"Arbeiten, arbeiten und sonst nichts denken"

Niemand habe sein Werk so gut verstanden, wie der französische Kunstkritiker Louis de Marsalle, schwärmte Ernst Ludwig Kirchner. Tatsächlich hatte dieser in diversen Ausstellungskatalogen immer neue Worte für Kirchners einzigartige Kunst gefunden. Allerdings: Kirchner und Marsalle waren ein und dieselbe Person.
Kirchner, der vielleicht bedeutendste Maler des deutschen Expressionismus, hatte sich zeit seines Lebens wortreich über seine eigenen Arbeiten geäußert, in Briefen, Tagebuchnotizen und kommentierenden Schriften. Und wenn es der eigenen Sache diente, eben auch gerne unter Pseudonym. Viele seiner Schriften zeugen davon, wie er sein Werk verstanden wissen wollte und dessen Rezeption zu lenken versuchte. "Ein Künstlerleben in Selbstzeugnissen" zu schreiben, ist also gerade im Fall von Kirchner ebenso verlockend wie tückisch.
Andreas Gabelmann geht nun eben dieses Wagnis ein. Er zeichnet Leben und Werk des Künstlers mit einer biografischen Collage aus eigenem Text, Äußerungen Kirchners und Zeugnissen von Weggefährten nach. Dabei findet er immer wieder Schlüsselsätze, die zum Kern von Kirchners Kunst durchdringen. Etwa wenn dieser als Student beklagt, die bisherige Kunst sei "so wenig gebend von dem farbigen, sonnigen Leben draussen. Und das war es, was ich so gern auf Bildern gesehen hätte, unser Leben, Bewegung, Farbe."
Die "geradezu herrliche Arbeitswut", die Kirchner 1905 erfasst, als er gemeinsam mit Fritz Bleyl, Erich Heckel und Karl Schmitt-Rottluff die Künstlervereinigung Brücke in Dresden gründet, wird bei Gabelmann ebenso lebendig, wie die rauschhaften 1910er-Jahre im Berlin der Vorkriegszeit, wo Kirchner in das pulsierende Leben der Großstadt eintaucht und "zeichnen (muss) bis zur Raserei, nur zeichnen ... arbeiten, arbeiten und sonst nichts denken."
Es sind vor allem Kirchners Werke aus den Dresdner und Berliner Jahren, für die er heute weltberühmt ist. Aktdarstellungen, Porträts, Straßenszenen: Kirchners Pinselstrich ist von Beginn an einzigartig und unverwechselbar. Seine Berliner Bilder werden zu Ikonen des Expressionismus.
Obwohl Kirchner schon zu Lebzeiten Erfolg hatte – glücklich war er nicht. Vor allem nach seiner tiefen Krise, ausgelöst durch den Ersten Weltkrieg und nie zur Gänze überwunden, klingt der Künstler melancholisch und verzweifelt. Aus der Davoser Bergwelt, in die er sich von 1918 bis zu seinem Selbstmord 1938 zurückzieht, schreibt er: "Ich bin nicht die Art unter den Menschen warm zu werden, ... das ist Schicksal und vielleicht einer der schwersten Gründe, weshalb ich Maler wurde."
Andreas Gabelmann zeigt Ernst Ludwig Kirchner in vielen Facetten, lässt allerdings die Distanz zu dessen Selbstzeugnissen häufig vermissen. Er verzichtet auf eine kritische Einordnung und deutliche Hinweise auf ihre Doppelbödigkeit. Den Marsalle'schen Anteil des Künstlers, also Kirchner als Kommentator seiner selbst, bekommt Gabelmann daher zu wenig in den Blick, und so ergeht es zwangsläufig auch dem Leser. Dennoch: ein interessantes, schön gemachtes Buch, hochwertig gedruckt mit guten Abbildungen und Fotos.
Besprochen von Eva Hepper
Andreas Gabelmann: Ernst-Ludwig Kirchner. Ein Künstlerleben in Selbstzeugnissen
Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2010
96 Seiten, 19,80 Euro
Andreas Gabelmann geht nun eben dieses Wagnis ein. Er zeichnet Leben und Werk des Künstlers mit einer biografischen Collage aus eigenem Text, Äußerungen Kirchners und Zeugnissen von Weggefährten nach. Dabei findet er immer wieder Schlüsselsätze, die zum Kern von Kirchners Kunst durchdringen. Etwa wenn dieser als Student beklagt, die bisherige Kunst sei "so wenig gebend von dem farbigen, sonnigen Leben draussen. Und das war es, was ich so gern auf Bildern gesehen hätte, unser Leben, Bewegung, Farbe."
Die "geradezu herrliche Arbeitswut", die Kirchner 1905 erfasst, als er gemeinsam mit Fritz Bleyl, Erich Heckel und Karl Schmitt-Rottluff die Künstlervereinigung Brücke in Dresden gründet, wird bei Gabelmann ebenso lebendig, wie die rauschhaften 1910er-Jahre im Berlin der Vorkriegszeit, wo Kirchner in das pulsierende Leben der Großstadt eintaucht und "zeichnen (muss) bis zur Raserei, nur zeichnen ... arbeiten, arbeiten und sonst nichts denken."
Es sind vor allem Kirchners Werke aus den Dresdner und Berliner Jahren, für die er heute weltberühmt ist. Aktdarstellungen, Porträts, Straßenszenen: Kirchners Pinselstrich ist von Beginn an einzigartig und unverwechselbar. Seine Berliner Bilder werden zu Ikonen des Expressionismus.
Obwohl Kirchner schon zu Lebzeiten Erfolg hatte – glücklich war er nicht. Vor allem nach seiner tiefen Krise, ausgelöst durch den Ersten Weltkrieg und nie zur Gänze überwunden, klingt der Künstler melancholisch und verzweifelt. Aus der Davoser Bergwelt, in die er sich von 1918 bis zu seinem Selbstmord 1938 zurückzieht, schreibt er: "Ich bin nicht die Art unter den Menschen warm zu werden, ... das ist Schicksal und vielleicht einer der schwersten Gründe, weshalb ich Maler wurde."
Andreas Gabelmann zeigt Ernst Ludwig Kirchner in vielen Facetten, lässt allerdings die Distanz zu dessen Selbstzeugnissen häufig vermissen. Er verzichtet auf eine kritische Einordnung und deutliche Hinweise auf ihre Doppelbödigkeit. Den Marsalle'schen Anteil des Künstlers, also Kirchner als Kommentator seiner selbst, bekommt Gabelmann daher zu wenig in den Blick, und so ergeht es zwangsläufig auch dem Leser. Dennoch: ein interessantes, schön gemachtes Buch, hochwertig gedruckt mit guten Abbildungen und Fotos.
Besprochen von Eva Hepper
Andreas Gabelmann: Ernst-Ludwig Kirchner. Ein Künstlerleben in Selbstzeugnissen
Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2010
96 Seiten, 19,80 Euro