Antijudaismus in der christlichen Kunst

Von geschlagenen Nikolaus-Ikonen und Schmähskulpturen

10:09 Minuten
Darstellung des Tulenhaupt-Fensters aus dem südliche Seitenschiff des Freiburger Münsters.
Im Mittelalter ein häufiges Motiv: Juden als Bilderschänder, wie hier im Freiburger Münster - manche Kirchenvertreter sehen darin kein Problem. © Erzdiözese Freiburg
Von Jonas Ochsmann · 06.09.2020
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Was tun mit problematischen Bildern? Diese Frage beschäftigt auch die Kirchen. Dort geht es vor allem um abwertende Darstellungen von Juden aus dem Mittelalter. Wie damit umzugehen sei, ist in manchen Fällen umstritten.
Matthias Schnegg beschreibt ein Deckenbild: "Es ist ein Zyklus aus Freskenbildern, die das Leben des heiligen Nikolaus beschreiben."
Schnegg ist Pfarrer in der Kirche St.Maria in der Kölner Altstadt*). In der Deckenmalerei eines Gewölbes ist dort eine Darstellung aus dem 13. Jahrhundert von der Legende des Heiligen Nikolaus zu sehen. Sie geht zurück auf die Legenda Aurea, eine Sammlung von Heiligenlegenden, die im Mittelalter sehr verbreitet waren.f

Ein Jude, der ein Heiligenbild schlägt

"Und dann gibt es eben ein Bild, auf dem ein schlafender Jude ist – zu erkennen an den spezifischen Judenhüten", erklärt Schnegg. "Und der schläft und neben sich eine Schatztruhe und vor der Schatztruhe steht die Ikone des Heiligen Nikolaus als Wächter. Und dann kommen über Nacht ein paar Räuber und räumen diese Schatztruhe aus und am anderen Morgen greift der Kaufmann seine Ikone und schlägt sie mit einer Rute. Die nächste Sequenz zeigt ja dann, dass die Diebe reumütig die Sachen wieder zurückbringen, auf die Mahnung des heiligen Bischofs, der dann aber schon im Himmel ist."
Auch Katharina Heyden, Professorin für Ältere Geschichte des Christentums an der Universität Bern, hat sich mit der Legende auseinandergesetzt. "Es wird richtig zitiert: ‚Er sah sich beraubt und sprach zu dem Bild: Herr Nikolaus, habe ich euch nicht in mein Haus gesetzt, damit Ihr es vor Räubern behütet? Warum habt Ihr das nicht getan? Ich sage euch, Ihr sollt Pein leiden für die Diebe.‘ Und dann fängt er an und peitscht das Bild aus und geißelt es."
Sie ergänzt ein Element, das in der Deckenmalerei von Köln nicht zu sehen ist. Nachdem der Heilige Nikolaus die Räuber belehrte, "gehen die zurück zum Haus des Juden, erzählen ihm, dass ihnen der Nikolaus erschienen sei. Und daraufhin bekehrt sich dann der Jude. Also wieder dieses Motiv der Bekehrung ganz am Ende."

Wittenberger Schmähskulptur

In letzter Zeit wird wieder stärker debattiert, wie die christliche Kirche mit ihrem antijudaistischen Erbe umgehen soll. Die Diskussion um die Schmähskulptur der Judensau an der Stadtkirche von Wittenberg ist ein prominentes Beispiel.
Weniger bekannt ist das Motiv der jüdischen Bilderschändung. In christlichen Kontexten wurden immer wieder Juden abgebildet, die heilige Ikonen angreifen. Diese Darstellungen haben ihren Ursprung im byzantinischen Bilderstreit des 8. und 9. Jahrhunderts. Dieser bricht aus, sagt Heyden, "durch Kaiser, die die Christusbilder in ihrem Palast in Konstantinopel, heute Istanbul, durch ein Kreuz ersetzen lassen, durch das reine Symbol."
Antisemitisches Relief, sogenannte " Judensau-Skulptur" an der evangelischen Stadtkirche in Wittenberg.
Ein antisemitisches Relief, die sogenannte "Judensau-Skulptur", an der evangelischen Stadtkirche Wittenberg. © picture alliance / Winfried Rothermel
Die Bilderstürmer, die Ikonoklasten, waren der Meinung, dass der Bilderkult im Christentum beendet werden müsste. Ein alter Streit, wie die Historikerin erklärt:"Also ich würde sagen, diese grundsätzlichen Spannungen zwischen Bilderverbot, das eben in der Bibel und ersten Testament grundgelegt ist und einer Bilderverehrung, die gibt es schon in der Antike. Und die hängt sozusagen mit dem doppelten Erbe des Christentums, im Judentum einerseits und in der hellenistisch-römischen Welt andererseits, zusammen."

Bilderverbot als jüdisches Erbe

Für das Judentum war das Götzenverbot zentral. Es prägte damit die christliche Theologie. Aber auch die bilderreiche hellenistische Kultur beeinflusste die Vorstellungswelt der christlichen Gläubigen.
Diese Spannung entlud sich im 8. Jahrhundert im Bilderstreit, der die Zerstörung zahlreicher Ikonen im Byzantinischen Reich zufolge hatte. Der Streit wurde durch einen Konzilsbeschluss 787 beigelegt, der eine wichtige Unterscheidung festlegte: Bilder dürfen verehrt, jedoch nicht angebetet werden.
"Anbetung ist eben etwas, das nur Gott zukommt und damit einem Bild gegenüber nicht passieren darf", erklärt Heyden. "Wohingegen Verehrung, ‚Proskynese‘, Bildern gegenüber erlaubt ist. Weil, und das ist das Argument, im Bild eigentlich nur repräsentiert wird, was sozusagen hinter dem Bild ist. Wenn der Mensch ein Bild verehrt, dann betet man das Bild selber eben nicht an, sondern die Wirklichkeit, die dahinter ist und vom Bild repräsentiert ist."

Der Streit ums Bild trennt die Kirchen

Diese theologische Unterscheidung wurde in der lateinischen Kirche nicht erfasst und ist damit eine der Ursachen, die Konstantinopel und Rom schließlich im 11. Jahrhundert voneinander trennten.
"Mit Blick auf den Westen ist interessant, dass die Unterscheidung, die starke philosophische Hintergründe in der platonischen Bild-Abbild-Theorie hat, im Westen offenbar nicht verstanden wurde und auch nicht adäquat ins Lateinische übersetzt werden konnte."
Die grundsätzliche Frage, ob ein Bild Gott verkörpern kann, bleibt auch nach der Festlegung des Konzils bestehen und wird immer wieder in der Geschichte des Christentums zu Kontroversen führen. So zerstörten Bilderstürmer rund 700 Jahre später während der Reformation erneut Heiligenbilder.

Kompensation des eigenen Unbehagens

Katherine Aron-Beller lehrt und forscht zur Geschichte des Antisemitismus an der Universität Tel Aviv. Für sie haben christliche Geschichten über jüdische Bilder- und Ikonenschändung die Funktion, das Unbehagen mit der eigenen Bilderverehrung zu kompensieren:
"Das sind bekannte Mythen, die ihren Ursprung im byzantinischen Bilderstreit haben. Erst später kommen diese nach Westeuropa, als die Mariensagen im 12. und 13. Jahrhundert populär werden."
Viele Geschichten haben dabei eine ähnliche Struktur, sagt Aron-Beller: "Juden nehmen ein christliches Bild, erstechen es mit einem Messer und dann beginnt es zu bluten. Gewöhnlich gibt es zwei Konsequenzen: Entweder der Jude wird ermordet oder er konvertiert zum Christentum, nachdem er das Blut bemerkt hat."
Der Übertritt des Juden zum Christentum soll die Heiligkeit der Bilder unterstreichen: "Durch die Anerkennung der Wahrheit des Christentums wird auch die Wahrheit der Bilder bestätigt, ebenso wie die richtige Art der Verehrung", betont die Antisemitismusforscherin.

Aus Legenden werden Pogrome

Mythen und Legenden, die eine Bilderschändung durch Juden anklagen, finden sich viele. Es bleibt jedoch nicht bei einem literarischen Motiv, wie Katherine Aron-Beller betont. Sie hat Gerichtsprozesse gegen Juden im Mittelalter untersucht.
"Vor elf Jahren habe ich im Archiv zu Inquisitionsprozessen geforscht. Ich war sehr erstaunt, wie viele Prozesse wegen Bilderschändung ich nebenbei fand. Juden wurden angeklagt, weil sie angeblich Ikonen bespuckt oder auf diese uriniert hätten. Die christliche Gesellschaft hatte einfach die Vorstellung, dass Juden Bilder schänden würden."
Die Gefährlichkeit dieses Mythos liege darin, dass er die Grundlage für weitere populäre Mythen legte, wie die Ritualmordlegende und die Anschuldigung der Hostienschändung. Diese Mythen rechtfertigten eine Vielzahl von Pogromen gegen Juden im Mittelalter. Dahinter steht immer derselbe Vorwurf: Die – den Juden in die Schuhe geschobene – Kreuzigung Jesu werde so wiederholt, sagt die Kirchengeschichtlerin Katharina Heyden:
"Man geht ja da wirklich bis zu dem Ursprung der Schändung heran und sagt: Die Juden haben damals den Herrn selbst schon geschändet und das tun sie jetzt immer wieder, wenn sie zum Beispiel die Kreuzigungsdarstellung attackieren."

Bilder ohne Kontext

Mündliche und schriftliche Überlieferungen des Motivs der Bilderschändung wurden in späteren Jahrhunderten bildlich umgesetzt. So wie in der Bilderfolge der Nikolaus-Legende in Köln. Auch im Freiburger Münster findet sich dazu ein Bild in einem Glasfenster, allerdings mit einem Unterschied, erklärt Katharina Heyden:
"Im Münster in Freiburg im Breisgau gibt es das aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, wo man tatsächlich dann nur noch diesen Juden sieht, wie er auf den Nikolaus einprügelt. Dann bleibt eben nur noch der isolierte Jude als Bilderschänder."

Geht es doch nur um die Kaufmannsehre?

Elena Kosina sieht das anders. Sie ist Kunsthistorikerin am Corpus Vitrearum Forschungszentrum in Freiburg: "Es geht hier eigentlich nicht darum, dass der Jude böse ist und die Statue des Nikolaus schlägt. Es geht um die Kaufmannsehre und um einen Vertrag."
Eine Kaufmannsfamilie hat das Fenster im Münster gestiftet. Der Heilige Nikolaus war der Schutzpatron der Kaufleute. "Und für sie ist diese Szene insofern wichtig, als dass es sich um einen fairen Handel handelt. Der Nikolaus war der Beschützer des fairen Handels."
Für alle gehe die Geschichte gut aus, sagt Elena Kosina: "Für den Kaufmann, für die Diebe und für den Heiligen Nikolaus, weil sie alle zum Kompromiss gefunden haben." Wobei der Kompromiss im Falle des jüdischen Kaufmanns der Übertritt zum Christentum war – eine Lösung, die viele heute als antijüdisch ablehnen würden.

Die Kirchen müssen sich zu antijüdischer Kunst verhalten

Pfarrer Schnegg aus Köln ist der Meinung, dass es einen bewussten Umgang mit dem antijudaistischen Erbe in der kirchlichen Kunst geben sollte. Es brauche den Hinweis, sagt er, "dass das eine zeitgeschichtliche Darstellung ist, die wir so zur Kenntnis nehmen müssen und heute so nicht teilen."
Die Bilderschändung in der Nikolauslegende findet er allerdings unproblematisch: "Ich sehe das eher spielerisch. Es ist halt, wie man sich heute ein Bilderbuch anguckt. Also anders als zum Beispiel die Judensau, das ist sehr viel offensichtlicher als in dieser Darstellung. Wenn in der Darstellung keine Judenhüte wären, könnte man einfach sagen: Es ist ein reicher, selbstsüchtiger Kaufmann."
Die israelische Historikerin Katherine Aron-Beller fordert dagegen eine Kontextualisierung des Motivs der Bilderschändung: "Was wir in unserer Gesellschaft brauchen, sind Hinweise, die ein heutiges Publikum aufklären. Mit einer klaren Botschaft, was diese Bilder repräsentierten. Wir wissen heute, dass sich darin Antijudaismus zeigte. Die Bilder bleiben für uns als Erinnerung daran."

*) Wir haben eine Ortsbezeichnung korrigiert
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