Antisemitismus-Vorwurf gegen Michael Müller

"Das geht an der Realität vorbei"

Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), spricht am 10.12.2015 in Berlin im Abgeordnetenhaus.
Dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, wirft das Simon-Wiesenthal-Zentrum vor, ein Antisemit zu sein und will ihn offenbar auf seine umstrittene Liste setzen © picture alliance / dpa / Klaus-Dietmar Gabbert
Juliane Wetzel im Gespräch mit Eckhard Roelcke  · 30.08.2017
Die Antisemitismus-Expertin Juliane Wetzel hat dem Simon-Wiesenthal-Zentrum vorgeworfen, unseriös zu verfahren. Im Fall des Berliner Bürgermeisters Michael Müller habe man sich offenbar nicht ausreichend informiert. Es sei absurd, ihn auf eine Liste der zehn schlimmsten Antisemiten setzen zu wollen.
Das Simon-Wiesenthal-Zentrum überlegt offenbar, den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) auf seine jährliche Liste der zehn schlimmsten Antisemiten zu setzen, wie verschiedene Zeitungen berichteten. Müller habe es versäumt, sich von der antiisraelischen Boykottkampagne BDS (Boykott–Desinvestition–Sanktionen) öffentlich zu distanzieren, wirft ihm das Zentrum in den USA vor. Die BDS-Initiative hatte zuletzt zu einem Boykott des Pop-Kultur-Festivals in der Kulturbrauerei aufgerufen, weil die Israelische Botschaft den Auftritt einer Sängerin mit 500 Euro unterstützt hatte. Das Wiesenthal-Zentrum legt Müller auch zur Last, dass er die jährliche Al-Quds-Demo in Berlin nicht verbiete. Die Antisemitismus-Liste des Wiesenthal-Zentrums, das mit der Verfolgung von Nazi-Verbrechern bekannt geworden ist, wird im Dezember veröffentlicht.

Kritik am Zustandekommen

"Das geht so an der Realität vorbei, dass es eben den Begriff aushöhlt und wir jeden und alles als antisemitisch bezeichnen", sagte Juliane Wetzel vom Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin im Deutschlandfunk Kultur. "In diesem Fall finde ich es absurd." Sie warf dem Wiesenthal-Zentrum vor, sich aus der Ferne nicht ausreichend kundig gemacht zu haben und den Kontext nicht zu kennen. "Da hat ihnen irgendjemand erzählt, Herr Müller hat sich nicht dazu geäußert und dann kommt er plötzlich auf so eine Liste." Die Die Historikerin zeigte wenig Verständnis dafür, dass Müller auf diese Liste solle, weil er sich zur BDS-Kampagne nicht geäußert habe. Es handele sich in Deutschland um eine kleine, unbedeutende Gruppe, die mit dem Einfluss in Großbritannien der Boykottbewegung nicht vergleichbar sei. Die Al-Quds-Demonstration könne Müller gar nicht verbieten, sondern nur das Verwaltungsgericht.

Sinnlose Liste

Sie halte die Liste für relativ sinnlos, sagte Wetzel und warnte davor, mit dem Vorwurf des angeblichen Antisemitismus inflationär umzugehen. Das sei kontraproduktiv und das Vorgehen des Wiesenthal-Zentrums unseriös. Wetzel erinnerte daran, dass der Publizist und Verleger Jakob Augstein 2012 auf die umstrittene Liste gesetzt wurde. "Ich halte Herrn Jakob Augstein auch nicht für einen Antisemiten", sagte Wetzel. Er sage manchmal grenzwertige Dinge, aber das sei etwas anderes. Auf der gleichen Liste habe sich der frühere iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad befunden, der wirklich ein Antisemit sei.
Mehr zum Thema