Anselm Grün: Als Mönch bleibe ich auf der Suche

Anselm Grün im Gespräch mit Andreas Malessa · 17.10.2009
Das Buch "Stationen meines Lebens" beinhaltet ein Gespräch mit dem Benediktinerpater Anselm Grün. Der Fernsehjournalisten Freddy Derwahl hat die Biografie "Anselm Grün. Sein Leben" geschrieben. Er selbst versuche beim Schreiben, das Geheimnis Gottes zu ergründen, so der Theologe.
Andreas Malessa: Am 14. Januar 2010 wird ein Mönch 65, der neben dem Papst, dem Dalai Lama und vielleicht noch Bischof Wolfgang Huber zu den bekanntesten Religionsgesichtern, könnte man sagen, der Welt gehört: Benediktinerpater Anselm Grün. 200 Bücher, übersetzt in 33 Sprachen, Gesamtauflage 18 Millionen – und pünktlich zur Buchmesse sind gleich zwei Biografien erschienen: "Stationen meines Lebens" heißt die von Anselm Grün selbst, "Anselm Grün. Sein Leben" heißt schlicht und knapp die des Fernsehjournalisten Freddy Derwahl. Ich habe Anselm Grün vor der Sendung gefragt: Worin unterscheiden die beiden sich?

Anselm Grün: Gut, die Biografie über mich ist von Freddy Derwahl geschrieben, der hat natürlich nicht nur mich befragt, sondern viele Mitbrüder, meine Geschwister, und die ist sicher umfassender. Das andere ist keine Biografie, das ist einfach ein Gespräch, wo ich einiges erzählt habe.

Malessa: Dann fangen wir mal vorne an. Wie beschreiben Sie Ihr Verhältnis zu Ihrer Herkunftsfamilie?

Grün: Ich fühl mich sehr wohl in meiner Herkunftsfamilie. Mit meinen sechs Geschwistern habe ich nach wie vor eine gute Beziehung, bin im Urlaub bei ihnen, hab dieses Jahr mit einer Schwester und einem Bruder eine Woche Wanderung gemacht, mit anderen Schwestern war ich Radfahren, mit einem anderen Bruder auch eine Woche Urlaub, also ich bin da sehr verbunden. Und ich bin dankbar für die Eltern. Natürlich waren wir keine heile Welt, aber mein Vater hat uns Vertrauen vermittelt, Freiheit vermittelt, das Leben anzupacken. Und die Mutter war so aus der Eifel so ne optimistische, sehr realistische Frau. Mein Vater war manchmal ein bisschen zu idealistisch, meine Mutter war sehr realistisch.

Malessa: Wann haben Sie sich entschlossen, Priester zu werden, das erste Mal?

Grün: Ich habe mich schon mit zehn Jahren damit getragen, mit dem Gedanken, Priester zu werden. Ich war fasziniert von der Liturgie und die Erstkommunion hat mich sehr berührt, aber natürlich war das ein infantiler Wunsch.

Malessa: Hat Ihr Vater das ernst genommen?

Grün: Ja, das erste Gespräch war mit meinem Vater, und mein Vater hat dann erzählt, ja, schön, und da gibt's Ordenspriester und gibt's Weltpriester. Und ich hab dann gar nicht gewusst, was der Unterschied ist. Und da hab ich gesagt: Ja, wie viel verdient denn so ein Kaplan? Da hat er gemeint, 100 Mark. Das war mir zu wenig. (Anm. d. Redaktion: Schwer verständlich im Hörprotokoll) Aber das war natürlich infantil.

Malessa: Aber das Geld spielte schon früh eine Rolle. Ihr Vater starb vier Wochen, bevor Sie zum Priester geweiht wurden. Das muss Sie verletzt haben?

Grün: Ich glaube, das war damals schon ein Schock. Ich war in Rom noch, und meine Schwester rief an, ich hab ganz fröhlich geantwortet: Ah, schön, dass du anrufst! Und dann sagte sie mir, der Vater ist gerade gestorben, ganz plötzlich beim Abendessen. Und das war schon ein Schock. Ich bin dann sofort mit dem Zug nach München gefahren, hab unterwegs mir die Predigt ausgedacht, ich war damals Diakon, habe dann auch gepredigt bei der Beerdigung von meinem Vater. Aber das war, ja, war schon ein Schock, aber zugleich Dankbarkeit. Mein Vater hat immer Reden gehalten und hat schon für die Primiz eine Rede vorbereitet ...

Malessa: Für Ihre erste Messe als Priester.

Grün: Ja. Und bei der Primiz, da war er natürlich gegenwärtig.

Malessa: Sie haben in Rom studiert, während in Deutschland die 68er auf der Straße waren. Wie viel von diesem Umbruch kam bei Ihnen an?

Grün: Gut, der 68er-Umbruch war natürlich da auch präsent in Rom, natürlich nicht so wie hier, aber in den Ferien hab ich's natürlich mitbekommen. Der Vorteil war, dass wir international waren, gerade mit Südamerika die Befreiungstheologie, die war da sehr präsent, aber die typischen Studentenunruhen nicht, das war doch ein religiöses, ein kirchliches Getto.

Malessa: Ihre Doktorarbeit beim Karl Rahner, Theologieprofessor, hieß "Erlösung durch das Kreuz". Wenn man die heute liest, ist das kernigere Kost als, ich sag mal, die Seelen-Wellness Ihrer heutigen Bücher.

Grün: Eine Doktorarbeit ist natürlich nie ein Vergnügen zu lesen, aber es war für mich eine wichtige Herausforderung, mir Gedanken zu machen, was ist denn Erlösung, wie kann ich sie verstehen, wie kann ich den Ansatz von Rahner verstehen. Der Rahner hat natürlich auch ne Sprache, die wir heute nicht mehr so verstehen. Aber das Anliegen, die Theologie zu übersetzen in unsere Denkweise, die ist nach wie vor wichtig.

Malessa: Wen wollen Sie denn mehr übersetzen, Karl Rahner, den katholischen Theologen, oder C. G. Jung, den Psychotherapeuten?

Grün: C. G. Jung will ich nicht übersetzen, sondern was Karl Rahner mit der Philosophie versucht hat, dem Dialog mit der Philosophie, das versuche ich einfach im Dialog mit der Psychologie, und da ist C. G. Jung einer der Autoren, die mich da auch sehr geprägt haben. 68 haben wir ja kein Gespür mehr gehabt für Rituale und für Symbole und wir wollten vieles über Bord werfen, und die Auseinandersetzung mit C. G. Jung hat uns wieder Mut gemacht, den Ritualen zu trauen und den Symbolen zu trauen.

Malessa: Sind Sie im Schreiben von, was weiß ich, 200, 300 Büchern inzwischen immer populistischer geworden, müssen Sie es immer einfacher sagen, um noch Auflage zu machen?

Grün: Meine Bücher sind sicher sehr verschieden. Es gibt Bücher, wo ich bestimmte Themen durchdenke und neu entwickle, zum Beispiel so Bücher wie "Was kommt nach dem Tod" oder "Die zehn Gebote" oder "Wege durch die Depression" oder "Verwandle deine Angst". Das sind für mich schon Herausforderungen, auch denkerische Herausforderungen. Und dann gibt's natürlich so Geschenkbücher, die sind natürlich eher populistisch, die sind einfacher. Sicher, in meinem Schreibstil habe ich mich gewandelt. Ich habe früher immer sehr viel zitiert und wollte belegen, dass meine Ansichten nicht nur meine sind, sondern sind Tradition. Irgendwann hat meine Lektorin dann gesagt, sagen Sie das mit eigenen Worten. Und das war für mich schon ein Ansporn: Ich muss nicht mehr alles belegen, sondern ich trau einfach den eigenen Gedanken. Natürlich ist die Gefahr, dass die Verlage noch was wollen und noch was wollen, und da merke ich schon, ich muss mich immer wieder auch abgrenzen.

Malessa: Biografien haben manches Mal andere Titel als nur den Namen des Dargestellten. Mit welchem Attribut, mit welcher Berufsbezeichnung oder Charakteristik würden Sie sich denn beschreiben?

Grün: Für mich ist das Wort Mönch immer noch die Beschreibung, die am besten auf mich zutrifft. Mönch heißt für mich einer, wie Benedikt (Anm. d. Redaktion: Schwer verständlich im Hörprotokoll) sagt, der Gott sucht, der nicht stehen bleibt, sondern immer auf der Suche ist. Und Schreiben ist für mich auch eine Form zu suchen, was ist dieses Geheimnis Gottes, wer bin ich, wer ist Gott, was ist das Leben. Und diese Fragen, die beschäftigen mich und das ist für mich das Zentrale meines Lebens.

Herbert A. Gornik: Anselm Grün war das im Gespräch mit Andreas Malessa. Anselm Grün, "Stationen meines Lebens", ist im Kreuz-Verlag erschienen, hat 180 Seiten und kostet 17,95 Euro. Freddy Derwahl, "Anselm Grün. Sein Leben" ist im Vier-Türme-Verlag erschienen, hat 238 Seiten und kostet 18,90 Euro.