Anregung zum bewussten Leben

14.02.2012
Der französische Mediziner David Servan-Schreiber hat kurz vor seinem Tod ein kleines, kluges Buch geschrieben. Es ist ein Plädoyer dafür, mit seiner Familie und seinen Freunden im Hier und Jetzt zu leben - und sich auch im Falle einer schlimmen Erkrankung nicht die Kraft rauben zu lassen.
Im Juni 2010 kehrt der Krebs zurück. 19 Jahre nach seiner ersten Diagnose wird bei David Servan-Schreiber erneut ein Hirntumor, ein Glioblastom Stadium IV, gefunden. Diesmal ist es "The Big One", wie er ihn nennt: aggressiver und bösartiger als der, mit dem er 18 Jahre gelebt hatte. Die Überlebenszeit beträgt 15 Monate. David Servan-Schreiber erlebt noch 13 Monate - am 24. Juli 2011 stirbt er. Da hat er drei Operationen, eine Bestrahlung, zwei Versuche mit Impfstoffen und eine Medikamentenbehandlung hinter sich. Und er hat ein neues, letztes Buch geschrieben: "Man sagt sich mehr als einmal Lebewohl."

Ein Buch, das ganz in der Tradition dieses Arztes steht, der als Autor des weltweit erfolgreichen "Antikrebsbuch" Millionen Lesern Mut machte im Umgang mit ihrer Krebserkrankung und ihnen alternative Behandlungsformen aufzeigte. Klug und detailliert zeigte er in diesem Standartwerk, welche wichtige Rolle Ernährung, Ruhe und Gelassenheit, Bewegung und Umwelt in der Vermeidung von Krebs spielen. Wie man sich selbst schützen kann und wie man die Rolle des hilflos Ausgelieferten verlässt. Dafür wurde er berühmt, hielt zahlreiche Vorträge, schrieb Aufsätze und schaffte es so, sein Thema auch in der Onkologie zu etablieren. Auch indem er das " Center for Complementary Medicine" in den USA gründete.

Jetzt zieht er Bilanz. Was bleibt von seinem Kampf gegen die Krankheit, vom Antikrebs-Lebensstil, wenn er unterliegt? Ein Freund von David Servan-Schreiber bringt es am Krankenbett auf den Punkt: "Himbeeren und Brokkoli reichen also doch nicht?" Ein Frage, die alles, für was der Mediziner in den letzten 19 Jahren stand, infrage stellt. Und so setzt er sich Seite für Seite mit ihr auseinander, prüft und hinterfragt. Kämpft ein letztes Mal für seine Thesen. Und sagt: Es gibt kein Wundermittel gegen Krebs, und es gibt auch keine Alternative zur herkömmlichen Krebstherapie, aber "es gibt viele Dinge, die man berechtigterweise parallel zur schulmedizinischen Behandlung tun kann".

Rückhaltlos offen, mitreißend und ehrlich beschreibt er aber auch seine letzten Monate, die verschiedenen Behandlungen und seinen körperlichen Verfall und seine Sorgen. Schildert eindrücklich die Wichtigkeit der Begegnungen mit Freunden und Familie; die Geborgenheit, die er erlebte. Und obwohl das oft traurig ist, steht am Schluss wieder sein Plädoyer, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen, gut mit sich selbst zu sein und auch im Falle einer schlimmen Erkrankung sich nicht die Kraft zum Handeln rauben zu lassen. Sein letztes Buch ist Zeugnis dafür. Erzählt es doch auch eindringlich von den Ängsten, die unheilbar Kranke durchleiden, von ihrer mitunter körperlichen Hilflosigkeit angesichts der schweren Krankheit und was man dennoch tun kann, um nicht ohne Hoffnung zu leben - und zu sterben.

Insofern ist dieses Buch nicht nur das Vermächtnis eines großen Arztes, sondern es ist die Ermahnung an uns alle: mit seiner Familie und seinen Freunden im Hier und Jetzt zu leben. Das klingt pathetischer, als es sich liest. Denn hier hat jemand einfach kurz vor seinem Tod ein kleines, kluges Buch geschrieben.

Besprochen von Kim Kindermann

David Servan-Schreiber: Man sagt sich mehr als einmal Lebewohl
Übersetzt von Ursel Schäfer
Kunstmann, München 2012
150 Seiten, 14,95 Euro