Antisemitismus in Deutschland

Bleiben oder gehen?

Eine junge Frau mit Kippa nimmt am Samstag (15.09.2012) in Berlin an einer Demonstration teil. Der Kippa-Spaziergang, zu dem im Internet aufgerufen worden war, sollte ein Zeichen gegen Antisemitismus setzen und fand auch anlässlich des bevorstehenden jüdischen Festes Rosch ha-Schana (jüdischer Neujahrstag) statt.
Ist das Tragen einer Kippa mittlerweile wieder gefährlich in Deutschland? © picture alliance / dpa / Britta Pedersen
Von Heinz-Peter Katlewski  · 06.03.2015
Was denken junge Juden über die Aufforderung des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu nach Israel auszuwandern? Heinz-Peter Katlewski hat auf den Gängen des Jugendkongresses in Berlin Teilnehmer befragt, was sie davon halten.
"Ich wollte mal ne Zeit nach Israel gehen, sehe das aber eher so als ein zeitlich befristetes Projekt und will jetzt nicht irgendwie vor dem Hintergrund, dass ich auswandern wollte, weil ich denke, woanders gibt es ähnliche Probleme, in Europa auf jeden Fall."
Markus ist aus Frankfurt zum Jugendkongress gekommen. Er ist ziemlich sicher, dass er in Deutschland bleiben will – auch wenn er sich durchaus vorstellen kann, eine Zeitlang in Israel zu leben. Elena lebt in Düsseldorf, sie kommt ursprünglich aus der Ukraine und hat schon vor vielen Jahren den großen Umzug mit ihren Eltern nach Deutschland hinter sich gebracht. Nun noch einen? Sie liebt Israel, es wäre eine Alternative.
"Also, Israel ist so ein Land, ich hab da auch Verwandte, sehr, sehr viele Freunde noch aus der Ukraine, und das ist mein Land. Aber in Deutschland habe ich meine Familie, ich hab' die Eltern hier, die schon im Alter sind, die ich nicht einfach so hierlassen kann und nach Israel umziehen. Wahrscheinlich werde ich hierbleiben."
"Probleme gibt es überall"
Alle, die ich gefragt habe, reagierten ähnlich, und auch als in der Abschlussdiskussion des Kongresses zwei der sieben Podiumsteilnehmer bekannten, nach Israel ausgewandert zu sein und dort erfolgreich zu leben, war unter den Wortmeldungen aus dem Plenum niemand, der wegen der antisemitischen Vorfälle der letzten Monate diesen Weg gehen wollte. Ina aus München, eine weitere Gesprächspartnerin von mir, will es auch nicht:
"Ja, also ich persönlich fühle mich hier schon zuhause, bin hier aufgewachsen. So Probleme gibt's überall, aber dafür sollte ja die jüngere Generation was tun und sich engagieren. Man fühlt sich hier irgendwie schon zuhause, wenn man als Jude hier aufgewachsen ist. Deswegen denkt man hier nie an sowas wie auswandern oder wenn irgendwelche Probleme gibt, zumindest wo es ja noch andere Länder gibt, wo es noch heftiger ist wie in Frankreich."
Trotz dieser Stimmen von Markus, Elena und Ina kann sicher nicht ausgeschlossen werden, das unter den über 400 jungen Leuten zwischen 18 und 35 auch einige sind, die ernsthaft an Alija denken, an die Auswanderung nach Israel. Aber auch ein prominenter Gast des jüdischen Jugendtreffens, der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, hat den Eindruck, dass bislang nur sehr wenige weggehen wollen:
"Ich habe die Erfahrung, gerade auch hier im Rahmen des Jugendkongresses gemacht, dass für junge jüdische Menschen in Deutschland die Frage einer Auswanderung nach Israel aus Gründen des Terrorismus, aus Gründen des Antisemitismus im Moment eigentlich überhaupt kein Thema ist. Sicherlich gibt es einzelne, die aus religiösen Motiven nach Israel emigrieren wollen, Alija machen wollen, das ist sicherlich ein ganz verständliches Motiv. Also aus Terrorismus-Angst habe ich diese Empfindung nicht, dass das eine Überlegung bei jungen Menschen ist. Und es deckt sich auch mit meiner eigenen Einstellung. Ich denke man kann weiterhin und im Wesentlichen unverändert als Jude in Deutschland leben ohne besondere oder übertriebene Sorge für Terrorismus oder Antisemitismus."
Zuweilen diffuse Ängste
Gleichwohl sorgen sich viele Teilnehmer des Jugendkongresses durchaus um ihre Sicherheit in der Zukunft und äußern zuweilen auch diffuse Ängste. Noch sehr gut sind einigen die sogenannten Friedensdemonstrationen in Erinnerung, die sich während des Gaza-Krieges im letzten Sommer nicht nur gegen Israel richteten, sondern oft auch die Juden in Deutschland ins Visier nahmen.
"Ja, ist auf jeden Fall ne Situation mit zunehmendem oder aufkommenden Antisemitismus, die eigentlich schon auch Ängste auslöst. In Frankfurt habe ich auf jeden Fall auch Demonstrationen miterlebt gegen Israel, aber wenn man das gesehen hat, wie hasserfüllt die Leute da eben auch waren, ist das eben sehr erschreckend und ich hätte mich jetzt eben nicht so gefühlt, dass ich mich in die Innenstadt stellen möchte ner Israelfahne hier beispielsweise, um Solidarität mit Israel ne Kippa aufzusetzen."
Markus gehört zu denen, die auch sonst im Alltag keine Kippa aufsetzen, sondern nur bei unmittelbar religiösen Anlässen, etwa in der Synagoge. Trotzdem fühlt er sich durch das gegenwärtige Klima gegenüber Juden beeinträchtigt in seiner Freiheit, das zu tun, wenn er es möchte. Seit den Attentaten auf die französische Satirezeitschrift "Charlie Hebdo", den koscheren Supermarkt in Paris und dem Anschlag auf die Kopenhagener Synagoge vor knapp drei Wochen ist die Unsicherheit noch gewachsen. Trotzdem setzen einige auf Offensive, jedenfalls online in den Sozialen Netzen, etwa bei Facebook. Elena zum Beispiel:
"Man darf eine eigene Meinung haben und sie auch sagen. Und wenn man die Möglichkeit hat- zum Beispiel über die sozialen Netze und so! Also ich schweige nicht, ich sage, was ich denke so und ja."
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