Antisemitische Verschwörungstheorie

Rezensiert von Alan Posener · 07.09.2007
John J. Mearsheimer und Stephen Walt untersuchen in ihrem Buch den Einfluss der "Israel-Lobby" auf die US-amerikanische Außenpolitik. Dabei stellen die beiden Wissenschaftler nicht nur die Fakten auf den Kopf, sondern bedienen lauter antisemitische Vorurteile.
Die Juden sind unser Unglück. So etwa lässt sich die These des Buchs "Die Israel-Lobby" zusammenfassen, das dieser Tage für erwartbaren Wirbel sorgt. Ja, ich weiß, das ist eine unfaire und pauschale Kritik. Die Autoren, John J. Mearsheimer und Stephen M. Walt, verwenden viele Zeilen darauf, festzustellen, dass sie weder Antisemiten noch Antizionisten seien. Und das wollen wir ihnen gern glauben. Es geht ja nicht um sie als Personen, sondern um ihr Buch. Und dort lesen wir:

"Jetzt, nach dem Ende des Kalten Krieges, ist Israel zu einer strategischen Bürde für die Vereinigten Staaten geworden … Washingtons enge Beziehungen zu Jerusalem machen es schwerer, jene Terroristen zu besiegen, die jetzt die USA angreifen. Gleichzeitig untergraben sie Amerikas Ansehen bei wichtigen Verbündeten weltweit … Etliche politische Entscheidungen, die zugunsten Israels gefällt wurden, gefährden heute die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten … "

Israel ist eine Bürde. Das ist wohl deutlich genug. Und warum tragen die Vereinigten Staaten von Amerika diese Bürde? Hat Amerika irgendwelche Vorteile davon? Hat Israel Öl wie die Saudis? Ist Israel ein wichtiger Handelspartner wie die Japaner oder Europäer? Ein strategischer Partner wie Indien? Kann es wenigstens Amerika drohen wie die Russen oder Chinesen? Nein. Israel, das sind sechs Millionen Juden in einer feindlichen Umgebung. Die arabischen Ölmächte hassen sie. Den Europäern sind sie ein Dorn im Auge. Den Indern, Russen und Chinesen sind sie bestenfalls gleichgültig. Sie machen nur Ärger.

"Das wird jedoch kein ambitionierter Politiker in der Öffentlichkeit sagen oder auch nur als Möglichkeit ins Gespräch bringen."

Und warum nicht?

"Der wahre Grund, warum amerikanische Politiker so ausgesprochen rücksichtsvoll sind, ist die politische Macht der Israel-Lobby … Weil die Israel-Lobby nach und nach zu einer der mächtigsten Interessengruppen in den Vereinigten Staaten geworden ist, achten die Kandidaten für hohe Staatsämter genau auf ihre Wünsche … Die Lobby hat es der US-Regierung schwierig bis unmöglich gemacht, das israelische Verhalten zu kritisieren …"

Und nicht nur das: Wenn man Mearsheimer und Walt glauben soll, hat die Israel-Lobby Amerika in den Irak-Krieg getrieben, eine Annäherung an den Iran und Syrien ebenso wie jede Distanzierung vom jüdischen Staat verhindert und das Anwachsen des Antiamerikanismus und des Terrors in der arabischen und islamischen Welt bewirkt. Wer ist also schuld daran, dass die amerikanische Außenpolitik zurzeit in Schwierigkeiten ist? George W. Bush? I wo. Die Israel-Lobby. Und die besteht nun einmal, wenn man von ein paar durchgeknallten zionistischen Christen absieht, hauptsächlich und naturgemäß aus Juden.

Das ist eine klassische antisemitische Argumentation, der zufolge die Juden ihre Wirtsvölker – die Anführungszeichen müssen Sie bitte mitdenken – für ihre eigenen, eigennützigen, diesen Wirtsvölkern schädlichen Zwecke missbrauchen, indem sie die öffentliche Meinung und die Politik kontrollieren. Doch klassisch hin, antisemitisch her, wie steht es um ihren Wahrheitsgehalt? Mearsheimer und Walt sind doch schließlich keine Rechtsextremen, sondern, um den deutschen Verlag zu zitieren,

"renommierte Politikwissenschaftler und Experten für internationale Beziehungen."

Ja, Wissenschaftler sind sie. Mearsheimer hat eine Professur an der University of Chicago, Walt sogar in Harvard. Freilich ist es mit dem Renommee Mearsheimers nicht weit her, seit er 1990 in seinem Aufsatz "Back to the Future" nach dem Ende des Kalten Kriegs ganz Europa in Nationalismen und Kriegen versinken sah und als wichtigstes Ziel der US-Außenpolitik die atomare Wiederbewaffnung Deutschlands und der Ukraine propagierte, um das europäische Gleichgewicht wiederherzustellen und damit den Frieden zu retten. Die Friedensfaktoren Nato und Europäische Union hatte der konservative Professor einfach vergessen.
Auch im neuen Buch wird eine Gleichgewichtspolitik vorgeschlagen. Mearsheimer und Walt nennen es "Offshore Balancing":

"Offshore Balancing entspricht der traditionellen Großstrategie Amerikas und war während des Kalten Kriegs über lange Zeit eine wichtige Komponente der US-amerikanischen Nahostpolitik. Damals versuchten die Vereinigten Staaten weder Truppen in der Region zu stationieren noch einen demokratischen Wandel herbeizuführen. Vielmehr versuchten sie, ein Kräftegleichgewicht zwischen den Regionen zu erhalten, indem sie verschiedene lokale Verbündete unterstützten."

"Neo-Realism" nennt sich diese Schule amerikanischer Außenpolitik, um sich von der moralisch getriebenen Außenpolitik der "Neo-Cons" zu unterscheiden. Die Neo-Cons hatten eben diese Politik der Unterstützung "verschiedener lokaler Verbündeter" einschließlich einiger der übelsten Diktatoren der Welt, als wichtigste Ursache des Hasses gegen Amerika identifiziert und verlangt, dass sich Amerika auf die Seite der Demokratie stellt. Wenn man das Buch "Die Israel-Lobby" verstehen will, muss man begreifen, dass es Mearsheimer und Walt vor allem darum geht, die durch die Rückschläge im Irak bereits angeschlagenen Neo-Cons als Werkzeug der Israel-Lobby zu diffamieren, um sie endgültig zu diskreditieren und den Weg für eine Wende in der US-Außenpolitik zu bereiten: "Back to the Future" in der Tat – zurück zur moralfreien Interessenpolitik eines Henry Kissinger, des Helden der Neo-Realisten.

Wie steht es aber nun mit der Israel-Lobby und ihrer Fähigkeit, Amerikas Außenpolitik zu beeinflussen? Dass es diese Lobby gibt, ist unbestritten. Die Organisation AIPAC – American Israel Public Afairs Committee – nennt sich selbst stolz "America’s Pro-Israel Lobby". Unermüdlich bemüht sie sich, Israels Politik zu erklären und für Amerikas Unterstützung zu kämpfen. Ob sie freilich je so einflussreich sein wird wie die pro-arabische Öl-Lobby, darf man bezweifeln.

Nach dem Kalten Krieg haben alle US-Präsidenten, von Bush senior via Clinton bis Bush junior, den Israelis ihre Agenda diktiert, nicht umgekehrt. Man denke nur an den ersten Golf-Krieg, als Bush senior von Israel die Zusage verlangte und erhielt, auf Saddams Raketenangriffe nicht zu reagieren; an Clintons Versuch, einen Friedensvertrag zwischen Israel und den Palästinensern zu erzwingen, der nicht an Israels Premier Ehud Barak scheiterte, sondern an Jassir Arafat; an Bush junior, der gegen israelische Bedenken darauf bestand, der Hamas die Beteiligung an den palästinensischen Parlamentswahlen zu gestatten. Zuweilen mag ja der Schwanz mit dem Hund wedeln; dass dies aber, wie das Buch von Mearsheimer und Walt suggeriert, immer der Fall wäre, gehört ins Reich der irrationalen Verschwörungstheorien.

Nehmen wir den Irak-Krieg. Es ist verständlich, dass nun, da der Krieg so unpopulär ist, wie er anfangs populär war, nach Schuldigen gesucht wird. Mearsheimer war von Anfang an aus praktischen Erwägungen gegen den Krieg, obwohl er davon ausging, dass Saddam Massenvernichtungswaffen besaß. Aber erst jetzt hat er einen passenden Schuldigen gefunden. Im neuen Buch heißt es:

"Es gibt eine Variable, ohne die der Krieg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht stattgefunden hätte. Diese Variable ist die Israel-Lobby, und besonders eine Gruppe neokonservativer Ideologen und Experten …"

Hier, wie auch sonst in dem Buch, wird auf perfide Weise die Israel-Lobby mit den Neo-Konservativen verknüpft. So werden die Neo-Cons als jüdisch diffamiert und die amerikanischen Juden als Kriegstreiber. Tatsächlich war die israelische Regierung keineswegs begeistert vom Plan der Bush-Regierung, Saddam zu stürzen. Die Saudis hingegen haben darauf gedrängt.

Man ist ja sonst nicht geneigt, Michael-Moore-Fantasien über die Macht der Öl-Lobby nachzugeben. Aber sie wirken geradezu rational im Vergleich zu dem, was uns dieses Buch über die Macht der Israel-Lobby suggeriert.

John J. Mearsheimer & Stephen Walt: Die Israel-Lobby - Wie die amerikanische Außenpolitik beeinflusst wird
Übersetzt von Ulrike Bischoff, Ute Mareik, Dr. Harald Stadler, Claudia Buchholtz, Birgit Lamerz-Beckschäfer
Campus Verlag, Frankfurt/Main und New York
John J. Mearsheimer & Stephen Walt: "Die Israel-Lobby"
John J. Mearsheimer & Stephen Walt: "Die Israel-Lobby"© Campus Verlag