Anregung zum Aufregen

Rezensiert von Hartmut Kühne |
Weltweit sind die Religionen wieder auf dem Vormarsch und üben großen Einfluss aus. Dies belegt Wolfram Weimer in "Credo" mit vielen Argumenten und Beispielen. Der Glaube biete "Kerne kultureller Identität, Sphären der Geborgenheit in der Raserei der Moderne", schreibt der "Cicero"-Chefredakteur pathetisch. Negative Aspekte sieht er nicht.
Die Menschen scheinen Gott vergessen zu haben. Sonntags predigen die Pfarrer vor leeren Bänken. Die beiden großen Kirchen in Deutschland klagen über viele Austritte und in Folge über zurückgehende Steuereinnahmen. In Berlin musste neulich ein Gotteshaus einem Supermarkt Platz machen.

Ausgerechnet in dieser Lage ruft Wolfram Weimer: "Credo". Dieses Glaubensbekenntnis bezieht sich freilich nicht auf Weimers persönliche religiöse Überzeugung, sondern vielmehr um die "Rückkehr der Religion" in unserer Welt, wie es im Untertitel des Buchs heißt. Was treibt den Autor zu dieser Provokation? Weimer ist Chefredakteur des Monatsmagazins "Cicero" und zählt zu den profilierten konservativen Publizisten in Deutschland. Von daher liegt der Verdacht nahe, er wolle nur die kranke Religion gesundbeten und sich mit aller Kraft gegen die Gottlosigkeit seiner Zeit stemmen.

Doch weit gefehlt, denn Weimer hat für seine These eine Reihe von guten Argumenten auf seiner Seite. Zunächst stellt er fest, dass die Religion überall auf der Welt auf dem Vormarsch sei. Damit hat er Recht: Der Islam strotzt vor Kraft und beherrscht das Leben in einer Reihe von Ländern. Selbst in der früher laizistisch orientierten Türkei ist jetzt eine Partei an der Macht, die sich am Islam orientiert. Diese Religion prägt Recht und Politik. Auch in China und Indien kehrt der Glauben zurück.

Europa bildet bei diesem Trend keine Ausnahme, wie Weimer überzeugend nachweist. So hält er interessante Statistiken parat, die zeigen, dass auf unserem Kontinent der christliche Glaube wieder an Rückhalt gewinnt. Der Tod des Papsts im vergangenen Jahr und der Weltjugendtag in Köln vier Monate später haben Millionen Menschen interessiert und bewegt. Ähnliche Bilder werden wir jetzt wieder sehen, wenn Papst Benedikt am Wochenende nach Bayern kommt. "Wie der verlorene Sohn kehrt die säkularisierte Kultur zurück zum Vater", schildert Weimer das Comeback in pathetischen Worten.

Er beschreibt diesen Trend nicht nur, er wertet ihn auch, und zwar uneingeschränkt positiv. Einen Vorteil sieht Weimer darin, dass wir nur in Kenntnis unserer christlichen Wurzeln unsere Kultur verstehen können. Stimmt: Weihnachten ist eben mehr als der Spekulatius aus dem Supermarkt. Außerdem, so Weimer, biete der Glaube "Kerne kultureller Identität, Sphären der Geborgenheit in der Raserei der Moderne." Die Religion biete in Zeiten der Globalisierung "einen Widerpart in Form einer geistigen Heimat".

Wo jedoch liegt die Kehrseite der religiösen Renaissance? Schließlich hat der Glaube in der Geschichte nicht nur Heil, sondern auch viel Unheil mit sich gebracht. Der dreißigjährige Krieg war im Kern ein Religionskonflikt, und in Nordirland legten katholische Terroristen Bomben, die auf Protestanten zielten. Nun nehmen islamistische Attentäter die Religion als Begründung und Vorwand für ihre Verbrechen. Samuel Huntingtons "Kampf der Kulturen" ist in erster Linie ein Konflikt der Religionen.

Weimer erwähnt zwar auch die "Sorge vor einem Niedergang der Freiheitskultur", wenn die Religion an Bedeutung gewinnt, aber letztlich kommen bei ihm diese negativen Wirkungen zu kurz.

Aber was heißt schon zu kurz? Weimers Buch, er selbst nennt es ein Traktat, umfasst knapp 80 Seiten. Er hat eine Streitschrift vorgelegt. In ihr zieht er andere Autoren zum Beleg seiner Thesen nur häppchenweise heran. Jürgen Habermas und Rüdiger Safranski ruft er für seine Sache in den Zeugenstand, allerdings beschäftigt er sich nicht wirklich differenziert mir deren Thesen. Doch Weimers Band will gar nicht umfassend analysieren, sondern anregen und auch aufregen. Das ist ihm blendend gelungen.

Wolfram Weimer: Credo. Warum die Rückkehr der Religion gut ist.
Deutsche Verlagsanstalt , München 2006
79 Seiten, 9,90 Euro
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