Annäherungsversuche an einen Begriff
Auf die Idee muss man erst einmal kommen. Dem amerikanischen Autor Harry G. Frankfurt hat es keine Ruhe gelassen. Ständig mit dem Begriff Bullshit konfrontiert zu werden, das kann wirklich nerven. Und es hat ihn umgetrieben.
"Zu den auffälligsten Merkmalen unserer Kultur gehört die Tatsache, dass es so viel Bullshit gibt. Jeder kennt Bullshit, jeder trägt sein Scherflein dazu bei. Doch neigen wir dazu, uns damit abzufinden. Die meisten Menschen meinen, sie seien in der Lage, Bullshit zu erkennen und sich vor ihm zu schütze, weshalb dieses Phänomen bislang ... nur unzulänglich erforscht worden ist."
Und so macht sich Frankfurt daran, diesen Begriff, wie er sagt, vorsichtig sondierend philosophisch zu analysieren. Nun würde im Prinzip der Blick in ein Wörterbuch reichen, um eine allgemein gültige Erläuterung dieses Begriffes zu finden. Wer es besonders genau wissen wollte, der könnte gar zum Oxford English Dictionary greifen, doch, so Frankfurt, oft genug und auch bei diesem Nachschlagewerk sei zu viel Willkür im Spiel. Selbst latente Synonyme wie etwa Humbug bedürften erneut einer Interpretation, oder noch besser etymylogischen oder linguistischen Analyse.
"Einerseits wird der Ausdruck Bullshit recht locker und ohne eindeutige buchstäbliche Bedeutung als unspezifisches Schimpfwort verwendet. Andererseits ist das Phänomen selbst so ausgedehnt und amorph, dass jede auf Trennschärfe und Klarheit abzielende Analyse den Begriff als unausweichlich zu eng fasst."
Und so macht sich der Professor für Philosophie an der Universität von Princeton daran, Anmerkungen niederzuschreiben, die selbst nach seiner eigenen Aussage wahrscheinlich auch kaum zu einer endgültigen Klärung führen dürften. Mit anderen Worten: Der geneigte Leser möge doch schon einmal von vorneherein bitte sehr zur Kenntnis nehmen, dass es den Versuch wert aber ein Scheitern nicht auszuschließen sei. Nicht unklug, irgendwie, denn
"… schließlich sind in Bezug auf Bullshit selbst die elementarsten Fragen bislang nicht nur unbeantwortet geblieben, sondern nicht einmal gestellt worden."
Dass dies Buch kein verunglückter Versuch geblieben ist, Antworten auf nie gestellte Fragen zu geben, liegt gewiss an der teilweise amüsanten, teilweise süffisanten Schreibweise Frakfurts, der in schönster Tradition angloamerikanischer Autoren es versteht, den Leser neugierig zu halten und mit den verschiedensten Interpretation auch und gerade aus der Mytholgie und der Literaturgeschichte zu verwöhnen.
Über Synonyme zum artverwandten Begriff Humbug wie Gewäsch, Phrasendrescherei, Gefasel, Geschwätz, Hochstapelei nähert sich der Autor dem Bullshit, gibt allerdings selbst zu, dass dies nur eine unzulängliche Interpretation sei.
Besonders spannend sei der Abgrenzungsversuch zum Begriff Lüge. Denn Frankfurt behauptet, Bullshit sei niemals Lüge, sondern grenze an Wahrheit, ohne diese tatsächlich zu erreichen, ja sogar wissentlich mit Wahrheit zu manipulieren.
"Die Produktion von Bullshit wird also dann angeregt, wenn ein Mensch in die Lage gerät oder gar verpflichtet ist, über ein Thema zu sprechen, das seinen Wissenstand hinsichtlich der für das Thema relevante Tatsachen übersteigt."
Und noch dramatischer wird das, so Frankfurt "bullshitting" wenn der Urheber in wissentlicher Verkennung oder Weglassung von Tatsachen Meinungen von sich gibt. Ein wie ich finde, fabelhafter Warnschuss in Richtung publizistischer Kommentatoren, die der allfälligen Mode einer gekonnten Weglassung frönen.
"Das Fehlen jedes signifikanten Zusammenhangs zwischen den Meinungen eines Menschen und seiner Kenntnis von der Realität wird natürlich noch gravierender bei einem Menschen, der es für seine Pflicht als moralisch denkendes Wesen hält, Ereignisse und Zustände in allen Teilen der Erde zu beurteilen."
Und so geht Frankfurt, wenn auch nur sehr dezent, durchaus mit verbalen Heilsbringern oder Alleswissern gnadenlos ins Gericht, die sich entweder einem wenig differenziertem Mainstream von Meinungen oder Agitationen anschließen oder selbigen zu verstärken versuchen. Oft genug ohne auch nur einen blassen Schimmer von Ahnung zum Objekt zu haben. Konkret: Gerade politische Themen sind in diesem Zusammenhang besonders geeignet zum "bullshitting". Frankfurt hat aber auch andere Berufsgruppen der Manipulationsindustrie ausgemacht:
"Auf dem Gebiet der Werbung und der Public relations und dem heutzutage damit verbundenen Gebiet der Politik finden sich zahlreiche eindeutige Fälle von Bullshit, die als unbestreitbare und sogar klassische Beispiele dieses Genres gelten können. Und auf diesen Gebieten gibt es durchaus ganz hervorragenden Handwerker, die mithilfe fortgeschrittener und anspruchsvoller Marktforschungstechniken, Meinungsumfragen, Psychotests und dergleichen unermüdlich daran arbeiten, jedes Wort und jedes Bild genau 'in Szene' zu setzen."
Ein Schuft, der Böses dabei denkt, etwa an die grandiosen Serienirrtümer der so genannten Wirtschaftsweisen, die sich notorisch irren und ihre Prognosen stets der Wirklichkeit nachträglich anpassen müssen; oder der Wahldemoskopen, die zwar mit ihrem, pardon bullshit, politische Stimmungen beeinflussen, doch oft genug ziemlich danebenliegen; oder jene Handlungsreisenden in Sachen Zeitgeist, die so oft und altklug der Gesellschaft weiszumachen versuchen, in welche Befindlichkeit sie sich gerade zu entwickeln hat.
Frankfurt zieht dabei Wittgenstein zu Rate, der sich über die Aussage einer Frau, sie fühle sich gerade hundeelend, geärgert hat. Der Philosoph konstatiert banal, sie könne gar nicht wissen, wie sich Hund in seinem Elend fühle. Was sie sagt, ist nach Frankfurt also? Richtig: Bullshit.
Doch lassen wir es bei diesen Beispielen, derer Frankfurt in seinem eher Essay zu nennenden Büchlein, aufführt, um letztlich das ungute Gefühl zu hinterlassen: So ganz genau wisse auch er nicht, was bullshit ist. Doch die vielfältigen Annäherungsversuche an diesen Begriff sind allemal das Lesen und Nachvollziehen wert. Auch wenn ein kritischer Leser den Schluss ziehen mag: Unsere Welt, nichts als bullshit.
"In Wirklichkeit sind wir Menschen schwer zu packende Wesen. Unsere Natur ist notorisch instabiler und weniger eingewurzelt als die Natur anderer Dinge. Und angesichts dieser Tatsache ist Aufrichtigkeit selbst bullshit."
Was zurückbleibt ist aufgeklärte Ratlosigkeit über etwas, was wir schon immer nicht wissen wollten. Aber auch das könnte schon wieder nur bei einem landen: Bullshit.
Harry G. Frankfurt: Bullshit
Aus dem Amerikanischen von Michael Bischoff
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006
Und so macht sich Frankfurt daran, diesen Begriff, wie er sagt, vorsichtig sondierend philosophisch zu analysieren. Nun würde im Prinzip der Blick in ein Wörterbuch reichen, um eine allgemein gültige Erläuterung dieses Begriffes zu finden. Wer es besonders genau wissen wollte, der könnte gar zum Oxford English Dictionary greifen, doch, so Frankfurt, oft genug und auch bei diesem Nachschlagewerk sei zu viel Willkür im Spiel. Selbst latente Synonyme wie etwa Humbug bedürften erneut einer Interpretation, oder noch besser etymylogischen oder linguistischen Analyse.
"Einerseits wird der Ausdruck Bullshit recht locker und ohne eindeutige buchstäbliche Bedeutung als unspezifisches Schimpfwort verwendet. Andererseits ist das Phänomen selbst so ausgedehnt und amorph, dass jede auf Trennschärfe und Klarheit abzielende Analyse den Begriff als unausweichlich zu eng fasst."
Und so macht sich der Professor für Philosophie an der Universität von Princeton daran, Anmerkungen niederzuschreiben, die selbst nach seiner eigenen Aussage wahrscheinlich auch kaum zu einer endgültigen Klärung führen dürften. Mit anderen Worten: Der geneigte Leser möge doch schon einmal von vorneherein bitte sehr zur Kenntnis nehmen, dass es den Versuch wert aber ein Scheitern nicht auszuschließen sei. Nicht unklug, irgendwie, denn
"… schließlich sind in Bezug auf Bullshit selbst die elementarsten Fragen bislang nicht nur unbeantwortet geblieben, sondern nicht einmal gestellt worden."
Dass dies Buch kein verunglückter Versuch geblieben ist, Antworten auf nie gestellte Fragen zu geben, liegt gewiss an der teilweise amüsanten, teilweise süffisanten Schreibweise Frakfurts, der in schönster Tradition angloamerikanischer Autoren es versteht, den Leser neugierig zu halten und mit den verschiedensten Interpretation auch und gerade aus der Mytholgie und der Literaturgeschichte zu verwöhnen.
Über Synonyme zum artverwandten Begriff Humbug wie Gewäsch, Phrasendrescherei, Gefasel, Geschwätz, Hochstapelei nähert sich der Autor dem Bullshit, gibt allerdings selbst zu, dass dies nur eine unzulängliche Interpretation sei.
Besonders spannend sei der Abgrenzungsversuch zum Begriff Lüge. Denn Frankfurt behauptet, Bullshit sei niemals Lüge, sondern grenze an Wahrheit, ohne diese tatsächlich zu erreichen, ja sogar wissentlich mit Wahrheit zu manipulieren.
"Die Produktion von Bullshit wird also dann angeregt, wenn ein Mensch in die Lage gerät oder gar verpflichtet ist, über ein Thema zu sprechen, das seinen Wissenstand hinsichtlich der für das Thema relevante Tatsachen übersteigt."
Und noch dramatischer wird das, so Frankfurt "bullshitting" wenn der Urheber in wissentlicher Verkennung oder Weglassung von Tatsachen Meinungen von sich gibt. Ein wie ich finde, fabelhafter Warnschuss in Richtung publizistischer Kommentatoren, die der allfälligen Mode einer gekonnten Weglassung frönen.
"Das Fehlen jedes signifikanten Zusammenhangs zwischen den Meinungen eines Menschen und seiner Kenntnis von der Realität wird natürlich noch gravierender bei einem Menschen, der es für seine Pflicht als moralisch denkendes Wesen hält, Ereignisse und Zustände in allen Teilen der Erde zu beurteilen."
Und so geht Frankfurt, wenn auch nur sehr dezent, durchaus mit verbalen Heilsbringern oder Alleswissern gnadenlos ins Gericht, die sich entweder einem wenig differenziertem Mainstream von Meinungen oder Agitationen anschließen oder selbigen zu verstärken versuchen. Oft genug ohne auch nur einen blassen Schimmer von Ahnung zum Objekt zu haben. Konkret: Gerade politische Themen sind in diesem Zusammenhang besonders geeignet zum "bullshitting". Frankfurt hat aber auch andere Berufsgruppen der Manipulationsindustrie ausgemacht:
"Auf dem Gebiet der Werbung und der Public relations und dem heutzutage damit verbundenen Gebiet der Politik finden sich zahlreiche eindeutige Fälle von Bullshit, die als unbestreitbare und sogar klassische Beispiele dieses Genres gelten können. Und auf diesen Gebieten gibt es durchaus ganz hervorragenden Handwerker, die mithilfe fortgeschrittener und anspruchsvoller Marktforschungstechniken, Meinungsumfragen, Psychotests und dergleichen unermüdlich daran arbeiten, jedes Wort und jedes Bild genau 'in Szene' zu setzen."
Ein Schuft, der Böses dabei denkt, etwa an die grandiosen Serienirrtümer der so genannten Wirtschaftsweisen, die sich notorisch irren und ihre Prognosen stets der Wirklichkeit nachträglich anpassen müssen; oder der Wahldemoskopen, die zwar mit ihrem, pardon bullshit, politische Stimmungen beeinflussen, doch oft genug ziemlich danebenliegen; oder jene Handlungsreisenden in Sachen Zeitgeist, die so oft und altklug der Gesellschaft weiszumachen versuchen, in welche Befindlichkeit sie sich gerade zu entwickeln hat.
Frankfurt zieht dabei Wittgenstein zu Rate, der sich über die Aussage einer Frau, sie fühle sich gerade hundeelend, geärgert hat. Der Philosoph konstatiert banal, sie könne gar nicht wissen, wie sich Hund in seinem Elend fühle. Was sie sagt, ist nach Frankfurt also? Richtig: Bullshit.
Doch lassen wir es bei diesen Beispielen, derer Frankfurt in seinem eher Essay zu nennenden Büchlein, aufführt, um letztlich das ungute Gefühl zu hinterlassen: So ganz genau wisse auch er nicht, was bullshit ist. Doch die vielfältigen Annäherungsversuche an diesen Begriff sind allemal das Lesen und Nachvollziehen wert. Auch wenn ein kritischer Leser den Schluss ziehen mag: Unsere Welt, nichts als bullshit.
"In Wirklichkeit sind wir Menschen schwer zu packende Wesen. Unsere Natur ist notorisch instabiler und weniger eingewurzelt als die Natur anderer Dinge. Und angesichts dieser Tatsache ist Aufrichtigkeit selbst bullshit."
Was zurückbleibt ist aufgeklärte Ratlosigkeit über etwas, was wir schon immer nicht wissen wollten. Aber auch das könnte schon wieder nur bei einem landen: Bullshit.
Harry G. Frankfurt: Bullshit
Aus dem Amerikanischen von Michael Bischoff
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006