Anne Zohra Berrached über "Die Welt wird eine andere sein"

Die Geschichte einer Radikalisierung

Eine junge Frau ist im Profil in einer Abendstimmung zu sehen, im Hintergrund das Profil eines jungen Mannes.
Sie habe das Gefühlsleben einer Frau, die mit einem Attentäter zusammen ist, genau unter die Lupe nehmen wollen, sagt Anne Zohra Berrached über ihren Film. © © Neue Visionen Filmverleih
Moderation: Susanne Burg |
Der Mann wird zum Terroristen und tötet unzählige Menschen. Was aber wusste seine Frau? Hätte sie das Verbrechen verhindern können? Anne Zohra Berracheds Film "Die Welt wird eine andere sein" ist angelehnt an 9/11 und fragt nach Schuld.
Susanne Burg: Anne Zohra Berrached beleuchtet in ihren Filmen gerne große gesellschaftliche Fragen im Kleinen, in der Beziehung eines Paares. In "Zwei Mütter" ging es um ein lesbisches Paar und ihren Kinderwunsch, in "24 Wochen" um die schwierige Entscheidung für oder gegen das Leben eines ungeborenen, behinderten Kindes. Nun, in ihrem neuen Film "Die Welt wird eine andere sein" geht es darum, ob man den geliebten Menschen wirklich kennt – erst recht, wenn Religionen und Traditionen aufeinanderprallen.
Im Zentrum steht die Deutschtürkin Asli, die den Libanesen Saeed Ende der 90er-Jahre kennenlernt. Sie verlieben sich, sind glücklich – bis Saeed immer häufiger weg ist und plötzlich ganz abtaucht. Er plant – irgendwann wird das im Laufe des Filmes klar – etwas Schlimmes. Saeed ist Terrorist. Die Figur von Saeed basiert auf einer realen Person. Und es ist ein bisschen schwierig, über den Film zu reden, ohne über das reale Attentat zu sprechen. Im Gespräch haben Anne Zohra Berrached und ich daher auch immer etwas drum herumgeredet. Aber vielleicht so viel vorab: Es hat mit den Attentaten von 9/11 zu tun.


Bei "24 Wochen" war ja in gewisser Weise auch eine sehr extreme radikale Erfahrung einer Frau im Mittelpunkt des Films, eine Frau, die eine Spätabtreibung durchmacht. Hier ist es auch eine sehr extreme radikale Erfahrung einer Frau: der Mann entgleitet ihr in gewisser Weise. Was interessiert Sie an diesen radikalen weiblichen Perspektiven?
Anne Zohra Berrached: Ich bin eine Frau und ich versuche aus mir heraus zu erzählen, und ehrlich gesagt macht’s mir am meisten Spaß, Frauen in großen Konfliktsituationen zu erzählen und mir anzugucken, wie diese Frauen sich aus diesen Extremsituationen befreien oder auch nicht befreien oder auch das Falsche tun – was sehr interessant ist: das Falsche tun.
Burg: Sie haben für den Film mit einer Materialsammlung begonnen, bei denen terroristische Attentäter und ihre Frauen im Zentrum standen. Was hat Sie daran interessiert?
Berrached: Ich wollte das Gefühlsleben einer Frau, die mit einem großen Verbrecher oder einem Attentäter zusammen ist, genau unter die Lupe nehmen. Ich dachte, dass ich mir erst mal die echte Welt angucke und aus diesem realen Material dann das zur Seite schiebe und meine eigene Geschichte baue.

"Ich mache politische Filme"

Burg: Man kann sich den realen Fall zusammenreimen, er wird nicht explizit gesagt, er ist aber schon orientiert an dem realen Fall. Warum war das Ihnen wichtig? Es wäre ja auch möglich gewesen, das komplett in der Schwebe zu lassen, einfach nur einen Terroristen zu nehmen.
Berrached: Ich würde mich auch gar nicht festlegen. Die Charaktere meiner Hauptfiguren sind aus mehreren realen Personen zusammengefügt, und ich fand es interessant, stark auf einen Fall hinzuarbeiten. Eigentlich wollte ich das Spannungsfeld von einer politischen Polarisierung erzählen und die Zeit vor diesem Urknall, als sich sich die Welt geteilt hat in die arabische Welt und die westliche Welt. Ich mache politische Filme, aber die fühlen sich überhaupt nicht politisch an: Die erzählen über eine Beziehung von Menschen, über Dinge, die wir alle nachvollziehen können, und dahinter steht immer was Politisches oder in dem Fall ein großes historisches Ereignis.
Burg: Sie sagen politische Polarisierung. Andere Filme hätten vielleicht auch noch nach den Gründen gesucht, warum Saeed sich radikalisiert, Sie konzentrieren sich ganz auf die Beziehung zwischen den beiden. Warum haben Sie nicht versucht, das mit zu erzählen?
Berrached: Weil Saeed nicht meine Hauptfigur ist, sondern Asli, die Frau dieses großen Attentäters, und ich wollte wirklich konsequent aus ihren Augen, aus ihrer Perspektive heraus diesen Film erzählen. Und das bedeutet auch, dass wir genau wie Asli nicht wissen, wie er sich radikalisiert. Das ist natürlich spannend, wie kommt es dazu, dass jemand ein großes Verbrechen begeht, jemanden umbringt, zum Mörder wird – aber das beleuchtet der Film gar nicht, sondern er beleuchtet die, die ganz nah bei ihm war: seine Frau, die nicht wusste oder nicht wissen wollte, was mit ihm ist und wie er sich entwickelt.

Burg: Der Film beginnt ja wirklich mit der Annäherung, mit der Entwicklung ihrer Liebesgeschichte. Wann ist eigentlich im Film so der Punkt, wo sie sich fragt oder auch nicht fragt, was da eigentlich los ist?
Berrached: Ich wollte das ganz bewusst in der Schwebe lassen, dass wir auch nicht richtig wissen, wie viel wusste die eigentlich, was genau wusste sie. Es gibt den Moment, wo sie ihn direkt fragt, gehst du in den Krieg, und das ist so der Satz, der am nächsten dahinkommt, dass man denken könnte, okay, sie wusste vielleicht sogar alles. Es gibt auch den Moment, dass sie in das Handy reinguckt von ihm, Nachrichten liest. Was sie da genau gelesen hat, wissen wir nicht. Wie viel sie weiß, wissen wir nicht. Das fand ich spannend, weil ich wirklich bei ihr bleiben wollte, und bei ihr heißt auch, wenn wir über sie erzählen, müssen wir über Verdrängung reden und über den Fakt, dass sie bestimmte Dinge vielleicht mit Absicht verdrängt hat oder auch unbeabsichtigt, weil sie aus einer Familie kommt, wo man vielleicht auch gelernt hat, bestimmte Dinge nicht anzugucken.

Welche Schuld trägt Asli?

Burg: Sie moralisieren nicht, aber die Frage, die sich stellt, ist, inwieweit lädt sie vielleicht auch eine Schuld auf sich, denn hätte sie mehr hingeguckt, dann hätte ja vielleicht was verhindert werden können.
Berrached: Richtig. Diese große Frage muss sich Asli, meine Hauptfigur, stellen am Ende ihrer Liebe. Wenn Saeed tot ist, zum Mörder geworden ist, viele andere umgebracht hat, muss sich sie sich fragen, was hätte sie selber anders tun können, hätte sie die Katastrophe verhindern können. Ich kann sagen, dass mein Film das nicht beantwortet und dass ich keine Filme machen will, die Fragen beantworten, sondern eher Filme machen will, die Fragen ans Publikum stellen. Und dann gibt es die Möglichkeit, dass jeder sich das selbst beantworten kann, und dafür muss ich den Zuschauer in die Situation bringen, dass er mit dieser Hauptfigur stark mitfühlt, stärker als vielleicht bei anderen Filmen. Umso mehr wird der Zuschauer diesen Film mit nach Hause nehmen, von ihm träumen, über ihn nachdenken, und das ist mein Ziel.

Burg: Sie fährt ja dann sogar auch in den Libanon zu der Familie von Saeed, und die wollen wissen, wo er ist. Da hat sie ja auch noch mal den moralischen Konflikt – sagt sie was, sagt sie nichts. In all Ihren Filmen – bei "Zwei Mütter" war es ja wirklich auch ein dokumentarischer Ansatz, weil sie ja außer den Protagonistinnen mit realen Figuren sich selber gespielt haben – aber auch hier in dieser Szene wirkt es so dokumentarisch: Wie haben Sie eigentlich dieses Setting geschaffen, dass dieser große Familienkreis wie gelebtes Leben wirkt?
Eine junge Frau trägt einen jungen Mann auf dem Rücken und breitet ihre Arme aus als würde sie fliegen.
Schauspielerin Canan Kir als Asli mit Schauspieler Roger Azar als Saeed. Kann Liebe wirklich so blind machen?© © Neue Visionen Filmverleih
Berrached: Ja, da habe ich so meine Tricks entwickelt über die Jahre, das habe ich immer mehr verfeinert, dass ich es eben schaffe oder schaffen möchte, dass ich die Realität in die Fiktion hole. Und die Fiktion ist gegen die Realität, der fiktive Film ist eigentlich gegen das Authentische, Echte, Natürliche, und ich als Regisseurin muss da bestimmte Tricks anwenden, bestimmte Dinge tun, dass die Schauspieler oder die Protagonisten vor meiner Kamera so agieren können, dass sie den Moment echt erleben. Und wenn sie den Moment ehrlich und echt erleben, dann überträgt sich das auf den Zuschauer, wir sehen das in der Kamera. Es fängt beim Cast an, also wer spielt das und wie schaff ich's, dass die Person das Beste gibt. Und das Beste ist nicht, dass sie sich selbst von außen anguckt, sondern das Beste ist, dass sie selbst in dem Moment echt und wirklich fühlt.

Burg: Das sind ja zwei relativ unbekannte Schauspieler, wie fiel die Wahl auf die beiden?
Die Regisseurin Anne Zohra Berrached und der libanesische Schauspieler Roger Azar. Ein Mann und eine Frau stehen in sommerlicher Abenkleidung in einem Freiluftkino.
Regisseurin Anne Zohra Berrached hat Schauspieler Roger Azar im Libanon gecastet.© picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Berrached: Wir haben ein großes Casting veranstaltet und haben sehr schnell die Hauptfigur, die Canan Kir gefunden, die war sofort da. Und um den zweiten Hauptdarsteller zu finden, den Saeed, war das schwieriger. Ich musste einen jungen Libanesen finden, und irgendwie habe ich in Berlin, in Deutschland niemanden gefunden. Dann haben wir kurzerhand entschieden, wir müssen den Libanesen im Libanon finden. Und dann habe ich da noch mal 120 Jungs gecastet, und der vorletzte, der den Raum betrat, das war Roger Azar, und es war sofort klar, dass er diese Rolle spielen muss für mich. Es gab nur ein Problem – er konnte kein Deutsch sprechen. Und in meinem Film wird so viel improvisiert – und Improvisation heißt ja, du musst eine Sprache wirklich im Schlaf können –, deswegen musste der Deutsch lernen.
Dann ist er ein Jahr vorher nach Deutschland gekommen, wir haben ihm eine Wohnung besorgt, einen Goethe-Institut-Kurs, und er hat fünfmal die Woche irgendwie fünf Stunden seinen Deutschunterricht bekommen, und er konnte absolut fließend Deutsch sprechen nach dem Jahr, und so konnten wir dann unseren Film drehen. Das Interessante war, in dem Jahr hatte ich meinen Hauptcast, das ist total ungewöhnlich. Normalerweise hast du das ein paar Monate vorher, und ich konnte das Jahr nutzen, um immer wieder zu proben. Wir konnten eigentlich gut üben, dass die zwei ein Paar werden.

"Saeed ist einer der größten Verbrecher des 21. Jahrhunderts"

Burg: Es geht die ganze Zeit wirklich um die Beziehung, um die Familienbeziehung, um die beiden, die Perspektive ist die von Asli, und trotzdem: Inwieweit haben Sie sich gefragt, ob so ein privater Blick auf eine Beziehung, bei dem der eine ein Mörder ist, ein Terrorist, inwieweit das moralisch vielleicht auch schwierig sein könnte, dass man vielleicht indirekt doch um Verständnis wirbt für diese Person. Haben Sie sich diese Frage gestellt?
Berrached: Natürlich, die ganze Zeit. Ich möchte keinen Film machen, wo ich die Schuld von meiner zweiten Hauptfigur Saeed nehme, auf keinen Fall. Ich möchte auf keinen Fall sein Verhalten entschuldigen: Saeed ist einer der größten Verbrecher des 21. Jahrhunderts, und der ist ganz doll schuldig. Wir wollen die Schuld nicht von ihm nehmen. Aber ich halte es für absolut richtig und wichtig, dass ich die Figur, also die Person, den Charakter ernst nehme und dass ich ihn menschlich zeige. Das bedeutet, dass ich ihn immer aus der Perspektive von meiner Hauptfigur sehe – und aus der Perspektive von meiner Hauptfigur war er liebend. Und der hat wirklich geliebt. Und ich glaube, dass jeder Mensch verschiedene Gefühle in sich hat, verschiedene Charaktere auch in sich hat. Und ich habe den Film so inszeniert, dass Saeed Asli wirklich ehrlich und echt geliebt hat und dieses Gefühl in ihm auch absolut wahr war.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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