Arbeit zum Nulltarif

Von Susanne Arlt |
Bundeswirtschaftsminister Glos möchte, dass schwer vermittelbare Langzeitarbeitslose 39 Stunden "Bürgerarbeit" in der Woche leisten - zwangsweise sozusagen. Wer keinen regulären Job findet, soll dazu gezwungen werden, zum Beispiel alte Menschen zu betreuen, sonst gibt es kein ALG II mehr.
Musiktherapie im Altenpflegeheim Augustinuswerk. 20 ältere Damen und zwei Herren sitzen im Kreis auf bequemen Stühlen. Die Frauen und Männer strecken die Arme weit von sich, kreisen langsam mit den Händen. Eine professionelle Betreuerin gibt die Anweisungen, Antje Litschewski sitzt daneben, schaut den Altenheimbewohner bei ihren Gymnastikübungen aufmerksam zu. Sie ist eine von insgesamt 106 Bürgerarbeitern, die seit knapp zwei Jahren in dem Kurort einer gemeinnützigen Arbeit nachgehen. Für 680 Euro im Monat liest die 30-jährige den Altenheimbewohner aus der Zeitung vor, backt ihnen Kuchen, bastelt mit ihnen zu besonderen Anlässen, unternimmt Spaziergänge durch den Kurort und hilft bei den Gymnastikübungen mit.

Vermeintlich aussichtslose Fälle wie Antje Litschewski spielen die Hauptrolle in der Erfolgsgeschichte namens Bürgerarbeit. Vor zwei Jahren sieht ihr Alltag noch ganz anders aus. Die gelernte Einzelhandelskauffrau ist arbeitslos und sitzt frustriert zu Hause. Nach der Geburt ihres Sohnes findet sie einfach keine Anstellung mehr. Sie bewirbt sich sogar um Stellen, die nicht einmal ausgeschrieben sind. Trotzdem - nichts klappt. Eine Zeitlang hilft sie an der Kasse eines Drogeriemarktes aus, verkauft in einer Zoohandlung Vögel, Hamster und Meerschweinchen. Im Sommer 2006 dann kommt die Wende. Arbeitsvermittler laden jeden in Bad Schmiedeberg gemeldeten Arbeitslosen zum Gespräch. 331 Namen stehen auf der Liste, einer davon ist der von Antje Litschewski. Im November bekommt sie noch einmal Post. In dem Brief teilt ihr der Arbeitsvermittler mit, dass sie ab dem 1. Dezember einen Job hat. Die 30-jährige glaubt erst an einen Scherz. Die Bürgerarbeit, sagt Antje Litschewski heute, hat mein Leben komplett umgekrempelt.

Litschewski: "Es ist aufbauend vor allen Dingen für die Seele. Das Kind hat das voll gemerkt. Also am Anfang als man zuhause saß, ach so, hm, das können wir uns nicht leisten, ach keine Lust heute, ja und zum zehnten Mal die Wohnung geputzt und irgendwelche sinnlosen Tätigkeiten. Durch die Arbeit ist man viel mobiler. Es ist ne Aufwertung des Selbstbewusstseins und wesentlich mehr Lebensqualität."

Die Formel könnte lauten: einst Langzeitarbeitsloser, jetzt Bürgerarbeiter, gleich glücklicher Arbeitnehmer. Für ihre 30-Stunden-Woche bekommen sie einen Bruttolohn von mindestens 675 aber höchstens 975 Euro. In dem Modellprojekt sind befristete Arbeitsverträge von einem Jahr vorgesehen. Aufgrund des Erfolgs aber wurden sie verlängert. Aber keine Leistung ohne Gegenleistung. So lautet das Grundprinzip der Bürgerarbeit, erklärt Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Reiner Haseloff. Der CDU-Politiker war lange Zeit Arbeitsamtsdirektor der Lutherstadt Wittenberg und somit auch für den Ort Bad Schmiedeberg zuständig.

Haseloff: "Wir versuchen Geld, was bisher für Arbeitslosengeld und die Kosten der Unterkunft ausgegeben wurden, zusammenzunehmen und mit einem weiteren kleinen Zuschuss, der ebenfalls aus dem Topf zur Betreuung der Langzeitarbeitslosen stammt, ein sozialversicherungspflichtiges, also ganz normales Arbeitsverhältnis darzustellen."

Im Prinzip bekommt ein Arbeitsloser Geld in dieser Höhe vom Staat, auch ohne etwas zu leisten - nämlich Arbeitslosengeld I oder II plus der Wohnzuschüsse. Doch der Unterschied zu vorher: Jetzt werden die Menschen gebraucht, sie dienen dem Gemeinwohl. Sylvia Kühnel von der Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen leitet das Projekt Bürgerarbeit. Nach knapp zwei Jahren zieht sie eine ausschließlich positive Bilanz.

Kühnel: "Zu Beginn in Bad Schmiedeberg gab es 16 Prozent Arbeitslose. Die Arbeitslosigkeit liegt jetzt bei inzwischen sechs bis sieben Prozent. Ich meine, mancher hat sich auch in der Arbeitslosigkeit eingerichtet. Das ist kein Geheimnis. Das Bestreben auf jeden Fall mit demjenigen was machen zu wollen, zu müssen, hat dann denke ich manche Potenziale freigesetzt, die sonst vielleicht nicht zum Tragen gekommen wären."

Das Konzept beginnt mit Stufe eins bis drei: einladen, beraten, vermitteln. Ein Arbeitsvermittler der Wittenberger Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit kümmert sich um 100 Arbeitslose. Eine Quote, die weit über dem Durchschnitt liegt. Normalerweise ist ein Vermittler für 400 Klienten zuständig. Nur die sehr persönliche Beratung erklärt, warum von den insgesamt 340 Arbeitslosen in Bad Schmiedeberg 70 Personen sofort eine Anstellung auf dem ersten Arbeitsmarkt finden. 34 Arbeitssuchende gehen seitdem einer sinnvollen Weiterbildung nach. Nur wer gar nicht vermittelt werden kann, der bekommt das Angebot der Bürgerarbeit. Das Land Sachsen-Anhalt nutzt dabei auch alle Möglichkeiten, die das Sozialgesetz bietet. Wirtschaftsminister Reiner Haseloff:

Haseloff: "Es gibt Druckinstrumente, weil nach dem SGB II jede zumutbare Arbeit anzunehmen ist, und wir bieten zumutbare Arbeit. Bürgerarbeit ist ein legitimes, gesetzlich abgesichertes Modell, was dazu dient, die Vermittlungsmöglichkeiten zu erhöhen und die Aktivierungschancen zu verbessern."

Wer bei der Bürgerarbeit nicht mitmacht, riskiert, dass sein Arbeitslosengeld gestrichen wird. Doch wie fast alle anderen Bürgerarbeiter in Bad Schmiedeberg muss auch Antje Litschewski nicht zu ihrem Job im Augustinuswerk gezwungen werden. Viele wollen für das Geld, das sie ohnehin vom Staat bekommen, lieber arbeiten gehen. Berechnungen haben ergeben, dass man mit der Bürgerarbeit sogar Geld einspart. Die Ausgaben für die Arbeitslosengeld-II-Empfänger sind seit Beginn des Projekts zurückgegangen. Gab die Kommune anfangs monatlich noch 200.000 Euro für die Langzeitarbeitslosen aus, sind es jetzt nur noch 120.000 Euro. Projektleiterin Sylvia Kühnel erklärt sich das folgendermaßen.

Kühnel: "Wir haben herausgefunden, dass in wirklich jeder Rubrik Einsparungen da sind. Bei denjenigen, die in Beschäftigung sind natürlich mehr. Aber selbst bei denjenigen, die nur in Maßnahmen gegangen sind oder die auch arbeitslos geblieben sind, haben wir geringfügige Einsparungen dadurch, dass sich einfach im Familienbund offensichtlich was geschehen ist. Dadurch hat sich die Hilfe der Bedürftigkeit der Bedarfsgemeinschaft insgesamt verringert."

Bei der Bürgerarbeit bekommen die Menschen zwar weniger Geld als bei einer ABM-Stelle. Ausgeglichen wird das möglicherweise durch einen psychologischen Aspekt. Antje Litschewski hat einen festen Arbeitsvertrag, ihre Sozialabgaben zahlt sie selbst. Zum Leben bleibt nicht viel, aber es reicht. Und sie hilft durch ihre Arbeit älteren Menschen.

Litschewski: "Die eine hatte Geburtstag, die wollte einen Sekt haben, dann habe ich ihr den besorgt und bin für sie einkaufen gegangen. Da freut sie sich natürlich drei Tage drüber, weil sie zu ihrem Geburtstag das hatte, was sie wollte. Und die Herzlichkeit, die von den Bewohnern zurückkommt, das ist das Schönste."

Was man braucht seien Geduld, starke Nerven und man muss Menschen mögen, sagt die 30-Jährige. Jeden Vormittag liest Antje Litschewski den Bewohner aus dem Altenheim aus der Zeitung vor. Auch heute sitzen 18 ältere Damen und Herren in der Runde und sind gespannt, was Antje Litschewski zu erzählen hat.

Litschewski: "Was passiert ist, Polizeiberichte, was so die älteren Stars machen, Schlagerstars, So, Frau Ottilie, was sind sie denn für´n Sternzeichen … hm keine leichtsinnigen Geldausgaben … Ich wollte eigentlich eine, der mich ... wollen Sie zum Telefon? Nein Toilette, sagst du Bescheid? Es kommt gleich jemand, ich sag Bescheid, … das ist aber nett. Na klar!"

Denn eines darf Antje Litschewski nicht. Sie darf nicht die Aufgaben der regulären Pflegekräfte übernehmen. Sie darf weder die Heimbewohner füttern, noch ihnen beim Anziehen helfen, noch ihre Zimmer aufräumen oder sie zur Toilette begleiten. Bürgerarbeit soll marktfern und wettbewerbsneutral sein. Für Lothar Neumann, Leiter des Augustinuswerks, ein Seiltanz. Schließlich möchte er seinen Bürgerarbeitern keine sinnlosen Jobs anbieten. Wirtschaftswissenschaftler argumentieren dagegen: Jede Tätigkeit ist marktüblich, aber sie muss natürlich bezahlbar sein. Der Stellenplan des Augustinuswerks lässt jedoch eine so intensive Betreuung der Demenzkranken nicht zu, wie sie sich Lothar Neumann wünscht. Mit den acht Bürgerarbeitern kann sich das Haus eine intensivere Pflege dieser Menschen leisten, die früher eben nicht möglich war. Für Lothar Neumann sind die Bürgerarbeiter darum ein Segen.

Neumann: "Ich glaube, es blauäugig, wenn unserer Gesellschaft glaubt, dass wir wieder alle Menschen in Lohn und Brot bringen werden. Und wir werden immer einen Teil von langzeitarbeitslosen Menschen haben, die aufgrund dieser Vermittlungsschwierigkeiten, nicht mobil, an Öffnungszeiten von Kindertagesstätten gebunden usw., die werden auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Arbeit bekommen. Und dann fände ich es sozial gerechter, gesellschaftlich sinnvoller, wenn diese Leute etwas für die Gesellschaft an sich tun."

Bad Schmiedeberg - das Jobwunder. Es klingt ein bisschen wie die Geschichte vom Glück ohne Ende. Alle haben Arbeit, alle werden gebraucht, alles sind glücklich. Fast zu schön, um wahr zu sein. Bundeswirtschaftsminister Michael Glos hat das Modell Bürgerarbeit überprüfen lassen. Das Institut zur Zukunft der Arbeit hat für den CSU-Politiker ein Gutachten zur Workfare, also zur gemeinnützigen Arbeit erstellt. Die Mitarbeiter des Instituts kommen zu dem Schluss, dass auf diese Weise bundesweit 1,4 Millionen Arbeitsplätze entstehen könnten. Das hat Michael Glos so beeindruckt, dass er jüngst forderte, die Bürgerarbeit in ganz Deutschland einzuführen. In dem von Glos favorisierten Workfare-Modell sollen sie jedoch weniger verdienen und stattdessen länger arbeiten. Der Bundeswirtschaftsminister glaubt, dass ansonsten der Ansporn zu gering sei, um auf dem ersten Arbeitsmarkt nach einer Stelle zu suchen. Schließlich sollen die Arbeitsverträge der Bürgerarbeiter dann unbefristet sein. Der Magdeburger Wirtschaftswissenschaftler Joachim Weimann aber streut Salz in das politische Wunschsüppchen. Für ihn ist die Vorstellung des Bundswirtschaftsministers abenteuerlich. Mit den Ein-Euro-Jobs habe man doch bereits die Erfahrung gemacht, dass die Nachfrage größer sei als das Angebot. Würden diese Jobs ausgeweitet, käme es sofort zu Verdrängungseffekten am ersten Arbeitsmarkt. Ganz ähnlich würde es auch bei der Bürgerarbeit laufen, glaubt Joachim Weimann.

Weimann: "Die kümmert sich ausschließlich darum, diejenigen, die jetzt auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht unterkommen, irgendwie zu beschäftigen, ich würde fast sagen, sie zu verstecken. Ihnen eine Art Placebo zu verpassen, was so aussieht wie Arbeit, aber letztendlich keine ist. Und dazu kommt, dass dies natürlich nur geht, wenn man erstens reguläre Arbeitskräfte vom ersten Arbeitsmarkt verdrängt und zweitens wenn man Arbeit verdrängt, die ansonsten im Zuge von ehrenamtlicher Tätigkeit freiwillig ohne Bezahlung wahrgenommen würde. Und letzteres finde ich eine sehr, sehr bedenkliche Entwicklung."

Stattdessen sollte sich die Politik lieber um das eigentliche Kernproblem kümmern, die zu geringe Arbeitsmarktnachfrage. Weimann zufolge müssten in Deutschland dringend Reformen durchgeführt werden, die die Arbeit von Geringqualifizierten wieder bezahlbar machen. Würden die Arbeitskosten gesenkt, würden in diesem Sektor auch wieder mehr Stellen entstehen. Der Wirtschaftswissenschaftler kann lediglich dem Stufenplan etwas abgewinnen.

Weimann: "Die Vermittlungsbemühungen und Weiterbildungsbemühungen sind uneingeschränkt positiv zu beurteilen, aber das hat mit der Bürgerarbeit nichts zu tun, sondern ist das Kerngeschäft der Bundesagentur für Arbeit, das sie schon längst hätte erledigen müssen. Würde man die Betreuung der Langzeitarbeitslosen entsprechend intensivieren, würde man die gleichen Effekte erzielen. Davon hält niemand die Bundesarbeitsagentur ab und niemand müsste die teure Bürgerarbeit einführen."

Die kleine Gemeinde Barleben liegt nur wenige Kilometer nördlich von Magdeburg. Auf den ersten Blick sieht das 6000-Seelen-Dorf aus wie jeder andere Ort auch: eine Kirche, zwei Discount-Läden, ein Fleischerladen. Doch im Gegensatz zu anderen Gemeinden in Sachsen-Anhalt herrscht auch hier nahezu Vollbeschäftigung. Und auch hier heißt das Erfolgsmodell Bürgerarbeit.

Bernd Krügermann sitzt im Jobcenter in Barleben seiner persönlichen Arbeitsvermittlerin Barbara Kohnat gegenüber. Das Fördern und Fordern wird bei der Bürgerarbeit stark gemaßregelt. Darum müssen sich Teilnehmer wie Bernd Krügermann trotz ihres 30-Stunden-Jobs weiter um eine Anstellung auf dem ersten Arbeitsmarkt bemühen.

Bernd Krügermann schaut in die Tageszeitungen, ins Internet, hört sich um. Doch viel Hoffnung macht sich der studierte Bauingenieur nicht mehr. Mit 60 Jahren ist er einfach zu alt für die Baustelle. Aber Bernd Krügermann ist flexibel. Er würde auch in ganz Deutschland einen Job als Hausmeister annehmen.

Seit anderthalb Jahren arbeitet Bernd Krügermann sechs Stunden am Tag in der Heimatstube Barleben. In dem kleinen Museum des örtlichen Heimatvereins restauriert der 60-Jährige alte Möbelstücke oder repariert altes Spielzeug. Vor seiner Zeit als Bürgerarbeiter ist er sechs Jahre lang arbeitslos, bessert sein Arbeitslosengeld mit Gelegenheitsjobs auf. Viel mehr Geld bekommt er auch als Bürgerarbeiter nicht, dafür aber ist sein Kontakt zu seiner Umwelt besser geworden

Krügermann: "Also für mich bedeutet das im Prinzip, dass ich erst mal viele Leute kennenlerne, die ich vorher nicht kannte. Also dass ich erst Mal im Leben des Dorfes ne andere Einstellung habe. Weil ich früher doch relativ Einzelgänger oder wenig Bekannte hatte. Dann ist es ein angenehmes Arbeitsklima. Es ist kein Druck da, der früher täglich vorhanden war, man muss sich bemühen. Und obwohl es ja nicht so viel Geld ist, ist es trotzdem eine angenehmere sein Geld zu verdienen als zu erkämpfen."

Bernd Krügermann wird dort anrufen. Vielleicht klappt es ja diesmal, sagt er und ringt sich ein zaghaftes Lächeln ab. Doch wenn er ehrlich ist, dann glaubt der 60-Jährige nicht mehr an eine Festanstellung. Der Bürgerarbeiter hofft, dass sein Arbeitsvertrag ein drittes Mal verlängert wird. Das aber stehe leider noch in den Sternen, sagt Bürgermeister Franz-Ulrich Keindorff. Der FDP-Politiker befürwortet das Modellprojekt. Die Schwarzarbeit wird eingedämmt, die Menschen kommen wieder in Arbeit, die Erwerbslosenquote ist von über acht auf drei Prozent gesunken. Die Bürgerarbeit tut ganz Barleben gut, sagt Keindorff.

Keindorff: "Die meisten Bürgerarbeiter stehen ja irgendwie im öffentlichen Leben bei ihrer Arbeit. Sie sind ja nicht irgendwo im stillen Kämmerlein. Und das spielt schon eine große Rolle, dass die Umgebung sieht, auch die Firmeninhaber und Handwerksbetriebe, dass keine Arbeit weggenommen wird aus der Wirtschat. Und das ist im Kleinen besser zu beobachten und besser im Griff zu bekommen wie in einer Großstadt. Da hätte ich dann doch so meine Bedenken, dass das dann so funktioniert wie hier."

Sechs der insgesamt 65 Bürgerarbeiter schaffen sogar aus der Bürgerarbeit den Sprung auf den ersten Arbeitsmarkt. In Bad Schmiedeberg entwickeln sich die Zahlen ähnlich. Für Projektleiterin Sylvia Kühnel sind diese Zahlen ein Erfolg, denn schließlich handelt es sich um Langzeitarbeitslose. Die gelten in Fachkreisen als besonders schwer vermittelbar. Doch die Pläne des Bundeswirtschaftsministers, die Bürgerarbeit flächendeckend in Deutschland einzuführen, sieht auch Sylvia Kühnel skeptisch.

Kühnel: "Ich maße mir nicht an, darüber zu richten, dass das eine seriöse Aussage ist. Wir haben unsere Erfahrungen hier in unseren kleinen Orten gemacht, ne Hochrechnung kommt sicherlich irgendwie zu diesem Ergebnis, aber man muss sehen wie es in den großen Städten läuft. Man muss sehen, wie es in großen Städten in westlichen Bundesgebieten läuft, wo die Situation wieder eine völlig andere ist. Da haben wir hohe Ausländeranteile, wie man da dieses Projekt installieren kann, das muss man testen."

In Weiden in der Oberpfalz wird gerade getestet – allerdings unter anderem Namen: Job-Perspektive nennt sich das Modell, das der Bürgerarbeit aus Sachsen-Anhalt sehr ähnelt. Auch von der bayerischen Variante sollen insbesondere Menschen profitieren, die bisher auf dem ersten Arbeitsmarkt chancenlos waren. Auch in der Stadt Hof läuft das Projekt jetzt an. Auf der Internetseite steht: Das primäre Ziel ist, Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Wirtschaftswissenschaftler wie Joachim Weimann können darüber nur mit dem Kopf schütteln. Für ihn ist und bleibt die Bürgerarbeit ein Placebo.

Weimann: "Das ist die komplette Kapitulation vor dem Arbeitsmarktproblem. Das heißt, wir geben die Hoffnung im Grunde genommen auf, dass diese Menschen noch einmal am ersten Arbeitsmarkt tätig werden, dort produktiv sind und einen Teil ihres Lebensunterhalts durch eigene Hände Arbeit zu erwirtschaften."

Zurück nach Bad Schmiedeberg in Sachsen-Anhalt. Bürgerarbeiterin Antje Litschewski sitzt in der Halle des Pflegeheims und liest das letzte Tageshoroskop vor.

Litchewski und Rentnerin: "Wäre schön, wenn sie es noch einmal verlängern, auch für die Damen, wa?! Wäre das schön, wenn wir weiterkommen nächstens Jahr? … Das ist doch klar."