Ansichtskarten aus aller Welt

Michael Olbert war eigentlich auf dem besten Weg, Manager zu werden, als ihn seine Abenteuerlust überwältigte: Er kündigte seinen Job und brach zu einer zweijährigen Südamerikareise auf. Seitdem treibt es ihn von einem Ende der Welt zum anderen. Er schreibt Reisereportagen für Zeitschriften und Zeitungen. Einige davon sind im Buch „Die Ränder der Welt“ zusammengefasst.
Von den Rändern der Welt – von dort kam ein Stein, den Michael Obert als Kind von seinem Onkel Rudolf genannten Nachbarn geschenkt bekam. Es war ein dunkler poröser Stein, groß wie ein Taubenei, von dem sich bläuliche Splitter abschaben ließen, die salzig schmeckten und offensichtlich Sehnsüchte auslösten: Sehnsüchte nach der Ferne, dem Abenteuer; Sehnsüchte, die immer größer wurden und Mitte der 1990er Jahre den angehenden Manager Michael Obert dazu brachten, seinen Job hinzuschmeißen und zu einer zweijährigen Reise durch Südamerika aufzubrechen.

Diese Reise stillte sein Fernweh nicht – im Gegenteil. Seither reist er herum und schreibt darüber, regelmäßig für die Reiseteile großer Zeitungen und Magazine. 24 seiner Reportagen aus den Jahren 1996 bis 2008 finden sich in seinem neuen Buch, Reisereportagen, „die ursprünglich wenig oder gar nichts miteinander zu tun hatten“, viele aus Geo Saison, der Zeit und der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, verbunden durch kurze Prologe, Situationsbeschreibungen, Anmerkungen und Reflexionen.

„Die Ränder der Welt sind überall“, schreibt er im Vorwort und entlarvt das selbst als triviale Erkenntnis: Denn auf einer Kugel, wie die Erde sie ist, ist jeder Punkt eine Mitte oder jede Gegend ein Rand. Es kommt nur auf den Betrachter an. Aber dennoch hat der Buchtitel seine Berechtigung: Michael Obert liefert Grenzerfahrungen. Er berichtet von den Rändern der bewohnbaren Welt, wenn er durch die Wüste streift oder die Cook Inseln im Pazifik oder die Hochlandbewohner auf Papua Neuguinea besucht.

Er führt den Leser an entlegene Orte – Orte, die nicht im Mittelpunkt des Weltgeschehens stehen, Orte auf den Azoren oder in Afghanistan, in Patagonien oder Bhutan, Mali oder Mauretanien. Und er bietet dabei auch Grenzerfahrungen spiritueller Art, wenn er auf Voodozauberer auf Haiti trifft, oder solche emotionaler und politischer Art, wenn er den absurden Alltag in Kabul im Jahre 2007 beschreibt. Obert kann beobachten, und er kann seine Beobachtungen auch aufschreiben. Seine Landschaftsbeschreibungen sind oft nahezu poetisch.

Trotz aller schönen Beschreibungen bleibt – liest man die Reportagen hintereinander – ein etwas schales Gefühl: Sie lesen sich, wie sich Ansichtskarten ansehen lassen. Sie sind technisch gut bis brillant, sie zeigen die Welt schön und bunt und aufregend und auch die Höhepunkte einer Reise, bleiben aber oft dort, wo es um die Menschen in den Ländern geht, im Klischee stecken. Ein Amerikaner ist dick und schwitzt, während er Unfug redet und wird dafür auch von der Natur bestraft, die Einheimischen sind oft weise, wissend und gütig, mitunter auch gefährlich, aber immer durch einen Satz charakterisierbar.

Und noch zweierlei macht das Lesen des Buches anstrengend: Einmal der dauernde Sprung von Kontinent zu Kontinent. Man hüpft von Mexiko über Island und die Azoren nach Deutschland und weiter nach Mauretanien – und fragt sich nach einer Stunde süffiger Lesezeit, wo man gerade war und wo noch nicht, denn alles verschwimmt zu einem Ländercocktail.

Deshalb sollte man das Buch besser nicht am Stück lesen – pro Woche ein Kapitel erhöht den Reiz der Fremde. Denn dann fällt auch nicht so stark auf, dass sich die meisten Reportagen ähneln: Oberts Reisen sind immer anstrengend, immer wieder ist von Strapazen die Rede – selbst dann, wenn er von der Hängematte in der Lodge nur vier Autostunden entfernt ist.

In nahezu jeder Reportage gibt es eine bedrohliche Situation – und sie passiert, glücklicherweise könnte man als zynischer Leser sagen, immer an der dramaturgisch richtigen Stelle. Natürlich kann man auf der Carretera Austral im chilenischen Patagonien ins Schlingern geraten und von der Straße abkommen, eventuell auch einen Abhang hinunterstürzen, aber schon Mitte der 1990er Jahre wurde diese Fernstraße von Minibussen durchgehend befahren – abenteuerlich war das irgendwie schon, strapaziös nur, wenn man zu lange im Bus saß, gefährlich nur dann, wenn der Fahrer unaufmerksam oder übermüdet war.

Hier zeigt sich ein generelles Problem des Reisejournalismus und des reisenden Journalisten: Wie stellt er die Wirklichkeit dar, was muss er an Klischees bedienen, um die Vorstellungen des Publikums beziehungsweise seiner Redaktion zu befriedigen, die ihn ja mit dem Wunsch nach einer „richtig schönen Abenteuergeschichte“ in die Ferne geschickt hatte – und auch die Spesen bezahlt. So kann man mit Michael Obert die Welt zwar nicht komplett neu entdecken, aber an manchen Punkten erweitert er auf schöne Weise unseren Horizont – unseren Blick auf die Welt und auf das Fremde, auf die Heimat all der anderen, aber eben damit auch auf die eigene.

Rezensiert von Günter Wessel

Michael Obert: Die Ränder der Welt
Patagonien, Timbuktu, Bhutan und Co

Piper Verlag 2008, 278 Seiten, 19,90 Euro