Anthologie

Philosophische Reflexionen

Von Eike Gebhardt · 26.02.2014
"Was ist der Mensch?" - mit dieser zentralen Frage der Philosophie beschäftigt sich die von Georg Brunold herausgegebene Anthologie "Nichts als der Mensch". Brunold hat darin Betrachtungen über das Menschsein aus den letzten 2500 Jahren gesammelt, darunter einige seltene Perlen.
Ein Auswahlband ohne Thema und Schwerpunkte: Über eine solche Anthologie lässt sich inhaltlich wenig sagen, zumal bei dem stupenden Umfang. Auch der Titel: "Nichts als der Mensch" ist nicht eben aussagekräftig - also alles Willkür, Zufall, austauschbar?
Mitnichten. Seit Egon Erwin Kisch, der sogenannte rasende Reporter, vor knapp einem Jahrhundert einen Band mit dem Titel "Klassischer Journalismus" vorstellte, haben auch Publizisten so etwas wie einen Kanon im Kopf, und der schließt natürlich auch Statuszuweisungen an die bevorzugten Autoren ein.
Insofern ist die angeblich rein nach Qualitätskriterien getroffene Auswahl natürlich auch eine Art Selbstporträt des Herausgebers. Und zwar weniger dadurch, dass er sich mit bestimmten Autoren identifiziert, sondern durch die Einstellung, mit der er die Auswahl trifft. Die nämlich zielt durchaus nicht nur auf einen Kanon.
"Allen wirklich interessanten Köpfen ... ist eines gemeinsam: Sie lesen nicht bloß Neuerscheinungen, sondern ein Leben lang immer wieder in allen Epochen der Weltgeschichte herum." Was er in einem Interview über den ersten Band rügte, gilt auch hier - vielleicht noch mehr angesichts der Fluten von Ratgebern, esoterischen und küchenpsychologischen Erfolgsbüchern, die den wahren "Menschen" in uns finden und verwirklichen wollen.
Es ist wohl ein Versuch, dem Provinzialismus der Aktualität zu entrinnen, in den vor allem Journalisten und Zeitgeistschreiber regelmäßig zurückfallen beziehungsweise ihr opportunistisch aufsitzen - als wären zeitlose Themen keine Zeitungszeile wert. Zwar sehen sie sich gern (wie einst Helmut Kohl) als "Generalisten", also als Leute, die den Überblick haben, aber ihre Neugier endet meist im Heute - nur wenigen kann man enzyklopädische Interessen, geschweige Kompetenzen attestieren. Georg Brunold ist so eine Ausnahme.
Abenteuerlust bereits im letzten Band
Schon sein letzter gigantischer Folio-Band "Nichts als die Welt" bezeugte diese Abenteuerlust, in den kulturellen Kellern und Bodenkammern der Weltgeschichte zu stöbern. Dieselbe - im besten Sinne kindliche - Entdeckerfreude hat ihn wohl zum vorliegenden Folgeband beflügelt.
Man darf getrost davon ausgehen, dass sein stupendes Vorwissen jene Kettenreaktion der Neugier antrieb, die hinter jeder Tür einen weiteren Gang mit weiteren Türen vermutet - und findet.
Rund 300 Texte aus zweieinhalb Jahrtausenden stellt er vor, fast doppelt so viele wie im Vorgängerband. "Nichts ist ungeheurer als der Mensch", hatte Sophokles verkündet (Antigone), und angesichts des formidablen Spektrums - wäre die Auswahl systematischer, könnte man von einer psycho-historischen Enzyklopädie sprechen - liest man den Band mit dem Gefühl, auf dem Olymp zu sitzen, von dem man auf das Theater der Lebensformen wie auf einen Rummelplatz schaut. Von Borges zu Mme Curie, von Rudolf Steiner zu Oliver Sacks, von Augustin zu al Ghazali, von Hildegard von Bingen zu Bocaccio schweift man, bleibt bei Brunolds Untertiteln hängen, vergisst dabei das erste oder nächste Ziel.
So lernen Kinder, ganz ohne Tyrannei der Ziele, neugierig, voll unbefangener Entdeckerfreude. "Mir persönlich ist nicht klar, weshalb in den Magazinen unserer Gegenwart so gut wie nie etwas Überraschendes anzutreffen ist. An der Welt kann es nicht liegen", verwunderte sich Brunold süffisant im ersten Band. Gleichsam tänzelnd durch die Menschheitsgeschichte führt Brunold den Leser - mit der spürbar verschmitzten Freude des Entdeckers ...

Georg Brunold: Nichts als der Mensch - Betrachtungen und Spekulationen aus 2500 Jahren
Galiani Verlag, Berlin 2013
789 Seiten, 85 Euro