Antisemitismus

Laut unterstützt und auch leise geduldet

Anti-isrealische und anti-amerikanische Protestplakate nach der Demo
Anti-isrealische und anti-amerikanische Protestplakate nach der Demo © imago stock&people
Von Güner Yasemin Balci |
Brennende Israel-Fahnen auf Berliner Plätzen haben viele schockiert. Als völlig inakzeptabel verurteilten Politiker diese antisemitischen Gesten. Doch genügt das? Die Autorin Güner Balci meint: Solche Bekenntnisse reichen nicht.
"Wir erstechen Siedler und Soldaten" skandierten arabischstämmige Jugendliche auf der vierten und vermutlich nicht letzten Anti-Israel-Demo in Berlin. Dabei gibt es in Berlin gar keine Siedler und auch keine Israelischen Soldaten. Man kann sogar davon ausgehen, dass viele der jungen Menschen, die an diesem Tag lauthals die Löschung Israels von der Landkarte fordern, noch nie selbst in diesem Teil der Erde waren, der Nahost Konflikt aber scheint Ihnen ab Geburt in die DNA eingeschrieben.
Die Überidentifikation mit dem palästinensischen Volk ist heute normaler Bestandteil des Alltags in vielen muslimischen Milieus in Deutschland, und wird kaum infrage gestellt. Man hat sich daran gewöhnt, wer nicht für Palästina ist, ist ein Gegner, etwas anderes gibt es nicht. Das alles ist auch gar nicht mehr verwunderlich, irritierend ist einzig, dass solche antisemitischen Hass-Demonstrationen, auf denen Fahnen verbrannt und zu Mord und Hetze aufgerufen wird, heute immer noch unter dem Label Anti-Israel Demo laufen. Ganz so, als würde es sich um eine demokratische Protestkultur handeln, die einen Diskurs fordert und nicht Angst verbreitet.
Vieles, was hierzulande auch noch über 70 Jahre nach Auschwitz geschieht, zeigt, dass der Kampf gegen Antisemitismus in Deutschland zum Teil ein recht verlogener ist. Er kommt zunächst daher mit Empörungsfloskeln von Politikern aller Parteien, immer dann, wenn etwas passiert, dass man nicht einfach so unter den Tisch fallen lassen kann. Menschen, die verprügelt werden, weil sie Juden sind, Kinder, die nicht mehr zur Schule gehen können, weil sie Juden sind oder brennende Israelfahnen vor dem Brandenburger Tor, die jedem Nazi das Herz erwärmen, selbst dann, wenn das Feuer von einem Deutsch-Araber entzündet wurde.

Antisemitismus in muslimischen Verbänden

An jenem Tag, an dem hunderte Demonstranten mit hasserfüllten Parolen gegen das Existenzrecht Israels vorm Berliner Hauptbahnhof dem Eisregen trotzten, feierte einige hundert Meter Luftlinie entfernt Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrates der Muslime, zusammen mit Rabbinern und anderen jüdischen Menschen das Chanukka Fest. Was man dabei wissen sollte: gerade Mitglieder jenes Zentralrates, wie zum Beispiel der Rat der Imame und Gelehrten in Deutschland riefen zuvor dazu auf, alle bevorstehenden Freitagspredigten zu vereinheitlichen, mit der Botschaft, Jerusalem gehöre allen Muslimen und deshalb sollten alle Muslime weltweit dafür auf die Straße gehen.
Es sind seit Jahren eben diese muslimischen Vereine und Verbände, die uns an der Nase herumführen, wenn ihre Vertreter sich mit gekreuzten Fingern hinterm Rücken zum Grundgesetz, zur freiheitlichen Demokratie und gern auch immer wieder zum Kampf gegen Antisemitismus bekennen, weil sie gleichzeitig mit allen Mitteln verhindern, dass dieser Kampf in ihren eigenen Reihen stattfindet. Bisher gibt es kein einziges Mitglied des Zentralrates der Muslime, dass gefordert hätte zum Beispiel die Judenfeindlichkeit in der islamischen Theologie zu thematisieren. Mehr noch einzugestehen, dass die Feindseligkeit vieler muslimischer Bürger gegenüber Juden auch kulturelle und religiöse Wurzeln hat, sich also nicht nur aus aktuellen politischen Differenzen speist.

Mangelnde Abgrenzung der Parteien

Und wie gehen die politisch Verantwortlichen mit dieser Verantwortungslosigkeit um? Sie sitzen zum Beispiel in Beiräten deutsch-palästinensischer Organisationen, die es sich zum Ziel gemacht haben, das berüchtigte BDS Movement - auf Deutsch "Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen" - zu unterstützen, was nichts anderes ist, als die Forderung nach Auflösung des jüdischen Staates. Da nützt es dann auch nur halbviel, wenn der Regierende Bürgermeister sich gegen diese Bewegung stellt, während andere Parteikollegen aber auch Politiker von CDU, den Grünen und Linken es offen unterstützen.
Mitglieder von letzteren gehen sogar noch einen Schritt weiter und feiern einen Tag nach Chanukka den prominenten Holocaust-Leugner und Verschwörungstheoretiker Ken Jebsen als Hüter der Meinungsfreiheit. Antisemitismus ist eben, und dass wissen wir nicht erst seit Studien es belegen, auch in der Mehrheitsgesellschaft weit verbreitet. Dass brennende Flaggen und Mordaufrufe an Juden letztendlich auch ein Angriff auf uns alle sind, ist noch nicht überall angekommen. Bis es soweit ist, findet jüdisches Leben in Deutschland zurückgezogen statt. Manch einer findet das nur vernünftig. Mir macht es Angst.

Güner Yasemin Balci wurde 1975 in Berlin-Neukölln geboren. Bis 2010 war sie Fernsehredakteurin beim ZDF, heute arbeitet sie als freie Autorin und Fernsehjournalistin. Ihre Bücher bauen auf den Erfahrungen ihrer langjährigen Arbeit mit Jugendlichen aus türkischen und arabischen Familien in Neuköllns sozialen Brennpunkten auf: "Arabboy" (2008), "ArabQueen" (2010) und "Aliyhas Flucht" (2012). Im Juni 2016 erscheint Ihr Buch "Das Mädchen und der Gotteskrieger".

Güner Yasemin Balci
© Torben Waleczek / Deutschlandradio
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