Anzeige gegen Gedenkstättenleiter

"Wir erleben eine Diskursverschiebung nach rechts"

07:42 Minuten
Der Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, Jens Christian Wagner, blickt in die Kamera.
Gedenkstätten, Gesellschaft und Politik müssen zusammen gegen Antisemitismus kämpfen, sagt Jens-Christian Wagner, Leiter der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. © picture alliance/Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa
Jens-Christian Wagner im Gespräch mit Eckhard Roelcke |
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Weil er einen Text über die Verbrechen der Wehrmacht geschrieben hatte, wurde gegen Jens-Christian Wagner eine Strafanzeige gestellt.* Der absurde Vorgang sei auch eine Folge der Angriffe von rechts gegen die Arbeit der Gedenkstätten, meint der Historiker.
Seit Oktober 2020 ist Jens-Christian Wagner Direktor der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Jetzt wurde gegen den Historiker eine Strafanzeige gestellt. Der Grund: ein Begleitband zu einer Ausstellung über Verbrechen der Wehrmacht.
Auf 28 Seiten habe der Anzeigenerstatter seine Vorwürfe zusammengefasst, berichtet Wagner. Es gehe um "ehrenrührige Tatsachen zum Nachteil der Wehrmachtssoldaten".
"Dass das ehrenrührig ist, wenn Wehrmachtseinheiten sich am Massenmord gegenüber Juden und Sinti und Roma beteiligen, das will ich ja gar nicht in Zweifel stellen", sagt Wagner. Aber dafür sei natürlich nicht derjenige verantwortlich, der in einem wissenschaftlichen Band von den Verbrechen berichtet.
Die Staatsanwaltschaft hat zunächst ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, dies dann aber mittlerweile eingestellt.* Doch Wagner sieht den Vorgang in einem größeren Zusammenhang: "Wir erleben seit einigen Jahren eine Diskursverschiebung nach rechts."

"Fake-History" und Angriffe auf Gedenkstättenarbeit

Das habe mit der Radikalisierung im Netz zu tun und mit dem Verbreiten von "Fake-History", aber auch mit den Angriffen der AfD auf die Gedenkstättenarbeit, so Wagner: "Denken Sie an die Rede von Björn Höcke mit der Forderung nach einer erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad."
Dass die Wehrmacht sich in breitem Umfang an den Verbrechen der Nationalsozialisten beteiligt hat, sei "State of the Art der historischen Forschung seit vielen Jahren", sagt Wagner und ein Grundkonsens unserer Gesellschaft. Aber: "Der wird offensichtlich wieder infrage gestellt", so Wagner.
Auch die "Querdenker"-Demonstrationen am Jahrestag des Novemberpogroms seien "geschichtsvergessen und instinktlos", sagt Wagner. Und die Verschwörungslegenden, die auf den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen und im Netz verbreitet werden, seien alle im Kern antisemitisch. "Da müssen wir als Gedenkstätten, aber auch die ganze Gesellschaft und die Politik deutlich Position dagegen beziehen", sagt Wagner.
(beb)

* Redaktioneller Hinweis: Das Ermittlungsverfahren wurde eingeleitet, aber wieder eingestellt. Dies haben wir gegenüber der vorigen Version klargestellt.
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