Apollo, die Politik und der Mond

Von Dirk Lorenzen · 19.07.2009
In der Nacht zum 21. Juli 1969 sind die ersten Menschen auf dem Mond gelandet. Ein magischer Moment, den sicher niemand vergessen hat. Manche Wissenschaftler erinnern sich allerdings mit einem Stück Enttäuschung daran. Denn die Apollo-Flüge sind zugleich Fluch und Segen der Mondforschung.
Start des Lunar Reconnaissance Orbiter, 18. Juni 2009 - NASA-Sprecher:
"”9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1, main engine ignition, and lift-off of the Atlas 5 rocket with LRO/LCROSS. America's first step of a lasting return to the Moon.”"

18. Juni 2009, 17.32 Uhr Ortszeit am Kennedy Space Center. Eine Atlas-5-Rakete steigt auf einem Feuerschweif in den Himmel über Florida. In der Spitze der schlanken Rakete befinden sich zwei Forschungssonden, die beiden neuesten Errungenschaften im Weltraum-Fuhrpark der NASA. Sie sollen, wie der Sprecher der US-Weltraumbehörde beim Start pathetisch verkündet, der Anfang einer dauerhaften Rückkehr Amerikas zum Mond sein.

James Garvin: "”"Watching the mission finally fly is like a life-long dream of many folks. That dream really started way back 40 years ago when we firsted landed people on the moon.""

Für sein Team erfülle sich nun ein lebenslanger Traum, erklärt James Garvin, Chefwissenschaftler des Goddard Space Flight Center, im Internetportal der NASA. Dieser Traum habe vor 40 Jahren begonnen, als die ersten Menschen auf dem Mond gelandet sind.

Genau ein Dutzend Astronauten sind zwischen 1969 und 1972 auf dem Mond gewesen. Doch bei diesen Flügen ging es nur ganz am Rande um Wissenschaft. Denn das Apollo-Programm war vor allem Therapie für eine zutiefst verunsicherte amerikanische Volksseele.

Der Schock

4. Oktober 1957. Die Sowjetunion startet mit Sputnik den ersten Satelliten ins All und überrascht damit die Vereinigten Staaten. Dreieinhalb Jahre später folgt der nächste Schlag: Mit dem Russen Juri Gagarin kreist der erste Mensch um die Erde. Die Amerikaner scheinen im All hoffnungslos zurückzuliegen.

Anders als sein Vorgänger Dwight D. Eisenhower, der während des Sputnik-Fluges im Amt war, nimmt der neue US-Präsident John F. Kennedy die Übermacht der Sowjets nicht einfach hin. Am 25. Mai 1961 hält Kennedy vor dem US-Kongress eine außerordentliche Rede zur Lage der Nation. Er schwört die Amerikaner darauf ein, endlich einmal Erster im Weltraum zu werden. Dann sagt er den Satz, der alles verändert.

John F. Kennedy: ""I believe that this nation should commit itself to achieving the goal, before this decade is out, of landing a man on the moon and returning him safely to the Earth."

Bis zum Ende jenes Jahrzehnts wolle man einen Menschen auf den Mond und wieder sicher zurück zur Erde bringen. Dieses Ziel mutete damals tollkühn an. Denn die USA hatten - anders als die Sowjets - noch nicht einmal eine automatische Sonde zum Mond geschickt, geschweige denn einen Menschen in die Erdumlaufbahn.

Der Aufbruch

Herbst 1964. Der Haushalt der NASA ist binnen drei Jahren mehr als vervierfacht worden. Bis zu 200.000 Menschen arbeiten überall in den USA am großen Ziel, einen Menschen zum Mond zu bringen.

Jesko von Puttkamer: "Und so waren wir also ziemlich naiv, blauäugig und haben keinen Zweifel daran gehabt, dass wir in der vorgegebenen Zeit innerhalb des Jahrzehnts einen Menschen zum Mond und sicher zur Erde zurückbringen werden, wie Kennedy das verlangt hatte. Und selbst Wernher von Braun war dieser Meinung. Und weil wir das alle glaubten, haben wir es auch geschafft, wir haben niemals dran gezweifelt."

Jesko von Puttkamer war 1962 als junger Ingenieur von Deutschland in die USA gegangen, um im Team des Chefkonstrukteurs Wernher von Braun an der Entwicklung der Saturn-Mondrakete mitzuarbeiten. Zeitweise gab es mehrere Triebwerktests an einem Tag. Neben der Entwicklung der Rakete, mussten Astronauten ausgewählt und trainiert werden. Zudem war der Mond zu erkunden, um geeignete Landeplätze auszuforschen. Die Apollo-Maschine lief jahrelang auf Hochtouren.

Der Rückschlag

27. Januar 1967. Bei Tests auf der Startrampe kommt es in der Kapsel zu einem verheerenden Feuer. Die Besatzung von Apollo 1 kommt ums Leben. Das Mond-Team ist geschockt.

Jesko von Puttkamer: "Die verbrannten bei lebendigem Leib auf der Startrampe, weil ein Fehler gemacht worden war und der reine Sauerstoff innerhalb des Raumschiffs explodierte und sie nicht raus konnten - die Luke war noch nicht gut konstruiert, das ist dann alles sofort geändert worden. Und dann der zweite Flug wurde dann kurz danach schon durchgeführt, ohne dass man sich davon irgendwie einschüchtern ließ, das ist eben in Amerika so."

Die Ingenieure arbeiten fortan noch verbissener, geradezu wie im Rausch. Urlaub ist in jener Zeit ein unbekannter Begriff im Mondteam. Es finden bereits Testflüge in der Erdumlaufbahn statt. Die Astronauten müssen Erfahrung sammeln, um später die Reise zum Mond meistern zu können.

Der Triumph

Heiligabend 1968. Mit der Besatzung von Apollo 8 kreisen erstmals Menschen um den Mond. Die Astronauten sind die ersten, die die Erde als blaue Kugel im All sehen. Ihre Aufnahmen begeistern die Welt. Als Weihnachtsbotschaft lesen William Anders, Jim Lovell und Frank Borman aus der biblischen Schöpfungsgeschichte.

William Anders: "”In the beginning God created the heaven and the earth. And the earth was without form, and void ... And God said, Let there be light: and there was light.""

Dieses Mal waren die Sowjets geschockt. Nach dem Flug von Apollo 8 gaben sie den Wettlauf zum Mond verloren. Fortan arbeiteten sie nur noch an unbemannten Sonden, die auf dem Mond landen sollen. Am 16. Juli 1969 - also noch innerhalb der von Kennedy gesetzten Frist - hob Apollo 11 ab. Ziel: die Mondoberfläche.

"”17 seconds and counting, guidance internal, 14, 13, 12, 11, 10, 9, we have ignition sequence starts, engines on, 5, 4, 3, 2, all engines running, lift-off, we have lift-off, 49 minutes past the hour, the tower is clear ... - starkes Geknatter und Gedröhne.”"

Gut vier Tage später ist es so weit: 500 Millionen Menschen, so wird geschätzt, blicken gebannt auf das flimmernde Fernsehbild in schwarz-weiß. Etwas unscharf lässt sich erkennen, wie eine Person in klobiger weißer Montur ungelenk eine kleine Leiter hinunter krabbelt. Dann der Moment, an dem alle den Atem anhalten.

Neil Armstrong: "It's one small step for man - one giant leap for mankind.”"

... funkt Neil Armstrong zur Erde. Als erster Mensch setzte er seinen Fuß in den Mondstaub. Es war vor allem ein politischer Prestigesprung für die Vereinigten Staaten. Die Sowjets waren endlich geschlagen.

Apollo-13-Funkverkehr:
""Houston, we have a problem here ..."

Das Drama

14. April 1970: An Bord von Apollo 13 kommt es zu einer schweren Explosion. Die Lebenserhaltungssysteme drohen komplett auszufallen. Astronauten schweben in Lebensgefahr und müssen schnellstmöglich zurück zur Erde. Die Flugingenieure suchen fieberhaft nach einer Rettungsmöglichkeit.

Jesko von Puttkamer: "Wir haben uns unwahrscheinliche Mühe gegeben, also das war ein Aufgebot an Leistung, an Arbeit, an Computerkapazität. Wir haben neue Flugbahnen berechnet und haben es dann fertiggebracht, dass Apollo 13 um den Mond herumflog und von dem Mond zurückkatapultiert wurde zur Erde, wie der Film ja das sehr schön gezeigt hatte."

Das Wunder gelingt, nicht nur in dem Hollywood-Steifen, sondern auch in der Realität. Die Besatzung kommt mit Hilfe der Mondlandefähre zurück zur Erde - obwohl die kleine Fähre für solche Aktionen niemals konzipiert war. Dennoch: Apollo 13 war der letzte Höhepunkt des Mondprogramms.

Das Ende

14. Dezember 1972. Nach nur sieben Mondmissionen stellt die NASA das Apollo-Programm sang- und klanglos ein. Die USA haben mit Vietnam und der aufziehenden Wirtschaftskrise genügend Probleme. Das teure Apollo-Programm hat längst den Rückhalt in der breiten Öffentlichkeit verloren.

Apollo ist ein wenig Opfer der eigenen Geschichte geworden: Der Mondflug galt als eine politische Mission. Diese aber war mit der Landung von Neil Armstrong erfüllt. Einst ein Segen der Forscher, wurden die Apollo-Flüge schnell zum Fluch der Mondenthusiasten, bedauert der ehemalige Astronaut Ernst Messerschmid:

"Apollo ist fast zu schnell gewesen, zu erfolgreich und hat alle auf Abstand gehalten, alle Initiativen zurück zum Mond."

So geriet der Mond nach Apollo für lange Zeit in Vergessenheit. Bis heute sind - trotz oder vielleicht gerade wegen der bemannten Mondflüge - ganz grundlegende Fragen nicht restlos geklärt: Wie ist der Mond entstanden? Wie ist er aufgebaut? Was verrät er über die Geschichte der Erde? Vor einigen Jahren stellten die Forscher erstaunt fest, dass sie über den Planeten Mars besser Bescheid wissen als über den Mond. Daran ändern auch die fast 400 Kilogramm Mondgestein in den irdischen Laboren nichts.

Der neue Wettlauf

14. Januar 2004. In der NASA-Zentrale in Washington verkündet US-Präsident George W. Bush seine "Vision der Weltraumerkundung". Sie ist vor allem eine Reaktion auf den ersten bemannten Raumflug Chinas nur wenige Monate zuvor und Chinas Ankündigung, Menschen auf den Mond zu bringen. Die NASA bekommt ein neues altes Ziel verordnet.

George W. Bush:
"”Our ... goal is to return to the moon by 2020, as the launching point for missions beyond. ... with the goal of living and working there for increasingly extended periods of time.”"

Bis zum Jahr 2020 wolle man zum Mond zurückkehren, ihn als Startpunkt zu noch weiter entfernten Zielen nutzen und dort für immer längere Zeit leben und arbeiten. Mehr als 30 Jahre nach Apollo treibt wieder einmal ein politischer Wettstreit die USA in Richtung Mond. Der vergessene Begleiter der Erde ist plötzlich wieder ein umschwärmtes Reiseziel: Vier neue Sonden haben den Mond in den vergangenen Jahren aus der Umlaufbahn erforscht – aus Europa, Indien, Japan und China. Jetzt macht auch die NASA den ersten Schritt zurück zum Mond.

James Garvin: "”By the end og August we are mapping the moon as never done before. And LRO is the gateway to the new era of human exploration.""

James Garvin ist Chefwissenschaftler des Goddard Space Flight Center, das die neue Mondsonde der NASA betreibt, die ab Ende August die komplette Mondoberfläche so präzise kartieren wird wie nie zuvor. Anhand dieser Fotos wird die NASA mögliche Landeplätze für die nächste Generation von Mondfahrern auswählen. Harrison Schmitt, mit Apollo 17 als einer der letzten auf dem Mond, ist hoch erfreut, dass der Mond wieder zu einem Schlachtfeld im Kampf ums politische Prestige geworden ist.

Harrison Schmitt: "I think, it is a horse race somewhere around 2020, maybe a little earlier, depending on whether the international climate heats up, if the competition heats up.”"

Das neue Rennen zum Mond werde wohl um das Jahr 2020 entschieden, meint er - vielleicht aber auch schon etwas früher, wenn sich der internationale Wettbewerb verschärfe. Doch wer wird der nächste Mensch auf dem Mond sein? Ein Amerikaner oder ein Chinese?

Harrison Schmitt:
""I can not predict that."

Das könne er nicht sagen, meint Harrison Schmitt ungewohnt zurückhaltend. Dieses Mal sei das Rennen völlig offen.