Arabisches Filmfestival in Berlin

"Sehr viele Filme werden von Frauen gemacht"

Das Innere des Kinos "Arsenal" in Berlin, eine der Spielstätten des "ALFILM" Arab Film Festivals
Das Kino "Arsenal" ist eine der Spielstätten des "ALFILM" in Berlin. © picture-alliance/ dpa / Gero Breloer
Claudia Jubeh im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 31.03.2017
Es ist das deutschlandweit größte Festival des arabischen Films: das "Alfilm" in Berlin. Festival-Chefin Claudia Jubeh über den Mut junger Filmemacher, Zensur in den Heimatländern - und die überraschende Rolle von Frauen im arabischen Kino.
Jedes Jahr, so Festival-Chefin Claudia Jubeh, ziehe sich ein Thema wie ein roter Faden durch viele Filme aus unterschiedlichen arabischen Ländern. Diesmal, beim 8. Alfilm Festival, sei es die Identität und die Suche nach dem eigenen Platz in der Gesellschaft. Bestes Beispiel dafür sei der niederländische Film "Bezness as Usual", in dem sich ein Junge auf die Suche nach seinem tunesischen Vater macht: "Wir bemühen uns (...), nicht nur die ganz brandheißen aktuellen Themen aufzugreifen, die in den Nachrichten vorkommen, sondern eben auch darüber hinaus zu schauen", sagt Jubeh.
Die arabische Welt sei "bunt und vielfältig" - entsprechend die Filme: Existentialistisches aus Algerien etwa oder "Revolutionskino aus Palästina". Für deutsche Zuschauer wahrscheinlich überraschend: "Sehr viele Filme - circa die Hälfte - werden von Frauen gemacht", sagt Jubeh. Es gebe nicht nur Regisseurinnen, sondern auch Kamerafrauen und viele weibliche Protagonistinnen.

Der Mut der jungen Generation

Jubeh hebt besonders den Mut der jungen Generation von Filmemachern hervor:
"Viele greifen wirklich auch sehr unbequeme Themen auf und setzen sich damit auseinander. Das geht von Homosexualität, aber auch politischen Widerstand über dysfunktionale Staatsapparate - wirklich die ganze Bandbreite der Missstände, die es auch in vielen arabischen Ländern gibt, wird sehr mutig thematisiert."
Dann passiere es, dass derartige Filme in ihren Entstehungsländern gar nicht gezeigt werden könnten - zum Beispiel ein jordanischer Beitrag, der sich über das Staatssystem und die Justiz lustig macht. (bth)

Liane von Billerbeck: Das achte ALFILM-Festival beginnt. Vielleicht haben Sie schon mal davon gehört, bei uns im Programm kam es eigentlich regelmäßig vor, denn es ist, wie mir meine Gesprächspartnerin eben schon sagte, die mir gerade gegenübersteht, ein Ereignis, ein festes Ereignis im Frühling in Berlin. Eine Woche lang gibt es nämlich in Berliner Off-Kinos überwiegend Independent-Filme aus Arabien zu sehen, alle Genres dabei, deutschlandweit ist es das größte Festival, das arabischen Filmen eine Plattform bietet. Und die eben schon angekündigte Gesprächspartnerin ist Claudia Jubeh, Festival-Mitbegründerin und Leiterin des ALFILM-Programms. Schönen guten Morgen!
Claudia Jubeh: Schönen guten Morgen!
von Billerbeck: Heute Abend gibt es einen Eröffnungsfilm – ich habe mich ja vorbereitet natürlich, wie sich das gehört –, und da geht es um einen jungen blinden Musiker aus einem libanesischen Dorf, der zu einer Auslandsreise eingeladen wird, und nun braucht er einen Pass. Und dabei findet er heraus, dass seine Papiere gefälscht sind, und beginnt mit der Spurensuche nach seinen wahren Wurzeln. Das ist also eine Suche nach Identität, nach Zugehörigkeit. Ist das sozusagen das Thema, das für das ganze Festival vorgegeben wird?
Jubeh: Ja, das kann man so ein bisschen auch so sehen. Tatsächlich können wir in jedem Jahr immer feststellen, dass viele Filme ähnliche Themen behandeln. In diesem Jahr zum Beispiel ist tatsächlich Identität und die Suche nach dem eigenen Platz in der Gesellschaft ein ganz, ganz festes Thema und das zieht sich tatsächlich wie ein roter Faden auch durch mehrere Filme aus mehreren Ländern.
von Billerbeck: In den … Es sind ja Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme des Festival … geht es um einen Flüchtling auch, der auf dem Weg von Afrika nach Europa in Tunesien strandet. Aber der Weg, den Flüchtlinge nehmen, der führt ja oft auch andersherum. Da gibt es einen Film vom niederländischen Filmemacher Alex Pitstra und der macht sich auf die Suche nach seinem tunesischen Vater, den seine Mutter mal kennengelernt hat in den 70er-Jahren in Tunesien, und die hat ihn dann mit nach Deutschland genommen. Und da geht es um Erotik und Wohlstand in diesem Film, also eine Geschichte, die in den 70er-Jahren begann. Wie aktuell ist denn diese Geschichte, wie aktuell-politisch, wenn die so einen langen Vorlauf hat?
Jubeh: Das ist ja das Schöne an unserem Festival: Wir bemühen uns auch so ein bisschen, nicht nur die ganz heißen, aktuellen Themen aufzugreifen, die in den Nachrichten vorkommen, sondern eben auch darüber hinauszuschauen. Und "Business as Usual" – das ist der Titel des Films – ist da ein ganz wunderbares Beispiel. Er ist wirklich eine Langzeitstudie auch, ein Einblick in eine Familie, in eine Geschichte der Gesellschaft und des Landes, aber eben auch in diese Brücke zwischen Europa und der arabischen Welt und welche Beziehungen dazwischen auch geschichtlich herrschen, auf einer ganz anderen als der politischen Ebene. Und was so spannend eben an diesem Film auch ist, ist, dass da wirklich ein ganz genaues Porträt der wechselseitigen Abhängigkeiten und auch Problematiken gezeichnet wird einfach anhand einer Familiengeschichte.
von Billerbeck: Was lernt man daraus?
Jubeh: Die arabische Welt ist bunt und vielfältig, anders in jedem Land, manchmal von Ort zu Ort. Es gibt einfach wahnsinnig viele Aspekte, die wir hier noch nicht kennen und die wir im Festival eben versuchen, auch so ein bisschen herauszuarbeiten. Es gibt den Libanon, der sich sehr von Tunesien unterscheidet, es gibt existenzialistische Filme aus Algerien, es gibt Revolutionskino aus Palästina, da gibt es einfach sehr viele Aspekte, die eben frisch sind und die uns hier in Deutschland weniger bekannt sind, weil sie eben in den Nachrichten nicht vorkommen.
von Billerbeck: Wer macht denn da nun die Filme? Und vor allem, für wen? Ich frage das besonders, wenn wir an große europäische Filmfestivals denken wie Cannes zum Beispiel, da gab es immer die Kritik, dass zu wenige Frauen, die Filme machen, da vorkommen, im Wettbewerb zumindest. Wie ist das bei Ihnen im arabischen Kino, das Sie jetzt hier zeigen?
Jubeh: Ja, das ist meine Lieblingsfrage, da interessieren sich die Journalisten immer sehr dafür, …
von Billerbeck: Ja klar, wir Journalistinnen vor allem!
Jubeh: Genau, richtig! Und tatsächlich freut es mich sehr, festzustellen, dass sehr, sehr viele Filme, immer so ungefähr die Hälfte von Frauen gemacht werden. Und nicht nur von Regisseurinnen, auch von Kamerafrauen. Wir haben viele weibliche Protagonistinnen. Das ist tatsächlich auch eine große Präsenz im arabischen Film, die vielleicht auch viele überraschen wird.
von Billerbeck: Und Sie zeigen die auch in diesem Ausmaß bei Ihrem Festival?
Jubeh: Ja!
von Billerbeck: Klare Antwort!
Jubeh: Auf jeden Fall!
von Billerbeck: Ein Thema, das einem auch immer einfällt, wenn man an diese Gegend denkt, aus der Ihre Filme kommen, obwohl das ja ein weites Feld ist, wenn Sie schon gesagt haben, Tunesien, Libanon, das ist ja wirklich eine riesige Entfernung … Wie steht es um die Zensur? Was wird da in den Filmen erzählt, was dürfen, was können Filmemacher zeigen, sagen?
Jubeh: Ja, das Schöne an der jungen Generation von Filmemachern ist, dass sie sehr mutig sind. Also, viele greifen wirklich auch gesellschaftlich sehr unbequeme Themen auf …
von Billerbeck: Zum Beispiel?
Jubeh: … und setzen sich damit auseinander. Das geht von Homosexualität über auch politischen Widerstand, über dysfunktionale Staatsapparate … Wirklich die ganze Bandbreite der Missstände, die es auch in vielen arabischen Ländern gibt, wird wirklich sehr mutig thematisiert. Und dann passiert es natürlich auch hin und wieder, dass Filme in ihren Entstehungsländern gar nicht gezeigt werden können. Wir haben da jetzt leider auch im Festival ein paar Beispiele, Filme, die wir zeigen können, die aber in ihren Ursprungsländern nicht aufgeführt werden dürfen. Das sind zum Beispiel der libanesische Spielfilm "The Beach House", der von der Zensur keine Aufführungserlaubnis erhalten hat, aus ungenannten Gründen; bei dem jordanischen Spielfilm "Blessed Benefit" wiederum ist es recht klar, warum der nicht aufgeführt werden darf in Jordanien, weil er sich tatsächlich so ein bisschen auch über das Staatssystem und vor allem die Justiz lustig macht, und das kommt scheinbar nicht so gut an.
von Billerbeck: Nun stelle ich mir vor, dass Sie das ganze Jahr unterwegs sind und Filme angucken und organisieren, dass dieses Festival dann zustande kommt. Sie schütteln mit dem Kopf! Ich will auf eine Frage hin: Wir haben hier seit 2015 eine große Debatte um die Flüchtlinge. Hat die auch die Art, wie das Festival läuft, oder die Auswahl der Filme beeinflusst?
Jubeh: Eher nicht. Eben weil wir auf eine Langfristigkeit setzen. Also, uns ist es einfach wichtig, jetzt nicht tausend Filme im Programm zu haben, die das Thema Flüchtlinge aufgreifen. Die kommen natürlich ganz organisch auch zu uns, das ist ja auch ein wichtiges Thema. Wir haben ja auch mit "The War Show" wieder einen syrischen Beitrag, der eben auch die Geschichte einer Flucht infolge der politischen Umstände thematisiert. Aber was sich bei uns konkret verändert hat, ist natürlich, dass wir uns auch bemühen, Filme für Flüchtlinge hier in Berlin zu zeigen und die Community auch direkt anzusprechen. Wichtiger ist uns allerdings, dass wir eben auch zeigen, dass arabische Kultur über das Festival, über wirklich einen kulturellen Austausch zwischen Deutschland und der arabischen Welt eine integrative Funktion hat, dass sich eben … Viele der Flüchtlinge hier sind eben auch Künstler, Filmemacher. Und wenn man die versucht, mit an Bord zu holen, dann kann man wirklich einfach auch noch mal in der Gesellschaft ein bisschen was aufmischen, was bunter machen, was Neues präsentieren.
von Billerbeck: Claudia Jubeh war hier bei mir zu Gast. Herzlichen Dank, dass Sie gekommen sind! Und das ALFILM-Programm, das größte Filmfestival für arabischen Film hierzulande, läuft eine Woche lang in fünf Berliner Kinos. Ich wünsche Ihnen alles Gute!
Jubeh: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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