Zukunftsangst

Hört nicht auf die Apokalyptiker!

04:43 Minuten
Die vier "apokalyptischen Reiter" in einem Holzschnitt von Dürer aus der Zeit um 1500 bringen Hunger, Tod und Verderben über die Menschen.
Dürer zeigte um 1500 die vier "apokalyptischen Reiter" in dem Bildzyklus "Offenbarung des Johannes". Der Glaube an die Apokalypse bewege auch die "Letzte Generation", meint Hans-Martin Schönherr-Mann. © imago / United Archives International
Gedanken von Hans-Martin Schönherr-Mann · 17.11.2023
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Viele Menschen empfinden Zukunftsangst, nicht nur die "Letzte Generation". Für den Münchner Philosophen Hans-Martin Schönherr-Mann ist dies auch ein Produkt der abendländischen Kultur: Mit apokalyptischem Denken werde seit jeher Politik gemacht.
Als es wirklich gefährlich war im Kalten Krieg, als der Atomkrieg drohte, spielte man die Gefahr herunter. Erst seit dem Ende des Kalten Krieges kam die permanente Krise auf: die Wirtschaftskrisen der 1990er-Jahre, verbunden mit diversen Kriegen wie dem Jugoslawien-Krieg, dann der "Krieg gegen den Terror" nach 2001, die Weltfinanzkrise 2008, die Flüchtlingskrise um 2015, die demografische Krise der sozialen Systeme und so weiter.
Doch dann trat die Klimakrise in den Vordergrund des medialen Interesses, die zu einer apokalyptischen Klimakatastrophe ausgeweitet wird. Dann kam Corona – wirklich kein Weltuntergang, aber die Terminologie, mit der man diese Krise medial, medizinisch und politisch kommunizierte, hatte ebenfalls apokalyptische Züge.

Die Zukunft erzeugt Angst

Ob in den Krisen oder in den Katastrophenszenarien, auch wenn Furchtbares durch die Digitalisierung droht, erscheint die Zukunft verbarrikadiert. Das Zukünftige erschreckt, erzeugt Furcht und lässt für Hoffnung keinen Raum.
Dieses negative Zukunftsbild hat im christlich-abendländischen Denken lange Tradition. Schon 70 n. Chr. erwarteten die Christen nach der Zerstörung des Tempels in Jerusalem den Weltuntergang.
Auch während des Mittelalters grassieren die apokalyptischen Furchtszenarien. Die Offenbarung des Johannes wird in vielen einzelnen Ausgaben mit schreckenerregenden Bildern versehen. Albrecht Dürer druckt um 1500 in seiner eigenen Werkstatt als Erstes eine bebilderte Offenbarung.

Kleine und größere Gefahren

In den Jahrhunderten danach verflüchtigt sich die apokalyptische Furcht aus den großen christlichen Kirchen. Aber sie wandert in die modernen Wissenschaften, die seither überall und ständig kleinere und größere Gefahren bis hin zu Weltuntergängen diagnostizieren oder diese Gefahren bis zu Weltuntergängen hochrechnen.
Vor allem aber hat die demokratische Politik wiederentdeckt, dass man mit der Furcht die Bürger lenken kann. Man dramatisiert die Gefahren von Verbrechen und Terror und schon akzeptieren die Bürger, dass ihre Grundrechte wie die Unverletzlichkeit der Wohnung aufgehoben wird.
Damit haben die Herrschenden immer schon operiert. Aber erst Niccolò Machiavelli schreibt kurz nach 1500, also in der Hochphase christlicher Apokalyptik, diese Methode dem Fürsten in sein Handbuch der Technik von Herrschaft. Weil sich der Fürst der Liebe des Volks nicht versichern kann, das wankelmütig und notorisch unzufrieden ist, soll er nur mit Mitteln regieren, die in seiner Macht stehen. Darunter fällt vor allem, das Volk so in Angst und Schrecken zu versetzen, dass es gehorcht, sich also lenken lässt.

Eine Pädagogik der Furcht

Selbst soziale Bewegungen bedienen sich heute einer solchen Pädagogik der Furcht vor der Zukunft. Die Anti-AKW-Bewegung betonte die Gefahren der Kernenergie. Die "Letzte Generation" behauptet, die letzte Generation zu sein, die noch etwas gegen die Klimakatastrophe tun könnte.
Das verstärken die Medien aus eigenem Interesse. Die Aufmerksamkeit des Publikums lässt sich durch drastische Nachrichten erregen, während gute kaum wahrgenommen werden. Die Wissenschaften kommen dadurch an Forschungsgelder. Sogar Philosophen, die es besser wissen müssten, predigen eine düstere Zukunft.
Doch man kann wissenschaftlich die Zukunft nicht voraussagen. Alle Prognostik stützt sich auf Modelle, selbst wenn sie sich noch so sehr mit digitalen Daten aufladen. Zudem lebt man immer in der Gegenwart, und jede Zukunft bleibt eine ungewisse Vorstellung.
Apokalyptikern – ob religiösen, politischen, wissenschaftlichen oder medialen – darf man daher kein Gehör schenken. Gehorsame Menschen passen in keine demokratische Welt. Sie sollten vielmehr über ihr Leben selber entscheiden. In den meisten Fällen kommt es sowieso nicht so schlimm, ist die Angst vor dem Schmerz zumeist viel bedrückender, als wenn der Zahnarzt endlich bohrt.

Hans-Martin Schönherr-Mann ist Professor für Politische Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Essayist und Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt erschienen von ihm: "Hannah Arendt. Vom gefährlichen Denken", Römerweg Wiesbaden 2023, sowie "Staat und Kriegsmaschine. Das Staatsverständnis der Schizo-Analyse von Gilles Deleuze und Félix Guattari", Nomos 2023.

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