António Lobo Antunes zum 80.

Portugals ewiger Anwärter auf den Literaturnobelpreis

05:44 Minuten
Der portugiesische Schriftsteller Antonio Lobo Antunes steht selbstbewusst vor einem abstraktem Gemälde, 2018.
Der portugiesische Schriftsteller Antonio Lobo Antunes möchte durch das Schreiben den Menschen Würde verleihen, sagt er, und das ganze Leben zwischen zwei Buchdeckel packen. © Getty Images / Leonardo Cendamo
Von Tobias Wenzel  · 31.08.2022
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Sätze, die länger als eine Seite sind, Einschübe, Stimmcollagen: António Lobo Antunes zieht seine Leser in den Bann. Im besten Fall, sagte der portugiesische Schriftsteller einmal, wird das Publikum von seinen Texten „wie von einer Krankheit“ infiziert.

Einmal las der portugiesische Schriftsteller António Lobo Antunes in Berlin aus seinen literarischen Zeitungskolumnen, in denen er es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt. „So war es bestimmt nicht, aber nehmen wir es einfach mal an“, hatte er den Text über seinen schwerhörigen Großvater genannt.

„So war es bestimmt nicht, aber nehmen wir es einfach mal an. Er trug so etwas wie Kopfhörer, aus denen eine geflochtene Schnur herauskam, die in einer Batterie endete, einer riesigen, die in der oberen Jackentasche steckte, und wegen seines andächtigen Gesichtsausdrucks kam er mir so vor, als kommunizierte er mit den Engeln oder jenen körperlosen Stimmen, die ich in den Kiefern zu hören vermeinte und denen er ganz bestimmt lauschte. Uns, die Irdischen, uns hörte er nie."

António Lobo Antunes in einer Zeitungskolumne

Schlitzohr und Melancholiker

Seit Lobo Antunes selbst schwerhörig ist, gibt er Journalisten oft Antworten, die mit den Fragen nichts zu tun haben. Wobei man manchmal das Gefühl hat, das liege nicht an seinem schlecht eingestellten Hörgerät, sondern daran, dass er schlicht keine Lust hat, die Frage zu beantworten. Der ewige Kandidat Portugals für den Literaturnobelpreis ist ein Schlitzohr, aber auch ein Melancholiker.
Als Kind fesselte ihn eine Knochentuberkulose lange ans Bett. Damals verschlang er unzählige Bücher. Schon als Jugendlicher wollte er Schriftsteller werden. Aber sein gutbürgerlicher Vater, ein Arzt, setzte durch, dass auch sein Sohn Medizin studierte.

Schrecken des Kolonialkrieges in Angola

Bevor Lobo Antunes Leiter einer psychiatrischen Klinik in seiner Geburtsstadt Lissabon wurde, eine Zeit, die er in seinem Debütroman „Elefantengedächtnis“ verarbeitete, ging er in den 1970ern nach Angola. Dort erlebte als Militärarzt die Schrecken des Kolonialkrieges. Neben dem heutigen Portugal, dem die Diktatur noch immer in den Knochen steckt, ist diese Kriegserfahrung ein wiederkehrendes Thema seiner Bücher.
„Ich werde jetzt nicht über den Krieg reden", so Lobo Antunes. "Aber die wichtigste positive Sache am Krieg war für mich die Entdeckung der anderen Menschen. Ich war ein kleiner Junge inmitten anderer kleiner Jungen. Sie waren wie ich. Sie haben auf dieselbe Weise gelitten und denselben Kampf geführt, um lebendig nach Hause zu kommen.“
Der portugische Schriftsteller Antonio Lobo Antunes
Irgendwann zieht einen António Lobo Antunes mit seiner metaphernreichen Sprache in den Bann, sagt Literaturkritiker Tobias Wenzel über den portugiesischen Autor - hier bei einer Lesung vor Jahren in Köln. © picture-alliance / Sven Simon | Malte Ossowski
Seit seiner überstandenen Krebskrankheit sind dem Autor Dinge wichtig, die ihm früher gar nicht aufgefallen waren: „Ein sonniger Tag, die Tatsache, dass ich laufen kann, dass ich keine Schmerzen habe, dass ich keinen Körper habe. Einen Körper hat man nämlich nur, wenn man krank ist. Das ist eine große und wichtige Lektion für mich gewesen.“

Schreiben über Liebe, Verlust und Gewalt

Lobo Antunes möchte durch das Schreiben den Menschen Würde verleihen, sagt er, und das ganze Leben zwischen zwei Buchdeckel packen. Er schreibt über Liebe, Verlust und Gewalt. Das Letztere ist immer nur der Ausgangspunkt, um tief in die Seelenwelt der Protagonisten, oft einfacher Leute, einzudringen. Etwa im neuen Roman „Die letzte Tür vor der Nacht“ oder im Roman „Mein Name ist Legion“.
Er beginnt mit dem brutalen Überfall einer Jugendgang auf eine Tankstelle und wird von einem Polizisten erzählt: "Dabei trugen sie Gewehre mit abgesägtem Lauf und Armeepistolen, und ich erlaube mir an dieser Stelle eine meiner Meinung nach durchaus nicht belanglose Abschweifung, mit der ich darauf hinweisen möchte, falls Sie mir eine persönliche Anmerkung gestatten, dass die nachts am Wegesrand erleuchteten Tankstellen mir das Gefühl geben, weniger unglücklich zu sein."
Er wolle nicht mehr veröffentlichen, kündigte der grandiose Erzähler 2010 an. "Schreiben ja, aber nicht mehr veröffentlichen. Das Veröffentlichen ist nämlich eine Falle.“ Seitdem hat er doch sieben weitere Bücher veröffentlicht. Lobo Antunes liebt nun mal überraschende Sätze:
„Wir hätten viele Probleme nicht mehr, wenn Bücher anonym veröffentlicht würden. Das wäre mir lieber. Oder mit dem Namen des Lesers auf dem Buchumschlag. Ein guter Leser ist nämlich selten.“

António Lobo Antunes: Die letzte Tür vor der Nacht
aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann
Luchterhand-Verlag 2022
560 Seiten, 28 Euro

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