Anti-Doping-Kommission ist ein "Schnellschuss"

Moderation: Andre Zantow · 07.09.2013
Sylvia Schenk fordert eine Null-Toleranz-Haltung gegenüber Doping. Die Sportbeauftragte von Transparency International erhofft sich von Thomas Bach nach seiner möglichen Wahl zum IOC-Präsidenten weitere Schritte im internationalen Anti-Doping-Kampf.
Deutschlandradio Kultur: Thomas Bach gilt als Favorit, wenn die Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees einen neuen Präsidenten wählen. Als erster Deutscher hätte er diesen Posten inne und würde dann als Herr der Ringe starken Einfluss ausüben auf das Kulturgut Olympia und das Milliardengeschäft Olympia. Thomas Bach und das undurchsichtige Dreieck aus Sport, Politik und Wirtschaft soll heute unser Thema sein in Tacheles mit Andre Zantow.

Unser Gast hat mir gerade schon gesagt, dass auch die Medien dazu gehören. Warum?

Sylvia Schenk: Weil die Medien natürlich einerseits kräftig mitverdienen am Sport, abhängig sind von den Großveranstaltungen – man sieht das ja, wenn um Fernsehrechte gebuhlt wird – und dann natürlich auch nicht wollen, dass der Sport zu negativ dasteht. Also, wenn man sich anschaut, wie die ARD das Team Telekom und Jan Ulrich gesponsert hat, das war schon grenzwertig für Journalismus.

Deutschlandradio Kultur: Sylvia Schenk ist ehemalige Leistungssportlerin und nun als Sportbeauftragte bei der Antikorruptionsagentur Transparency International tätig. Wären Sie gern IOC-Chefin?

Sylvia Schenk: Oh je, nee, ich glaube nicht, weil, so viel kann man dann gar nicht tun. Man kann sicherlich Akzente setzen, aber man ist unheimlich abhängig von den Strukturen, von Personen, muss gucken, wie man die Mehrheiten für die einzelnen Bereiche schafft. Also, ich hab festgestellt seitdem ich bei Transparency International bin, mit Druck von außen kann man manchmal, wenn die Zeit dafür reif ist, sehr viel mehr erreichen, als wenn man sich innen unheimlich abmühen muss.

Deutschlandradio Kultur: Sie wären ja die erste Frau in fast 120 Jahren IOC-Geschichte. Noch hat es keine gegeben an der Spitze. Was zeigt das auch?

Sylvia Schenk: Na, das zeigt, dass das IOC nach wie vor schon sehr stark männlich geprägt ist. Das hat aber auch damit zu tun, dass die Sporthierarchien insgesamt, auch weltweit gesehen, sehr männlich geprägt sind. In Deutschland ist es ja nicht sehr viel besser, wenn wir uns das anschauen.

Dazu kommt, dass natürlich enge Verknüpfungen zu Wirtschaft und Politik bestehen. Und auch da haben die Männer das Sagen – übrigens auch in den Redaktionen.

Deutschlandradio Kultur: Sechs Männer stehen jetzt am Dienstag zur Wahl. Einige waren auch Olympiasportler wie Sie.

Einspieler:
1972, die Hessin Sylvia Schenk ist gerade 20 und tritt als deutsche Meisterin bei Olympia in München über die 800 Meter an. Eine Medaille holt sie nicht wie in den Folgejahren. Aufmerksamkeit erlangt sie mit ihrem Einsatz für den Frauenfußball. Damals belächelt sie der DFB aber nur. Nach ihrer sportlichen Karriere und dem Jurastudium arbeitet Sylvia Schenk erst als Richterin in Offenbach, später als Stadträtin in Frankfurt am Main. 2001, der Wechsel an die Spitze des Bundes deutscher Radfahrer. Nach drei Jahren wirft sie hin, weil ihr Sportdirektor sie nicht über die auffälligen Blutwerte eines deutschen Radfahrers informiert. Damit endet später auch ihre Arbeit im Vorstand des Weltradsportverbandes UCI. Sie selbst spricht hier von "sehr intransparenten Vorgehensweisen". Nun kämpft Sylvia Schenk bei Transparency International für mehr Durchblick im Leistungssport.


"Wofür steht Thomas Bach? "Das ist eine schwierige Frage""
Deutschlandradio Kultur: Zum Durchblick gehört auch Klarheit des Profils, Frau Schenk. Sie kennen Thomas Bach persönlich. Wofür steht er?

Sylvia Schenk: Ja, das ist eine schwierige Frage. Da hat es ja auch schon einige Artikel in den vergangenen Wochen gegeben. Er steht sicherlich für Olympia. Also, dass Olympia und der Sport ihn geprägt haben, er hat ja seine Ursprünge auch im Einsatz gegen den Olympia-Boykott in Deutschland. Das war damals sehr wichtig 1980, hat leider nicht zum Erfolg geführt, aber er war derjenige, der für die Aktiven sehr deutlich damals mitgekämpft hat, dass der Olympia-Boykott nicht kommt.

In den vergangenen Jahren – ja, anders kommt man aber, glaube ich, nicht in die Position, in der er heute ist als aussichtsreicher Kandidat für die Präsidentschaft – war es natürlich sehr oft auch ein Durchlavieren. Aber anders schafft man das halt nicht.

Deutschlandradio Kultur: Thomas Bach gilt als Favorit für den wohl wichtigsten Posten im Weltsport. Er hat sein Wahlprogramm umschrieben mit dem Motto "Einheit in Vielfalt". Wie hilft uns das weiter?

Sylvia Schenk: Das ist ein Zitat, das habe ich mal geprägt, für die Leitbilddiskussion des deutschen Sports. Da steht es drin.

Deutschlandradio Kultur: Sie persönlich?

Sylvia Schenk: Ja.

Deutschlandradio Kultur: Das hat er von Ihnen geklaut.

Sylvia Schenk: Nein, nicht geklaut. Wir haben das in einem Prozess für den Deutschen Sportbund damals noch erarbeitet, wurde 2000 verabschiedet. Und da war das ein wesentlicher Punkt. Der deutsche Sport, so wie er organisiert ist als Einheit von Breitensport und Spitzensport, in anderen Ländern gibt es das zum Teil nicht so, da gibt es Spitzensportverbände getrennt von Breitensportverbänden, das jetzt auf den internationalen Bereich zu übertragen, finde ich richtig.

"Eine hochpolitische Aufgabe, IOC-Präsident zu sein"
Deutschlandradio Kultur: Thomas Bach, er hat sich stark gemacht gegen den Olympia-Boykott 1980, danach etwas durchlaviert, haben Sie gesagt. Mit diesem Verhalten hat er viele prominenter Unterstützer gesammelt. Ich zähle auf: der DFB, der Siemens-Chef Joe Kaeser, der SPD-Chef Sigmar Gabriel und auch die Bundesregierung in Person von Innenminister Friedrich, alle drücken Bach öffentlich die Daumen für den IOC-Vorsitz. Warum diese Begeisterung in Politik und Wirtschaft?

Sylvia Schenk: Ist doch völlig normal, dass man einem Deutschen die Daumen drückt, wenn es um so ein wichtiges Amt geht. Also, wir haben uns doch alle gefreut, als wir Papst wurden. Und insofern kann man eigentlich nur einem Deutschen bei so einer Wahl alles Gute wünschen. Also, das finde ich normal.

Deutschlandradio Kultur: Aber ist die wichtigste Eigenschaft eines IOC-Vorsitzenden, wichtige Inhalte zu präsentieren oder ist es eher, gute Kontakte zu haben?

Sylvia Schenk: Das gehört ja zusammen. Also, ich kann für Inhalte nichts erreichen, wenn ich nicht gute Kontakte habe. Auch ich lebe mit dem, wofür ich mich einsetze. Das ist ein Teil des politischen Geschäfts. Das ist eine hochpolitische Aufgabe, IOC-Präsident zu sein. Trotzdem erhoffe ich mir von Thomas Bach natürlich auch deutliche Akzente in einzelnen Bereichen und werde sicherlich zu denjenigen gehören, die das einfordern – auch öffentlich.

Deutschlandradio Kultur: Auf diese Akzente kommen wir gleich noch zu sprechen. Zunächst erstmal, wie diese guten Kontakte entstehen, darauf wollen wir jetzt blicken hier in Tacheles mit Sylvia Schenk, Sportbeauftragte von Transparency International.

Und zwar gehen wir zurück in die 70er-Jahre nach Tauberbischofsheim. Der Ort liegt in Baden-Württemberg. Und dort ist das deutsche Fechtzentrum. Hier hat Thomas Bach trainiert für den Olympiasieg 1976. Und hierhin haben auch in den 80er-Jahren kuwaitische Scheichs ihre Söhne geschickt, um fechten zu lernen. Thomas Bach hat in dieser Zeit offenbar gute Kontakte geknüpft in die Wüstenländer. Die sind sportlich relativ wenig relevant. Und wie sieht’s sportpolitisch aus?

Sylvia Schenk: Man muss sehen, dass der arabische Raum im Moment dabei ist, insgesamt politisch an größerem Gewicht zu gewinnen. Wie das mit der Macht im IOC ist, ich glaube, dass das nicht Kuwait alleine ist, sondern dass es da inzwischen – soweit ich das beobachten konnte – eine ganz gute Zusammenarbeit im Wesentlichen eigentlich unter Führung ein stückweit von Katar, die sich ja auch insgesamt im arabischen Raum im Moment als Führungskraft versuchen zu etablieren, von den Emiraten, von Kuwait und einigen anderen Ländern gibt.

Deutschlandradio Kultur: Kuwait haben Sie angesprochen. Zu diesem Land pflegt Thomas Bach sehr gute Kontakte. Er ist ja Aufsichtsratsvorsitzender der Weinig AG, einer Maschinenfabrik in Tauberbischofsheim, die mehrheitlich kuwaitischen Investoren gehört. Und Thomas Bach hat früher auch als Berater für Siemens gearbeitet für etwa 400.000 Euro Jahresgage, so hat es der Spiegel geschrieben. Und an Siemens hat er auch einen kuwaitischen Großinvestor vermittelt.

Wie alltäglich ist es, dass Sportfunktionäre auch sehr gut bezahlte Posten in Unternehmen haben?

Sylvia Schenk: Soweit ich das weiß, geht es den meisten IOC-Funktionären oder anderen Verbandspräsidenten auch beruflich nicht schlecht. Das ist also durchaus so, dass sehr oft auch Leute aus der Wirtschaft oder mit entsprechendem Geld von Haus aus – wir haben ja auch etliche Prinzen und Prinzessinnen da im Weltsport, die dort unterwegs sind, dass die eben solche Funktionen übernehmen, weil sie sich am ehesten auch ein aufwendiges Ehrenamt, und zunächst ist das ja dann ein Ehrenamt, leisten können.

Die entscheidende Frage ist ja eigentlich: Werden diese Rollen gemischt? Wird dort Einfluss oder wird die Position im IOC zum Beispiel ausgenutzt, und zwar unzulässig ausgenutzt zugunsten der eigenen wirtschaftlichen Betätigung? Oder werden da klare Grenzen gezogen? Das ist etwas, darauf müssen alle achten, die in solchen Funktionen tätig sind.

Auch ich im Ehrenamt muss immer darauf achten, dass ich nicht mein Ehrenamt als Transparency International in irgendeiner Weise mit meiner beruflichen Aufgabe vermische. Das ist die Herausforderung. Ansonsten kann jeder sein Geld verdienen und auch gern gutes Geld verdienen. Da sollten wir jetzt keine Neiddebatte beginnen.

"Da können Interessenkonflikte entstehen"
Deutschlandradio Kultur: Aber sehen Sie denn Interessenkonflikte, wenn ich einerseits dieses Ehrenamt habe beim IOC und dann andererseits ein hoch bezahlter Mensch bin in der Wirtschaft?

Sylvia Schenk: Da können Interessenkonflikte entstehen. Ich gehe davon aus, dass das IOC dazu Regelungen hat, also, jedenfalls ist mir das bekannt, dass die sich durchaus auch mit Interessenkonflikten auseinandersetzen. Und da muss dann im Einzelfall entsprechend gehandelt werden, dass man bei bestimmten Entscheidungen sich der Stimme enthält oder gar nicht an den Beratungen teilnimmt. Das kommt ja ständig überall vor, dass man in einen Interessenkonflikt geraten kann.

Deutschlandradio Kultur: Kennen Sie Beispiele?

Sylvia Schenk: Es gibt Beispiele, ohne dass ich die jetzt mit Namen nennen möchte, wo man zumindest weiß, dass jemand in einem führenden Gremium des Sports über ein Sponsoring abgestimmt hat und selber von dem Unternehmen auch als Testimonial oder auch gesponsert worden ist oder Werbemaßnahmen gemacht hat. Dann kann man eigentlich über ein solches Unternehmen nicht abstimmen, sondern muss sagen, hier halte ich mich völlig raus. Ich nehme an diesem Teil der Sitzung nicht teil. Also, solche Dinge können immer wieder vorkommen.

Aber nochmal: Wir können ja nicht Leute ins IOC setzen, die gar keinen Beruf haben. Also, es ist doch normal, dass man dann auch wirtschaftlich tätig ist.

Deutschlandradio Kultur: Das ARD-Magazin Monitor hat nun über einen Interessenkonflikt berichtet. Thomas Bach ist ja auch Vorsitzender der Deutsch-Arabischen Handelskammer Ghorfa. Und die legt unter anderem Regeln fest für den Import von Waren in arabische Länder. Dazu zählen auch Waffen. Und die Ghorfa will außerdem keine Waren aus Israel.

Wie passt das jetzt zusammen mit dem IOC-Chef-Posten und den olympischen Gedanken von Neutralität und Frieden?

Sylvia Schenk: Als IOC-Präsident kann jemand sich das natürlich nicht leisten, dass er sagt, wir boykottieren in irgendeiner Form Israel. Das ist insofern, ich würde ich nicht sagen, Interessenkonflikt, aber eine schwierige Situation. Die wird er gegebenenfalls, also Thomas Bach als Kandidat, seinen Wählern erklären müssen. Also, ich weiß nicht, ob das Thema ist innerhalb einzelner IOC-Mitglieder. Das muss dann das IOC bei der Wahl entscheiden.

"Ohne politische Kontakte geht es nicht"
Deutschlandradio Kultur: Thomas Bach ist neben der Wirtschaft auch in der Politik gut verdrahtet. Er ist FDP-Mitglied. Und so redet auch bei der Deutsch-Arabischen Handelskammer schon mal eine Staatssekretärin aus dem FDP-geführten Wirtschaftsministerium. Wie wichtig sind politische Kontakte als Sportfunktionär?

Sylvia Schenk: Also, ohne politische Kontakte geht es nicht. Und in dem Moment, wo ich Sportfunktionär wäre, das fängt ja auf der unteren Ebene an, beginnen die politischen Kontakte. Wenn Sie Vorsitzender eines Frankfurter Vereins werden, dann werden Sie in irgendeiner Form mit dem Ortsbeirat, auch mit den örtlichen Stadtverordneten und möglicherweise darüber hinaus in Kontakt kommen, weil Sie sich für Ihren Verein einsetzen und dann im politischen Geschehen ein stückweit drin sind. – Das ist ja Vorfeld der Politik, wenn man sich im Sport engagiert, egal auf welcher Ebene.

Und es ist wichtig, solche Kontakte zu pflegen in der richtigen Form, mit der nötigen Distanz, wobei ich feststellen muss, dass es sehr oft auch die Politik ist, der die notwendige Rollendistanz von Sportfunktionären auf allen Ebenen fehlt. Also, von daher ist das nicht immer nur einseitig zu sehen. Aber Kontakte sind nötig. Davon lebt unsere Gesellschaft. Davon lebt die Politik und davon lebt auch die Sportpolitik.

Deutschlandradio Kultur: Einen ganz besonderen Kontakt müssen wir auch noch ansprechen. Ahmed al-Fahd al-Sabah, das ist ein Scheich aus Kuwait, der sich kürzlich vor einer deutschen Kamera offen als Bach-Unterstützer ausgegeben hat. Der Scheich ist einflussreiches IOC-Mitglied und sagt, er habe seit zwölf Jahren eine Vision, eine Verabredung mit Thomas Bach. An der wolle er festhalten. Und er wird alles machen, um die Mitglieder zu überzeugen, damit Thomas Bach IOC-Präsident wird. – Was meint er hier?

Sylvia Schenk: Ich kann jetzt nicht Gedankenlesen oder die Motive im Einzelnen von diesem Herrn hier analysieren, weil, die kenne ich nicht. Es war eine Äußerung, die meines Wissens den Gepflogenheiten und auch den Regelungen des IOC widersprach. Ich glaube, die sind da auch tätig geworden, weil es eigentlich im Wahlkampf verboten ist, dass IOC-Mitglieder sich für einzelne Kandidaten aussprechen, zumindest auf diese Art und Weise in öffentlicher Form. Das durfte er nicht, soweit ich mich da auskenne.

Was er ansonsten gemeint hat, wenn es darum geht andere zu überzeugen im Sinne von überzeugen, wie das Wort von ihm gefallen ist eben in dem Zitat, dann spricht ja nichts dagegen, wenn das im Rahmen der IOC-Regelung erfolgt. Alles andere ist Spekulation.

Deutschlandradio Kultur: Offener Wahlkampf ist verboten. Das haben Sie gesagt. Ist das aber auch die Einladung für Hinterzimmer-Klüngelei?

Sylvia Schenk: Ja, kann es geben, kann es auch nicht geben. Wir wissen, dass natürlich im internationalen Sport, wie aber übrigens – schauen Sie sich an, wie manche Parteitage ausgeklüngelt werden in den verschiedensten Parteien oder andere Dinge… Wir wissen, dass natürlich ein Stück Klüngelei und hier mit dem sprechen und mit jenem sprechen und Verbündete suchen und Koalitionen bilden – und ich helfe dir bei dieser Wahl und du hilfst mit bei jener Wahl – das gehört ein stückweit zum Geschäft.

Deutschlandradio Kultur: Wie läuft denn genau dieses Werben um die Stimmen ab, wenn es keinen offenen Wahlkampf gibt. Also, Sie haben es gerade schon angesprochen. Ich gebe dir meine Stimme und du gibst mir das nächste Mal Olympia?

Sylvia Schenk: Ich habe gerade jetzt gelesen, dass es eine ganze Menge Essen gibt. Der Thomas Bach muss dienstlich frühstücken, Mittagessen, Abendessen und vielleicht dazwischen noch, um dann mit Personen zu sprechen. Also, insofern, da finden natürlich vielfältige Kontakte statt, übrigens von allen Kandidaten, die machen ja alle auf ihre Art und Weise Wahlkampf. Da sind alle möglichen Formen denkbar. Das geht ja teilweise soweit, dass Länder sich auch einsetzen für ihren Kandidaten.

Das hat es zumindest in der Vergangenheit auch in anderen Sportorganisationen gegeben, dass politischer Druck gemacht wird, wirtschaftlicher Druck, dass Sponsoren plötzlich aus einem Land, sei es für eine Olympiabewerbung oder eine andere Bewerbung um eine Großveranstaltung oder auch für einen Kandidaten, dann als Sponsor auftreten bei einem Verband, der dann wieder sagt: Oh, wenn der hier jetzt mein Sponsor ist, dann stimme ich auch für den Kandidaten aus dem Land. Oder dass sogar diplomatische Vertretungen in der einen oder anderen Form da Hilfestellung leisten im Hintergrund, das gibt es alles. Da brauchen wir uns jetzt nicht zu denken, das wäre jetzt nur alles die reine Idee und die reine ideale Welt im internationalen Sport.

Deutschlandradio Kultur: Am Dienstag geht es um das "Papst-Amt des Weltsports" schreiben einige Medien. Welche Bedeutung hat denn der IOC-Vorsitz, Frau Schenk?

Der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Thomas Bach
Thomas Bach kandidiert als IOC-Präsident.© picture alliance / dpa / Fredrik von Erichsen
"Da ist eine ganze Menge Musik drin"
Sylvia Schenk: Na ja, es ist natürlich schon eine der in der Öffentlichkeit führenden Funktionen weltweit. Es ist sicherlich auch eine große Herausforderung, eine spannende Aufgabe, weil, man muss ja – ich sage mal in Anführungszeichen – "nur" auf dem Feld des Sports, aber im Grunde die ganze Weltpolitik mit berücksichtigen. Man hat ja aus allen Ländern Personen, Verbände, Institutionen, mit denen man zu tun hat. Das heißt, alle weltpolitischen Probleme und Herausforderungen kommen direkt auch bei diesem Amt an. Also, man sieht das ja jetzt aktuell zum Beispiel mit Brasilien – Frage: Spiele in Rio, was wir jetzt gerade mit dem Confed-Cup in Brasilien hatten im Sommer. Da ist eine ganze Menge Musik drin.

Andererseits muss man eben sehen, dass man natürlich, gerade weil das ein so vielfältiges Amt ist, auch sehr gebunden ist daran: Wie schafft man Mehrheiten? Mit wem muss man zusammenarbeiten? Wie geht man kleine Schritte, weil so die ganz große Revolution an der Spitze kann man alleine nicht hinkriegen?

Deutschlandradio Kultur: 104 wahlberechtigte Mitglieder hat das Internationalen Olympischen Komitees. Am Dienstag sind dabei aus Deutschland, neben Thomas Bach, noch Claudia Bokel, ebenfalls eine Fechterin. Was ist die Qualifikation, um in diesem Pool drin zu sein?

Sylvia Schenk: Die Qualifikation, um ins IOC zu kommen, ja, das ist etwas undurchsichtig. Also, einige sind Prinzen und Prinzessinnen, der Hochadel aus Europa ist da immer sehr stark vertreten gewesen, schon von der Gründung an das IOC. Man wählt ja die Mitglieder im Grunde oder erneuert sich aus sich selbst heraus immer wieder und wählt sich selber Mitglieder zu. Es gibt also keine demokratische Basiswahl, dass also eine Versammlung aller Verbände zum Beispiel wählen würde.

Dazu kommen dann aber auch noch persönliche Mitglieder, die aufgrund der Tatsache, dass sie Präsidenten von großen Verbänden sind, berufen werden, das ist, glaube ich, beschränkt auf eine Zahl von 15 oder so, und Vertreter der Athletenkommission. Also, es sind verschiedene Möglichkeiten, wie man ins IOC kommen kann.

Aber man muss sich da schon irgendwie hocharbeiten in gewisser Weise.

Deutschlandradio Kultur: Ich zähle mal die fünf Konkurrenten von Thomas Bach auf: Das ist einmal Rico Richard Carrion - Banker aus Puerto; Ser Miang Ng - millionenschwerer Geschäftsmann aus Singapur; Wu Ching-Kuo - Boss des Internationalen Amateur-Box-Verbandes, Denis Oswald - ehemaliger Ruderer aus der Schweiz, und Sergej Bubka – Stabhochsprung Weltrekordler aus der Ukraine.

Was hat Thomas Bach diesen Kandidaten voraus?

Sylvia Schenk: Ich glaube, er ist derjenige, der die längste und breiteste Erfahrung hat. Bubka war selber Athlet, Carrion meines Wissens nicht, jedenfalls nicht auf der olympischen Ebene. Und er Ng aus Singapur ist, glaub ich, gar nicht selber groß Sportler gewesen. Da hat der Thomas Bach natürlich das Prä, dass er selber Olympiasieger war.

Also, er bringt eine gute Mischung mit. Er hat in sehr vielen Bereichen sehr breit gearbeitet. Wenn ich mir so die ganzen Kandidaten anschaue, dann ist mir der Thomas Bach mit Sicherheit am liebsten. Also, derjenige, der vielleicht noch auch inhaltlich mir nahestünde, der Denis Oswald, der hat sowieso keine Chance nach allem, was man hört. Also, es wird sich wohl zwischen Carrion, dem Ng aus Singapur und Thomas Bach entscheiden – nach dem, was man bisher erfahren hat.

Deutschlandradio Kultur: Thomas Bach als Vorsitzender des Deutschen Olympischen Sportbundes, das ist noch seine jetzige Position, also, als oberster Aufseher über alle deutschen Sportverbände, welche Verdienste hat er in der Dopingbekämpfung?

Sylvia Schenk: Na, da hatten wir ja gerade aktuell hier in Deutschland die große Diskussion um die Dopingstudie. Da hätte ich ihn mir mutiger gewünscht und auch gewünscht, dass er – wir haben darüber auch vor einer guten Woche telefoniert, da habe ich es ihm selber auch gesagt, deshalb mache ich das dann durchaus auch öffentlich noch mal – da hätte ich mir gewünscht und wünsche mir, und wir werden da auch noch mal mit einigen Leuten aktiv werden, dass aus dieser Dopingstudie und auch ein stückweit darüber hinaus wirklich Folgerungen gezogen werden, die eben darüber hinausgehen zu sagen: Wer hat in den 70er-Jahren was gesagt und damit die Dopingmentalität beeinflusst? Also, diese nachträgliche Schuldzuweisung, das kann nicht der entscheidende Punkt sein.

Auch die Frage Ja oder Nein Antidopinggesetz ist allenfalls ein Mosaik. Es muss darum gehen zu schauen, wie man wirkliche Null-Toleranz-Haltung im deutschen Sport und darüber hinaus bekommt, wie man Strukturen ändert, wie man mit dem Druck umgeht, der auf den Athleten lastet. Da haben wir ja auch eine Studie der Deutschen Sporthilfe Anfang des Jahres gehabt zu Dysfunktionen im Spitzensport. Das ist der Druck, der doch sehr viele Athleten sagen lässt, ich habe schon zu Dopingmitteln gegriffen. Also, da muss man eigentlich den ganzen Antidoping-Kampf auf den Prüfstand stellen. Und das ist die wesentliche Schlussfolgerung aus dieser Dopingstudie. Die muss jetzt gezogen werden.

Ja, wenn der Thomas Bach jetzt als IOC-Präsident gewählt wird, dann hoffe ich, dass der Deutsche Olympische Sportbund ohne ihn da dann doch einen großen Schritt vorangeht. Ich hätte mir – wie gesagt – Thomas Bach dort mutiger gewünscht und hoffe, dass er dann zumindest auf der internationalen Ebene mit vielleicht auch deutlichen Anstößen aus Deutschland dann ein Stück vorangeht.

Deutschlandradio Kultur: Fehlt bei Thomas Bach das Interesse am Thema Antidopingkampf, weil er nach der Veröffentlichung dieser Studie, die ja dann auch durch einen Mediensturm erzwungen wurde, dann gesagt hat, "es gibt nicht viel Neues da drin"?

Sylvia Schenk: Er hat ja zum Teil recht. Ein wesentlicher Teil der Themen, die diskutiert worden sind und auch sehr hektisch und mit Wahlkampfgetöse in der Öffentlichkeit – ein doppelter Wahlkampf, sowohl politisch als auch sportpolitisch –, die waren bekannt. Das ist aber trotzdem ein Verdienst der Studie, dies nochmal so umfassend zusammengestellt zu haben und mit einem Teil der Schlüsse, die sich nicht alle direkt aus der Studie herleiten, auch noch mal auf die Defizite in dem derzeitigen Antidopingkampf hingewiesen zu haben.

Und insofern, ja, ich glaube, Thomas Bach, das kann man dann ein Stück weit auch nachvollziehen, er wollte im Moment einfach Ruhe an der Front haben, hat dann diesen Schnellschuss gemacht mit der Kommission, die der DOSB eingesetzt hat, bezogen im Wesentlichen nur – soweit ich das weiß – auf die Aufklärung von Verstrickungen in der Vergangenheit.

"Widersprüchliche Signale an die Athleten"
Das greift zu kurz. Ich habe ihm das, wie gesagt, persönlich auch gesagt. Und ich hoffe sehr, wenn jetzt diese Wahl, wie auch immer sie ausgeht, im IOC vorbei ist, dass dann die Kraft besteht, sich noch mal intensiver mit dieser Studie und mit dem ganzen Thema Doping auseinanderzusetzen. Das brauchen wir ganz dringend in Deutschland und darüber hinaus.

Deutschlandradio Kultur: Thomas Bach hat sich immer eingesetzt gegen ein Antidopinggesetz in Deutschland. Er hat immer gesagt, der Sport könne das selbst regeln. Hat der Sport es selbst geregelt?

Sylvia Schenk: Er hat es nicht selbst geregelt, wobei man feststellen muss, was er selbst geregelt hat, die Sportgerichtsbarkeit, das ist ja per se bisher nicht schlecht. Vor allen Dingen in Deutschland stehen wir damit insgesamt ja ganz gut da. Es muss aber um mehr gehen im
Antidopingkampf.

Und insofern, ich selber sage also, ob wir jetzt noch ein Antidopinggesetz bekommen, ja oder nein, das ist nicht das Entscheidende. Ich habe eher das Problem, dass die ganze Debatte um das Antidopinggesetz davon ablenkt, was man eigentlich im Bereich Prävention, im Bereich Nulltoleranz usw., in den Strukturen, in der Frage, wie der Sport gefördert wird, wie die Athleten abhängig gemacht werden und auch die Trainer und andere von Medaillen, so dass einfach da auch schon ein Druck in Richtung Doping unter Umständen entstehen kann, dass man an diesen Themen weiterarbeitet.

Deutschlandradio Kultur: Was braucht es denn an Prävention?

Sylvia Schenk: Ja, man muss aufhören eigentlich zunächst einmal, alles nur auf die Athleten zu schieben. Das übrigens hat die Antidopingstudie auch sehr deutlich gesagt und aufgezeigt, dass in den 70er- und 80er-Jahren zwar öffentlich immer gesagt wurde, wir wollen kein Doping, aber dass wohl offensichtlich nicht so ganz ernst gemeint war und es sehr widersprüchliche Signale an die Athleten gab. Also, einerseits Druck, Druck, Druck, es geht nur um Medaillen, und andererseits: Bitte bleibt sauber, selbst in Sportarten, wo offensichtlich war, dass weltweit ganz erheblich gedopt wurde.

Das muss man auflösen. Wenn man da weiter sagt, es sind immer nur die Athleten, wir machen ein Kontrollsystem, was inzwischen Persönlichkeits- und Datenschutzrechte der Athleten ganz weitgehend einschränkt, das würde sich sonst kein Mensch, kein Strafgefangener, niemand, gefallen lassen, was im Antidopingkontrollsystem von den Athleten verlangt wird, und die Funktionäre, die Ärzte und alle sind ein stückweit draußen. Wenn wir da nicht anfangen jetzt wirklich Verhältnisprävention zu machen, an das Umfeld zu gehen und da auch gegebenenfalls auch Personen auszusortieren, die in der Vergangenheit da Fehler gemacht haben oder die sich zumindest nicht eindeutig hinter den Antidopingkampf stellen, dann erreichen wir auf Dauer nichts.

Und das gilt national, das gilt natürlich auch international. Das Testsystem hat erhebliche Defizite. Die Weltantidopingagentur hat gerade in diesem Jahr einen Report herausgebracht, wo sie sich ausdrücklich damit beschäftigt, wie ineffektiv das Kontrollsystem ist. Wir wissen, dass es sehr viel mehr Dopingfälle gibt als wirklich positive Proben über das Testsystem erreicht werden. Also, von daher muss sehr viel mehr und anderes passieren.

Deutschlandradio Kultur: Sylvia Schenk, Sie sind auch SPD-Mitglied und haben am 100-Tage-Programm von Thorsten Schäfer-Gümbel, dem SPD-Spitzenkandidaten in Hessen, mitgearbeitet.

Wie sollte denn das 100-Tage-Programm von Thomas Bach aussehen, wenn er am Dienstag IOC-Präsident wird?

Sylvia Schenk: Ich glaube, das Wichtigste ist, dass wir im IOC und in den internationalen Verbänden, bis runter auf die nationale Ebene, eine offenere Diskussionskultur im Sport bekommen, also sich eine Gruppe von Leuten, aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen unabhängige Köpfe zu berufen und zu sagen: Guckt ihr auch ein Stück von außen darauf, was wir machen als IOC, wie wir es machen. Olympia bietet so unendlich viele Chancen in der Weltpolitik insgesamt etwas für die Verbesserung der Situation von Menschen auf allen Kontinenten zu tun. Wenn das noch mehr herausgearbeitet wird und das IOC sich mehr auch auf diese Mission konzentriert als nur darauf, wie die Einnahmen gesteigert werden, dann, glaube ich, ist ein wesentlicher Akzent gesetzt.

Und da kann man in den ersten 100 Tagen schon mal ein Signal setzen.

Deutschlandradio Kultur: Herzlichen Dank für das Gespräch.

Sylvia Schenk: Bitteschön, Tschüss.
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