Apfelsaft-Quälereien

Von Udo Pollmer |
Wir wussten es ja schon immer: Äpfel sind gesund. Nun ist es Forschern der Uni Kaiserslautern gelungen, das auch nachzuweisen. Einer Pressemeldung des Bundesforschungsministeriums entnehmen wir: "Wer regelmäßig Apfelsaft trinkt, tut seinem Darm etwas Gutes." Wie gut, verrät unser Vorkoster.
Wer sagt es denn, naturtrüber Apfelsaft soll dem Darmkrebs vorbeugen, so meldet es das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Nach den Worten des leitenden Forschers, Professor Dieter Schrenk von der TU Kaiserslautern, konnten die Inhaltsstoffe des Apfelsafts die Entstehung von Krebsvorstufen im Dünndarm von Mäusen in 40 Prozent der Fälle verhindern.

Und was für Mäuse gilt, ist für uns Menschen gerade recht. Das Ministerium betont daher auch, allein in Deutschland würden 70.000 Menschen jedes Jahr neu an Darmkrebs erkranken. Na bitte - Kinder trinkt euer Schorle, und der Darm atmet auf!

Wenn‘s halt nur so einfach wäre. Doch die Daten geben das nicht her. Erstens handelt es sich bei dem Versuch um Mäuse und nicht um Menschen. Wobei es keine üblichen Mäuse waren, sondern Spezialzüchtungen. Spezialzüchtungen, die rein erblich bedingt allesamt Dünndarmkrebs entwickeln. Aber der Mensch ist keine Züchtung mit einheitlichem Gendefekt, sondern eher eine Promenadenmischung. Das schränkt die Aussagekraft der Studie schon mal stark ein.

Und dann kommt noch etwas dazu: Dünndarmkrebs ist beim Menschen äußerst selten. Er betrifft nur etwa zwei Prozent der Tumore des Magen-Darm-Trakts. Die allermeisten der 70.000 neuen Darmkrebsfälle betreffen gerade nicht den Dünndarm, sondern den Dickdarm! Über eine Wirksamkeit in diesen Fällen sagt die Studie nichts.

Ärgerlich also. Und warum so einen Versuch mit Tieren machen? Es ist ja nicht so, dass wir für den Menschen keine Daten hätten. Die unlängst besprochene EPIC-Studie, die größte Ernährungsstudie weltweit, hat ja gezeigt: es gibt beim Menschen keinen nachweisbaren Krebsschutz durch Obstessen. Das kommen die Tiere jetzt gerade recht.

Wenn es mit der gemeinen Labormaus nicht klappt, dann nimmt man halt Qualzüchtungen, - denn genau darum handelt es sich bei Versuchstieren, die so gezüchtet sind, dass sie möglichst zuverlässig eine schwere Krankheit bekommen. Hand aufs Herz: Tierversuche, um den mausigen Apfelsaft zu loben, muss das sein?

Dabei gibt es gar nix zu loben, wie weitere Versuche zeigten: Naturtrüber Apfelsaft begünstigte nämlich Entzündungen im Darm, so Professor Schrenk. Und das ist von weit größerer praktischer Bedeutung als die Krebsnummer im Dünndarm. Denn Entzündungen des Darms sind beim Menschen nicht so selten. Doch das passt nicht ins Bild und deshalb muss Apfelsaft gesund sein. Basta!

Die Experten loben deshalb die Flavonide, namentlich die beiden Substanzen Catechin und Quercetin, die großen Heiler von Mutter Natur. Wenn die wunderbaren Wirkungen, die ihnen von Experten zugeschrieben werden, auch zutreffen würden, dann wären unsere Ärzte bald arbeitslos. Beide sind aber nur Allerwelts-Polyphenole, sogenannte sekundäre Pflanzenstoffe, die sich in vielen pflanzlichen Erzeugnissen finden. Wer sich mit Catechinen versorgen will, ist mit einer Tasse Tee besser bedient als mit einer Flasche Saft.

Beim Quercetin wäre vielleicht sogar eine gewisse Skepsis angebracht. Denn der Wunderstoff von heute hatte früher einen denkbar schlechten Ruf. Um 1970 begann die Wissenschaft, nach krebserzeugenden Stoffen in der Nahrung zu fahnden. Relativ schnell wurde dabei entdeckt, dass Quercetin das Erbgut schädigt.

Es folgten Tierversuche und siehe da, die Tiere erkrankten prompt an Darmkrebs. 1999 änderte sich das alles. Damals wurde auf internationaler Ebene beschlossen, dass Quercetin zumindest für den Menschen nicht krebserregend ist. Und jetzt, also 2010, ist das Ex-Gift ein Darmpfleger. Sachen gibt’s…

Man sollte sich davon nicht verrückt machen lassen. Stoffe wie Catechin, Quercetin und ihre Verwandten, die kommen in zahlreichen pflanzlichen Lebensmitteln vor. Der Gehalt ist vor allem in jenen Pflanzenteilen erhöht, die traditionell auf dem Kompost landeten, wie in den Schalen.

Die Konzentrationen, die bei Einnahme als Nahrungsergänzungsmittel im Blut erreicht werden, sind unberechenbar und unterliegen starken Schwankungen. Die Gehalte im Blut hängen gerade nicht davon ab, was wir essen. Und wie die Vielzahl von Substanzen in einem Apfel auf den einzelnen Menschen wirkt, wird sich auch in Zukunft nicht aus den Innereien von Nagern herauslesen lassen. Mahlzeit!


Literatur:
BMBF (Hrsg): Schützt Apfelsaft vor Darmkrebs? Aktuelles aus der Gesundheitsforschung. Newsletter 46, Juni 2010
Schrenk D: Dietary fiber, low-molecular-weight food constituents and colo-rectal inflammation in animal models. Molecular Nutrition & Food Research 2009; 53: 1281-1288
Pamukcu AM et al: Quercetin, a rat intestinal and bladder carcinogen present in bracken fern (pteridium aquilinum). Cancer Research 1980; 40: 3468-3472
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Dunnick JK, Hailey JR: Toxicity and carcinogeniciy studies of quercetin a natural component of foods. Fundamental and Applied Toxicology 1992; 19: 423-431
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