Arbeit des NSU-Ausschusses wurde "konsequent blockiert"

Moderation: Christine Watty · 22.08.2013
Nach Ansicht der Schriftstellerin Esther Dischereit konnte der NSU-Untersuchungsausschuss die Ermittlungspannen zur Neonazi-Mordserie nicht genügend aufklären. Schuld daran seien die Ministerien und Behörden, die vor dem Ausschuss "samt und sonders gemauert" hätten.
Christine Watty: Die ersten Wie-war-es-für-Sie-Interviews wurden mit Mitgliedern des NSU-Untersuchungsausschusses bereits geführt, schon bevor heute der Abschlussbericht dem Bundestagspräsidenten übergeben wird. Tenor bisher aus dem inner circle, der versucht hat, die große Frage zu klären, wie konnte der NSU so unbehelligt vor sich hin agieren, Tenor jedenfalls, man habe nicht parteipolitisch geleitet gearbeitet in diesem Ausschuss, und darüber sei man sehr froh. Das heißt, alle waren offen für die anderen, und man hat auch einstimmige Beschlüsse gefasst. Die gemeinsame Arbeit hat also geklappt, das ist schön. Zusammengefasste Erkenntnisse sind zu erwarten in Bezug auf schwerwiegende strukturelle Probleme von Polizei, Verfassungsschutz und natürlich wird es gehen um den Einsatz von V-Leuten.

Aber kann der Ausschuss mit seinen Erkenntnissen konkret auf eine Veränderung in genau diesen Systemen hinwirken? Das bleibt vorsichtig abzuwarten - auch von Esther Dischereit. Sie ist Schriftstellerin, beschäftigt sich intensiv mit dem NSU-Komplex, war in vielen Sitzungen des Untersuchungsausschusses als Beobachterin mit dabei. Hallo, Frau Dischereit, schön, dass Sie hier sind!

Esther Dischereit: Guten Tag!

Watty: Es geht also auch für Sie persönlich die Sitzungszeit des Ausschusses zu Ende. Was sind Ihre stärksten Eindrücke dieser Treffen?

Dischereit: Ich erinnere mich, als ich anfing, in die Sitzungen zu gehen, das war ja möglich, auch für jedermann übrigens, das finde ich immer noch wichtig zu sagen, hatte ich eigentlich am Anfang gar nichts verstanden. Wirklich überhaupt nichts. Es hatte sich sehr nach Debatten aus einem inner circle angehört, also zwischen Polizei und Verfassungsschutz, und dazu gab es auch anhaltend das Problem, dass den Ausschussmitgliedern eine Aktenlage vorlag, die dann den Beobachterinnen und Beobachtern nun nicht zugänglich war. Also, das wurde dann auch keineswegs dann immer noch mal wiederholt, sodass man da mitgekommen wäre, sondern hat eben doch auch zu sehr fragmentarischen Eindrücken gelegentlich geführt.

Aber atemberaubend waren einige Sitzungen, das kann ich schon sagen. Ich erinnere mich an die Sitzung mit Herrn Stengel, einem ehemaligen Mitarbeiter des Verfassungsschutzes in Baden-Württemberg, ich erinnere mich an die Sitzung mit Mario Melzer vom Landeskriminalamt Erfurt. Das waren sehr bedeutende Momente, weil sie einfach zeigten, wie Leute, die in Diensten eingewoben sind, die da gewöhnlich im Korpsgeist verhaftet bleiben, auch bleiben müssen, ausbrechen und Zivilcourage zeigen.

Watty: Diese Warum-Frage zu beantworten, war für diesen Ausschuss keine leichte Aufgabe, Sie haben auch davon gesprochen eben, wie wenig Transparenz dann wiederum auch für die Beobachter erst mal herrschte. Und die Mitglieder des Ausschusses, die stießen ja bei ihren Recherchen immer wieder auf Hindernisse, auf Schweigen, auf Unklarheiten, auf eben geschredderte Unterlagen aus den Behörden. Man kann natürlich jetzt auch nicht sagen, der Ausschuss ist jetzt fertig mit seiner Arbeit, alles ist aufgeklärt, aber hat dieser Ausschuss Ihrer Meinung nach bisher etwas erreicht oder würden Sie das eher als gescheitertes Projekt beschreiben?

Dischereit: Das ist schwierig zu sagen. Wenn man das misst an dem Versprechen der Kanzlerin, die den Angehörigen der Opfer lückenlose Aufklärung versprochen hat, dann ist der Ausschuss gescheitert. Aber übrigens nicht aus Unvermögen, das im Ausschuss liegt, sondern aus Blockaden, die außerhalb des Ausschusses gelegen haben. Eben das Bundesministerium des Inneren, das Bundesamt für Verfassungsschutz, die Dienste haben samt und sonders gemauert. Es musste dann sozusagen irgendwie, ja ich möchte eigentlich den Ausdruck Whistleblower benutzen, über Whistleblower musste dann gelegentlich eine Wahrheit ans Licht kommen oder irgendwo tauchten dann doch wieder Akten auf. Also es ist ganz deutlich, dass die Arbeit dieses Ausschusses konsequent blockiert worden ist. Also ich hab das mal so zusammengefasst: Die Legislative wird von der Exekutive fortdauernd behindert.

Watty: Ist es aber nicht eine große Erkenntnis sogar, die dieser Ausschuss erreicht hat, dadurch, dass man jetzt weiß, wie da gemauert wurde, wie das überhaupt absolut undurchlässig ist, dieses System, sodass der Ausschuss vielleicht allein durch diese Erkenntnisse doch vielleicht die Kraft hätte, Veränderungen zu erreichen? Allein das offenzulegen, was man ja vorher so auch nicht in der Öffentlichkeit zumindest gewusst hat?

Dischereit: Das ist die Frage. Und das würde optimalerweise dann auch so im Abschlussbericht stehen. Also, da würden ja dann auch Konsequenzen in diese Richtung empfohlen werden müssen. Und diese Konsequenzen würden dann doch an der Legitimität der Fortexistenz dieser Geheimdienste sehr große Zweifel in den Raum stellen. Und ich fürchte, dass sich die Parteien dazu nicht verstehen werden, zu einer solchen Empfehlung zu kommen, sondern das wird sicherlich unterhalb dessen liegen und mehr auf so einer Konsensebene, dass man eben die Zivilgesellschaft stärkt, dass man die Beratungsstellen stärker verankert, dass man vielleicht auch eine Ombudsempfehlung gibt für Opferschutz und Betroffene von rassistischer Gewalttat. Aber der springende Punkt ist wirklich der Umgang mit den Geheimdiensten.

Watty: Die Schriftstellerin Esther Dischereit im Deutschlandradio Kultur zum Ende des NSU-Untersuchungsausschusses. Heute wird der Abschlussbericht an den Bundestagspräsidenten übergeben. Sie haben sich auch künstlerisch mit dem NSU-Komplex auseinandergesetzt. Es gibt ein Stück von Ihnen, "Ich kaufe ein in diesem Laden" heißt es, ein Hörstück, für das Sie sich eigentlich gewünscht hätten, dass es heute zur Übergabe dieses Berichtes abgespielt wird. Das hat nicht geklappt. Hat man einfach gesagt, nee, geht nicht, passt nicht, oder haben Sie eine andere Begründung erhalten?

Dischereit: Also, die Obleute haben sich offensichtlich damit beschäftigt und gefunden, dass die "Klagelieder", das ist also ein Konvolut von acht Texten, dann doch den zeitlichen Rahmen des 2. September, also dann, wenn der Bericht im Bundestag debattiert werden soll, dass die zeitliche Begrenzung zu stark ist. Das sind Texte, die gehören zu dem Opernprojekt "Blumen für Othello. Über die Verbrechen von Jena". Sie stehen separat, und Deutschlandradio hat sie auch bereits produziert. Sie werden am 3. September da gesendet werden. Aber wundervollerweise haben sich auch weitere Sender angeschlossen, sodass in verschiedenen Regionen und zu verschiedenen Zeiten rund um den September diese Lieder zu hören sein werden. Und wichtig ist, dass sie in türkischer Sprache auch zu hören sein werden.

Watty: Und wunderbarerweise, genauso wie dass es gesendet wird im Deutschlandradio Kultur, haben wir jetzt auch schon einen Ausschnitt, nicht am 3. September, sondern schon gleich heute. Der 3. September ist übrigens auch der Tag der Debatte über den Bericht im Plenum des Bundestages. Wie es sich dann anhören wird, hören wir jetzt in einem Ausschnitt aus diesen "Klageliedern" von Esther Dischereit.

Ein Ausschnitt aus den "Klageliedern", "Ich kaufe ein in diesem Laden" von Esther Dischereit, das Sie am 3. September im Deutschlandradio Kultur hören können. Frau Dischereit, wieso haben Sie diese Form gewählt, die natürlich die Trauer und den Verlust illustrieren? Sie hätten natürlich auch politische Botschaften, Aussagen auch, die Sie rund um diesen Ausschuss mitgenommen haben, in einem Hörstück verpacken können, aber – warum diese Form?

Dischereit: Ich fand verschiedene Formen da richtig und angemessen. Ich habe ja für das Opernprojekt durchaus auch Szenen entwickelt, die stärker an dem Geschehen orientiert sind, das ich im Ausschuss erleben konnte. Andererseits habe ich nicht dokumentarisch gearbeitet. Ich werde Figuren haben, die im Hades sich befinden und wo sich verschiedene Jahrhunderte treffen. Warum die Figur des Othello zum Beispiel? Ich finde die da vollkommen richtig – er war eben schwarz.

Die "Klagelieder" aber, die sind zu allererst entstanden und haben auch eine ganz andere Form. Sie sind eben sehr poetisch. Und mein Bedürfnis war es, diese öffentliche Klage zu führen, Klage um Bürgerinnen und Bürger – es sind ja seit 1990 152 Menschen die Opfer rechtsradikaler, rechtsterroristischer Gewalt geworden – diese Klage wollte ich im öffentlichen Raum führen. Und ich wollte vor allem diese Klage führen, ich wollte, dass es diese öffentliche Trauer gibt.

Watty: Ganz kurz noch zum Schluss: Werden Sie sich mit dieser Thematik weiter auch in Ihrer Arbeit beschäftigen?

Dischereit: Ich vermute es schon. Es wird auch noch eine Weile dauern, bis das Opernstück auf die Bühne kommt, und da wird noch vieles da in diesem Zusammenhang zu tun und zu bewerkstelligen sein. Zunächst mal wird es ja ein Hörstück. Im nächsten Frühjahr, es wird inzwischen auch ein Buch werden im Sezession-Verlag, das freut mich sehr. Auch das in deutscher und türkischer Sprache. Das finde ich jetzt im Moment eben auch sehr angemessen. Es muss einfach jetzt auch so eine symbolische Form geben, diese Ansprache zu führen und den Respekt auch zu bezeugen gegenüber der Vielfalt, die uns umgibt. Und, sagen wir mal, das ist ja mein Problem: Wenn ich die Schönheit zum Beispiel der türkischen Sprache nicht immer verstehe – es wäre doch einfach mal angemessen, sich damit auseinanderzusetzen, was es hier zu entdecken gibt.

Watty: Danke schön an die Schriftstellerin Esther Dischereit zum Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses, der heute übergeben wird, haben wir gesprochen. Ihr Hörstück "Die Klagelieder", aus denen es gerade einen Ausschnitt gab, läuft am 3. September hier im Deutschlandradio Kultur. Vielen Dank für den Besuch, Frau Dischereit!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema