunfälle auf dieser Baustelle mit mehreren Toten. Kein Zugang für Beratung war zugelassen durch den Betreiber. Die Wohnverhältnisse waren so, wie ich sie nicht kannte. Schrecklich. Ich habe mich geschämt, als europäische Arbeitsmarktpolitikerin, dass es solche Verhältnisse in Europa gibt."
Jutta Steinruck kennt beide Seiten des europäischen Arbeitsmarktes- vor allem im Baugewerbe: Kapital und Arbeit. Die Sicht der Unternehmer wie der Arbeitnehmer. Die 52 Jahre alte Ludwigshafenerin ist ausgebildete Betriebwirtin und arbeitete fast 20 Jahre lang in den Personalabteilungen großer Unternehmen des Rhein-Neckar-Raums- zuletzt auch als Prokuristin.
Parlamentarischer Arm der Gewerkschaften
Heute setzt sie sich im Europaparlament dafür ein, dass die EU überall Beratungsstellen für Wanderarbeiterinnen einrichtet. So, wie sie der Europäischen Verein für Wanderarbeiterfragen in Frankfurt am Main und Mainz schon betreibt. Jutta Steinruck ist Mitglied in diesem Verein, der vor allem von der deutschen Industriegewerkschaft Bau getragen wird. Der Verein beschäfigt Mihai Balan, einen Soziologen mit rumänischem Migrationshintergrund. Er dient als Ansprechpartner für Arbeiter vor allem aus Süd-Osteuropa. Mihai Balan fordert etwa die europäischen Kommunen auf, bei der oft menschenunwürdigen Unterbringung der Wanderarbeiter genauer hinzuschauen:
"Das Modell ist ja so: Man sagt, man vermietet keine Wohnungen, sondern man vermietet Zimmer. Aber dann ist es alles gewerblich und dann muss dafür auch Steuer entrichtet werden. So kann man den Mietwucher bekämpfen. Man kann auch schauen, wie viel Menschen auf wie viel Quadratmetern untergebracht werden. Der politische Wille muss da sein, dann ist das alles kein Problem."
Um für diesen politischen Willen zu werben, will Jutta Steinruck nun zum zweiten Mal ins EU-Parlament. Sie sieht sich dabei auch als ein parlamentarischer Arm der Gewerkschaften. Die rheinland-pfälzische SPD ist traditionell gewerkschaftsnah und hat sie auf einen sicheren Listenplatz für die Europawahl gesetzt. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass man Jutta Steinruck auch in den nächsten Jahren immer wieder auf europäischen Baustellen finden wird: Im Sitzstreik. Solange, bis wieder die Löhne gezahlt werden, die den Arbeitern zustehen. Oder menschenverachtende Mietverträge gekündigt sind.