Anschläge in Christchurch

Wider die Attentatspornografie

09:02 Minuten
Schwarze monochrome Fläche
Was darf man zeigen? Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen spricht sich für Bildersparsamkeit aus. © Deutschlandradio
Bernhard Pörksen im Gespräch mit Gesa Ufer  · 15.03.2019
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Der mutmaßliche Attentäter von Christchurch hat seine Taten aufgezeichnet. Die verstörenden Aufnahmen werden derzeit tausendfach im Netz verbreitet - dass sich auch Medien wie die "Bild" daran beteiligen, empfindet der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen als grotesk.
Bei einem mutmaßlich rechtsextremen Terror-Angriff auf zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch sind mindestens 49 Menschen getötet worden. Die Polizei nahm vier Verdächtige fest, darunter auch einen Australier. Im Internet kursieren ein hasserfülltes, rechtsextremes Manifest und ein Video des Täters, der die Tat mit einer Helmkamera live auf Facebook streamte. Diese Video-Aufnahmen sind verstörend - man hört den Mann atmen, er setzt die Waffe an, schaut in seine Sichtachse wie in einem Ego-Shooter-Spiel.
In den sozialen Netzwerken werden die Aufnahmen, die wie aus einem Computerspiel daherkommen, immer wieder von Nutzern hochgeladen. Auch die "Bild"-Zeitung hat diese Aufnahmen online veröffentlicht – neu zusammengeschnitten und sogar mit einer Tonspur unterlegt, wie im Videospiel.
"Wir haben hier eine maximal entsetzliche Tat", sagt Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftler an der Universität Tübingen. Und der Täter plane das mediale Echo mit ein: "Hier hat jemand auf den medialen Effekt hinkalkuliert", sagt Pörksen. Dass solche Videos von einem journalistischen Medium wie der "Bild" präsentiert würden, bezeichnete er als "grotesk".

Eine ethisch-moralische Herausforderung

Es sei dem Täter darum gegangen, Angst und Schrecken zu verbreiten und Aufmerksamkeit zu erzeugen. "Man muss davor warnen, diese Bilder weiterzuverbreiten und auch, sie durch die Kommentierung groß zu machen." Die Gefahr sei, dass wir nun nicht mehr über die entsetzlichen Taten nachdächten und unser Mitgefühl artikulierten, befürchtet Pörksen, sondern dass etwas entstünde, was er als Attentatspornografie bezeichnet, wie es die "Bild"-Zeitung betriebe.
"Das ist eine ethisch-moralische und gleichzeitig professionelle Herausforderung par excellence, vor der man in einem solchen Moment steht." Aus seiner Sicht haben diese Bilder keinerlei Informationswert. "Und das wäre ja die entscheidende Frage: Was wird damit gezeigt, verständlich gemacht, was man nicht verstehen kann, wenn man eine Schlagzeile liest?" Solche Bilder zu verbreiten erscheine ihm wie ein später Triumph terroristischen Denkens - das brächte niemanden weiter und besäße keinen aufklärerischen Wert, kritisiert er.
"Prüfe erst, publiziere später" - solche journalistischen Maximen gelten heute für jeden, der potenziell sendet, im Netz und in den Sozialen Netzwerken. "In diesem Zusammenspeil ist der einzelne User gefordert im Sinne einer Ethik des Teilens", meint Pörksen.
(inh)
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