Arbeiten bis zum Umfallen

Von Svenja Pelzel · 04.11.2013
In Deutschland beträgt die Durchschnittsrente derzeit zwischen 500 und 1100 Euro im Monat. Nach Abzug von Miete und Krankenversicherung bleibt kaum das Nötigste zum Leben. Einziger Ausweg: ein Nebenjob. Auch deshalb sieht man neuerdings viele jobbende Senioren.
"Dieser Berliner Dom ist nicht alt ..."

Sabine Förster hat ihre kurzen Haare knallrot gefärbt, trägt eine lange Kette. Ihre 66 Jahre erkennt man lediglich am Gehstock, auf den sie sich beim Reden stützt. In den Kirchenbänken vor ihr sitzen Touristen, hören konzentriert zu, was Sabine Förster ihnen gerade über den Berliner Dom erzählt. Zwei bis drei Mal die Woche macht sie diese Führungen ehrenamtlich gegen eine Aufwandsentschädigung. Je nach Schicht sind das 140 bis 200 Euro im Monat. "Das ist für mich viel Geld", sagt Sabine Förster und lächelt ihr offenes, freundliches Lächeln. Schließlich bekommt sie nur 400 Euro Rente.

Sabine Förster: "Es wäre natürlich Altersarmut in dem Moment, wo ich nicht verheiratet wäre und einen Mann hätte, der eine Pension bekommt. Und zusammen kommen wir schon so gut über die Runden, aber wir können keine großen Sprünge machen."

Während die nächste Gruppe an diesem Morgen in den Bänken Platz nimmt, hat Sabine Förster kurz Zeit, von ihrem Leben zu erzählen. Sie ist gelernte medizinisch-technische Assistentin. Wegen der Familie hat sie 25 Jahre halbtags als Arzthelferin gearbeitet und zehn Jahre lang gar nicht. Sie wollte sich um ihren Sohn kümmern, die kurze Zeit mit dem Kind genießen. Der Preis für das Familienleben ist ihre winzige Rente. "Ohne meinen Nebenjob könnten wir keinen Urlaub machen", sagt Sabine Förster und lächelt wieder freundlich. Auch gesunde Lebensmittel wären dann nicht drin.

Sabine Förster: "Es ist natürlich Jammern auf hohem Niveau, wenn man sich jetzt andere Länder ansieht. Aber wenn man als Vergleichsmaßstab Deutschland heran nimmt, dann ist es wieder nicht so sehr Jammern auf hohem Niveau."

Zum Glück macht ihr der Job in der Kirche "höllischen Spaß", das merkt man ihr an. Sabine Förster genießt sichtlich den kleinen Applaus am Ende ihrer Führung, und das anschließende Gespräch im Aufenthaltsraum mit den Kollegen.

"Hallo, hallo, na, alles paletti?"

Auch die beiden Kollegen sind bereits grauhaarig. Die Älteste im Team ist sogar 88 Jahre alt. Eine Weile will Sabine Förster ebenfalls noch weiter arbeiten, so wie viele in ihrem Bekanntenkreis.

"Es gibt immer mehr Rentner, die jobben gehen: Zeitungsaustragen, Auffüllen von Regalen in Supermärkten oder putzen. Meine Mutter ist jahrelang, als sie in Rente war, putzen gegangen. Sie hatte mehrere Putzstellen und damit hat sie meine jüngeren Brüder finanziert."

Dass auch sie im Alter arbeiten muss, stört Sabine Förster nicht. Im Gegenteil. Sobald sie ihre Hüft-OP hinter sich hat, will sich die 66-Jährige einen Zweitjob suchen.

Gespräch am Walkie Talkie: "Hast du irgendwie noch einen Schlüssel?"
"Ja, bitte, ja, ich höre."
"Hast Du noch irgendeinen Schlüssel?"
"Ich hab keinen Schlüssel, ich hab noch keinen empfangen und ich hab noch keinen ..."

Während Sabine Förster kurz Pause macht, steht Adolf Mantz in der Gruft des Domes zwischen hundert Särgen, den Rücken durchgedrückt, die Uniform glatt gezogen, den Blick konzentriert. Mantz ist 73, grauhaarig, Opa und seit 20 Jahren Wachmann. Nachtschichten macht er nicht mehr, sagt Mantz, das ist ihm zu anstrengend. Aber zehn bis zwölf Mal im Monat sieben Stunden lang stehen und aufpassen - das kann er immer noch.

Zeitvertreib und wichtiger Nebenverdienst
"Ich hab mich dran gewöhnt. Die erste Zeit, die immer herkommen, die haben dat nach einer Woche, dann haben sie es mit dem Rücken. Aber wenn man dran gewöhnt ist, macht es mir nichts mehr aus. Ich bin ja schon so lange hier, da ist es kein Problem. Man muss sich mit beschäftigen und ein bisschen Sport machen, dann geht das, denke ich. Ja."

Auch für Mantz ist der Job Zeitvertreib und wichtiger Nebenverdienst gleichzeitig. Pro Stunde erhält er 7,50 Euro - für arbeitende Rentner keine schlechte Bezahlung. Auf den Mindestlohn für seine Branche hofft er trotzdem, nicht zuletzt wegen der jüngeren Kollegen.

"Ich frag mich, wie die später mal die Rente noch kriegen sollen, die hier bei uns sind? Das müssen sie selbst entscheiden. Also, ich würde hier jetzt, ich meine, in dem Alter, wie die sind, würde ich hier nicht arbeiten. Für das Geld würde doch keiner mehr früh aufstehen."

Mit dieser Einschätzung liegt Adolf Mantz allerdings völlig falsch. Viele arbeiten in Deutschland für 7,50 Euro die Stunde und weniger. Alte und Junge. Kellner, Friseurinnen, Klofrauen, Putzfrauen - sie alle verdienen weniger. Zum Beispiel auch Parkhauswächter Horst Müller.

"Guten Tag, Danke schön, zwei Euro bitte!"

Das winzige Häuschen, in dem Horst Müller an der Ausfahrt eines Parkhauses in Berlin-Neukölln sitzt, ist keinen Meter breit und dem entsprechend eng. Nur mit Mühe kann sich der 77-jährige schmale Mann in dem Kabuff auf seinem Drehstuhl umdrehen und kassieren. Seit zwölf Jahren macht er das schon, immer drei Tage die Woche, um die 70 Stunden im Monat.

"Damit meine Zeit Zuhause nicht so langweilig ist und dann hab ich Enkelkinder genug, die sich freuen, wenn Opa mal einen Groschen über hat. Komischerweise sag ich immer noch einen Groschen. Ja, das ist so mein Leben dafür. Ich mach sechs Stunden. Ja, nicht jeden Tag, wir wechseln uns ab, wir sind ja mehrere Kollegen. Na ja, so ist das Leben einfach."

Horst Müller hat 40 Jahre als Schlosser gearbeitet, bekommt dafür 1100 Euro Rente. Wie viel er jetzt genau verdient, will Müller lieber nicht sagen, genauso wenig wie seinen richtigen Namen. Wie viele Rentner heutzutage ist auch er körperlich fit, sieht man ihm sein Alter kaum an. Die Haut ist leicht gebräunt, die Augen blicken wach, nur die fehlende Haarpracht ist etwas verräterisch.

"Gut gehalten nech? Trotz der schweren Arbeit. Ich mein, Krankheiten haben wir alle, der Blutdruck ist ein bisschen hoch und bisschen Zucker, aber das hat man im Griff mit Pillen. Ne nee, ich fühl mich wohl. Das macht ein bisschen fit, ja ja. Ich weiß von meinen ehemaligen Arbeitskollegen, die sind leider ziemlich schnell verstorben, nachdem sie Zuhause gewesen sind."

Deshalb will Müller unbedingt weiter arbeiten, damit er fit bleibt, Abwechslung hat und genügend "Groschen" für die Enkel.