App-Ausstellung "Schule der Folgenlosigkeit"

Mit Nichtstun die Umwelt retten

05:27 Minuten
Ein roter Stuhl steht in einem leeren Raum.
Gar nichts tun anstelle vom Streben nach Erfolg: Eine Lern-App soll zeigen, ob und wie das funktioniert. © picture alliance / Bildagentur-online / Tetra-Images
Von Tobias Krone · 15.12.2020
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Weil man seine Ausstellung "Schule der Folgenlosigkeit" derzeit wegen des Lockdowns nicht besuchen kann, hat der Designtheoretiker Friedrich von Borries sie in eine Lern-App umgewandelt. Tobias Krone hat diese getestet.
"Am Anfang der Schule der Folgenlosigkeit wollen wir uns erst einmal mit uns selbst beschäftigen. Mag ich das, was ich da sehe, und wenn ja, ist es ehrlich?" – Friedrich von Borries liegt im blauen Overall im Wald, auf einem Canapé, und sieht abwechselnd in die Kamera und in den Spiegel. Ich sehe von Borries dabei zu und folge ihm in den nächsten Stunden durch die Schule der Folgenlosigkeit – und zwar zu Hause auf einer Handy-App.

Mischung aus Ausstellung, App, Roman und Film

"Die Schule der Folgenlosigkeit ist eine Ausstellung, ist eine App, ist ein Roman, ist ein Film, ist ein großes Experiment auszuprobieren, wie mein Leben aussehen könnte, das keine negativen Folgen für die Umwelt hat", erklärt der Initiator im Interview. Wie das gehen soll – da hat Friedrich von Borries schon so einen Plan.
Friedrich von Borries sieht an seinem Schreibtisch Bewerbungen für das Stipendium für das Nichtstun durch.
Auch ein Stipendium für das Nichtstun hat Friedrich von Borries ausgeschrieben: Über zu wenig Bewerbungen kann er sich nicht beklagen.© picture alliance / dpa / Daniel Reinhardt
"Ich glaube, wir sind eine Gesellschaft, die total vom Streben nach Erfolg geprägt ist. Wo wir immer darauf gucken, was folgt auf das, was wir tun. Im Idealfall der Erfolg. Und ich glaube, dieses Denken ist genau das, was uns in die ökologische aber auch soziale Sackgasse geführt hat, in der wir gerade sind. Und dem stelle ich als Gegenbild die Folgenlosigkeit vor. Also, ein Leben, was eben nicht nach Folgen, nach Erfolgen strebt, sondern eher überlegt, was kann ich nicht tun, was kann ich bleiben lassen."

Das Nichtstun durchspielen und diskutieren

Die App ist deshalb wohl eher ein Essay, denn die Idee vom Bleibenlassen, will ja ordentlich diskutiert und durchgespielt werden. In zwölf Kapiteln macht von Borries je ein Interview mit allem, was Rang und Namen hat in der postkolonialen und Postwachstumstheorie. Zusätzlich gibt es Aufgaben und kleine Handyspiele zu bewältigen. Ich darf und soll mitspielen und mitperformen: zum Beispiel, indem ich Verzicht übe. Bei einer Luftanhalte-Meditation: "Einatmen – zwei – drei – vier - und halten... Es ist, als ob man immer mehr aufsteigt mit einem Ballon, die Sandsäcke abwirft und immer höher steigt, die Gedanken loslassen."
Die Idee ist reizvoll – auch die App an sich ist charmant. Doch ich stelle mir die Frage, warum dieses Nachhaltigkeitsexperiment nur auf jüngeren Smartphones läuft – und nach eigenen Recherchen bislang nur im Apple Store zu finden ist. Ich kaufe mir schließlich kein neues Ressourcen fressendes Smartphone, nur um mich in der Schule der Folgenlosigkeit so Themen wie dem Vermeiden von eigenen Datenspuren oder der Entschleunigung des eigenen Lebens zu widmen.
All diese Schritte, so glaubt von Borries, seien Teilübungen zum folgenlosen Leben. Genauso wie das Nichtstun. Doch ist so ein Leben sinnvoll? Der Soziologe Hartmut Rosa aus Jena ist skeptisch: "Ich glaube, unsere Gesellschaft hat immer diese, ich nenne es, Aggressionshaltung. Ich muss was tun, war erreichen, was bewirken. Und tatsächlich kann man sich sogar ans Nichtstun mit dieser Haltung machen: Ich muss jetzt auf was verzichten."
Dem Begriff der Folgenlosigkeit kann Rosa gerade jetzt in der Pandemie wenig abgewinnen. Schließlich habe Corona sehr interessante Folgen für die CO2-Bilanz: "Na ja, also die Zahl der Flugreisen ist um 90 Prozent gesunken und auch die Zahl des öffentlichen Verkehrs um 50 bis 80 Prozent. Wirklich erstaunlich! Sodass ich eigentlich hoffe, dass wir an der Stelle die Folgenlosigkeit überwinden können, weil wir plötzlich Selbstwirksamkeit erfahren haben: Wir können etwas tun. Deshalb würde ich eigentlich Folgenlosigkeit erst einmal als Problem diagnostizieren und nicht als Lösung."

Mit Solidarität zum besseren Leben

Also doch lieber irgendwas tun. Zu diesem Schluss kommt Friedrich von Borries dann auch. Der goldene Weg – so viel sei über die App verraten – ist nicht grüne Technologie oder die Flucht ins Spirituelle, sondern Solidarität. In all diesen Denkschritten wird das Experiment zur anspruchsvollen geistigen Heldenreise – die wohl auch eine Spur zu ausführlich geraten ist.
Die App reiht Interview an Interview. Zum Glück wird dieser Prozess immer wieder von lustigen Geschicklichkeitsspielchen unterbrochen – etwa einer Art motorischem Verantwortungssimulator. Wenn es mir zu blöd wird, überspringe ich die Zusatzaufgaben und sehe Friedrich von Borries zu, der in seinen Video-Intermezzi als eine Art Peter Lustig der Nachhaltigkeit versucht, die komplexe Theorie in kleinen Performances real anzuwenden und so auch der eigenen Awareness nachzujagen.
An einem Stück sollte man diese App nicht konsumieren. Insgesamt bin ich fast drei Stunden damit beschäftigt. Doch die kommende Zeit bietet sich ja an, Kapitel für Kapitel durchzuklicken, um klüger ins neue Jahr zu gehen: Der grünen Lebenslüge entkommt niemand, aber sie lässt sich zumindest verstehen.

"Schule der Folgenlosigkeit" – eine App anstelle einer Ausstellung - zu finden im Apple App Store und im Google Play Store.

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