Anne Teresa De Keersmaeker im Kolumba Museum

Tänzer als Apostel

06:11 Minuten
Ein Mann, in einem blauen Hemd, steht neben einem weiteren Mann, in einem halb transparenten roten Shit, der sich gegen die Wand lehnt.
Fünf Stunden lang gibt es immer neue Szenen, Begegnungen, Choreografien - die Produktion von Anne Teresa De Keersmaeker im Kolumba Museum. © Anne Van Aerschot
Von Stefan Keim · 14.09.2020
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Sie gehört zu den internationalen Stars der Tanzszene: die Belgierin Anne Teresa De Keersmaeker. Im Kunstmuseum des Kölner Erzbistums lässt sie nun 13 Tänzer - offen und assoziativ - das Verhältnis von Körper und Raum untersuchen.
13 Tänzer stehen im Kreis, mitten im großen Raum vor fast leeren Wänden. Erst bewegen sie sich gar nicht, dann zucken die Finger, die Hände, und wenn sie dann alle zusammen einen kleinen, schlurfenden Schritt zur Seite machen, wirkt das fast wie eine Explosion.
Gleich zu Beginn zeigt Anne Teresa De Keersmaeker ihre hohe Kunst der Reduktion. Sie sensibilisiert für die kleinen Ereignisse, bei denen die Choreografie "Dark Red" aber nicht stehen bleibt. In den folgenden fünf Stunden gibt es eine Menge Aktionen, die aber nie eindeutige Geschichten erzählen, sondern offen und assoziativ bleiben.
Porträt der belgische Choreografin Anne Teresa De Keersmaeker im Rahmen einer Presseveranstaltung.
Sie beherrscht die hohe Kunst der Reduktion und sensibilisiert für die kleinen Ereignisse: die Choreografin Anne Teresa De Keersmaeker.© picture alliance / APA / picturedesk.com / Harald Schneider
Die belgische Choreografin gestaltet das erste Kapitel einer Ausstellung in acht Teilen. Jede Woche wird ein anderes Tanzensemble das Kolumba Museum in Köln, das nicht Museum heißen will, beleben. Direktor Stefan Krause erinnert sich an den Ausgangspunkt vor drei, vier Jahren. "Damals haben wir angefangen, dieses Thema einzukreisen, das Verhältnis Körper und Raum."

Der Blick ins Innere und dessen künstlerischer Ausdruck

Krause erklärt, sie hätten sich dabei gefragt, wie spezifisch das werden könnte. Statt den Blick von außen auf den Körper zu führen, wie man seit der Antike Körperbilder realisiert, sei es um die Frage gegangen, wie wir uns als körperliche Wesen empfinden. Und welche Wege die Kunst findet, dem Ausdruck zu geben, so Krause.
Kolumba hat eine riesige Sammlung, die nun fast komplett im Lager bleibt. Im großen Raum, den die Tänzer zu Beginn besetzen, hängt ein einziges Kruzifix an der Wand. Es stammt aus dem 12. Jahrhundert und zeigt einen gedrungenen Jesus mit seltsam langen Beinen, eine surreale, irritierende Erscheinung. Auch in den anderen Räumen gibt es meist nur ein Kunstwerk zu sehen, in zweien sogar überhaupt keins.
"Wenn man so eine großartige Künstlerin einlädt", so Krause, "dann ist man als Kuratorenteam gut beraten, ihr Raum zu geben und sich auch überraschen zu lassen, wie sie mit Werken der Sammlung umgeht. Sie werden im weiteren Verlauf der Ausstellung, die sich von Woche zu Woche weiter vervollständigen wird, sehen, dass es tatsächlich Setzungen gibt, die bleiben." Weil sich die verschiedenen Choreografinnen und Choreografen auf ihre Weise mit den gleichen Kunstwerken beschäftigen. Oder vorhandene wegräumen und andere aufhängen oder aufstellen lassen.
Getanzt wird im zweiten Obergeschoss. Im ersten gibt es Zeichnungen von Anne Teresa De Keersmaeker zu sehen, Notizen zu ihren Choreografien mit Sternen und geometrischen Figuren, vor allem aber dynamischen Pfeilen. Sie werden bleiben, auch wenn andere die obere Etage bespielen. Im Vorraum zu diesen Zeichnungen steht eine Statue mit drei Gesichtern, eine Verkörperung der Dreifaltigkeit.
Ist Anne Teresa De Keersmaeker ein religiöser Mensch? Mit Religion als organisierter Struktur in einer Gesellschaft, sagt die Choreografin, könne sie nichts anfangen. Aber mit fernöstlicher Spiritualität.
Sie liebt die Kolumba als Gebäude, die Architektur von Peter Zumthor. Das Minimale zu maximalisieren – diese Beschreibung passt zu Peter Zumthors Architektur wie zur Tanzsprache Anne Teresa De Keersmaekers. Und auch zur Musik des italienischen Komponisten Salvatore Sciarrino, dessen Stück "L´Opera per Flauto" sie ausgewählt hat. Eine Flötistin und ein Flötist spielen in einem der leeren Räume, die Klänge dringen durch die gesamte Installation.

Zwölf Apostelbilder von El Greco

In einem Raum liegen Fotografien der zwölf Apostel des manieristischen Malers El Greco. Darauf Tücher in den Farben der Umhänge und Kleider der Apostel auf den Bildern. Es liegt also nahe, dass Anne Teresa De Keersmaeker ihre 13 Tänzer als Apostel begreift. Das war allerdings keine Vorgabe des Museums, betont Stefan Krause.
"Dass Anne Teresa De Keersmaeker sich hier in Kolumba auf die zwölf Apostelbilder von El Greco bezieht, ist eine schöne Randerscheinung, dass das gerade in diesem Haus stattfindet. Aber es ist sicherlich nicht das Kernanliegen von Anfang an gewesen, dass es unbedingt eine religiöse Thematik oder eine Ikonografie, die man kennt, zum Ausgangspunkt hat."
Fünf Stunden lang gibt es immer neue Szenen, Begegnungen, Choreografien. Es sind starke Ensembles dabei. Einmal werden alle 13 Tänzer zu einem Schwarm, der mit großer Energie durch die Ausstellung fegt. Dann nähern sich zwei Männer zu einem meditativen Duett. Oder einer geht einfach durch die Räume und schaut aus den riesigen Fenstern, die von der Decke bis zum Fußboden reichen.
Sein Blick geht auf den Dom, die Dauerbaustelle des Opernhauses oder die Straßen Kölns. Seine Präsenz verändert auf stille Art die Perspektive auf das Leben. Jede Besucherin und jeder Besucher wird in dieser Performance etwas anderes erleben. Viele sagten beim Hinausgehen, dass sie bald wiederkommen.

Bis Sonntag zeigt das Kolumba Museum Köln jeweils von 12 bis 17 Uhr eine Arbeit von Anne Teresa De Keersmaeker und ihrem Tanzensemble. "Dark Red" ist der Start der Serie "Das kleine Spiel zwischen dem Ich und dem Mir", in der es um Kunst und Choreografie geht.

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