Annäherung zwischen DDR und Israel 1990

Als Wladimir Kaminer nach Berlin kam

05:52 Minuten
Der Schriftsteller Wladimir Kaminer 2003 im "Cafe Burger" in Berlin.
Der Schriftsteller Wladimir Kaminer 2003 im "Cafe Burger" in Berlin. © dpa / Jochen Eckel
Von Julia Smilga · 07.10.2020
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Kurz vor der deutschen Einheit strebte die neue DDR-Regierung eine Wiedergutmachung gegenüber Israel an. Eine solche wurde zuvor vom System Honecker abgelehnt. Statt Zahlungen bot die DDR-Regierung an, verfolgte Juden aus der Sowjetunion aufzunehmen.
"Im Sommer 1990 breitete sich in Moskau ein Gerücht aus: Honecker nimmt Juden aus der Sowjetunion auf, als eine Art Wiedergutmachung dafür, dass die DDR sich nie an den deutschen Zahlungen für Israel beteiligte. Es sprach sich schnell herum, alle wussten Bescheid, außer Honecker vielleicht."
So lakonisch beginnt der russisch-jüdische Schriftsteller Wladimir Kaminer seine Erzählung "Russendisko". Kaminer weiß natürlich, dass es nicht Erich Honecker war, sondern die letzte Regierung der DDR, die sich im Sommer 1990 plötzlich dafür aussprach, verfolgte Juden aufzunehmen.
"Die Position der SED-Regierung war ja bis dahin gewesen, dass die DDR als antifaschistischer Staat für die Verbrechen des Faschismus eben keine Verantwortung trug", erläutert Jannis Panagiotidis, Migrationsforscher an der Universität Wien. "Die demokratisch gewählte Regierung der DDR wollte das eben ändern, wollte dezidiert Verantwortung übernehmen für die Verbrechen der deutschen Nation während der NS-Zeit und bot aus diesem Grund verfolgten Juden die Aufnahme in der DDR an."

"Pogromstimmung" in der Sowjetunion

Almuth Berger, die erste und letzte Ausländerbeauftragte der DDR, bezeichnet diese Aufnahmebereitschaft als einen wichtigen Teil der neuen Juden- und Israelfreundlichen Politik der DDR.
"Es gab vorher auch schon in dem Zusammenhang Bemühungen, etwa die, die gegenseitige Anerkennung zu betreiben. Das ist nicht mehr vollzogen worden innerhalb der DDR, weil der Staat Israel eine Anerkennung auch immer von Wiedergutmachungsforderungen abhängig gemacht hat. Und dazu war die DDR dann gar nicht mehr in der Lage." Statt finanzieller Wiedergutmachung also: die Aufnahme verfolgter Juden. Gemeint waren Juden aus der Sowjetunion.

"Es gab durchaus Beobachtungen von den neu entstandenen Bürgerbewegungen, von dem jüdischen Kulturverein, den es inzwischen gab, dass Juden in der Sowjetunion diskriminiert wurden, dass sie unter Pogromstimmungen, wie sie dann oft gesagt haben, litten und dass viele von ihnen das Land verlassen wollten."
Almuth Berger, ehemalige Ausländerbeauftragte der DDR
Als Ausländerbeauftragte der DDR sorgte Almuth Berger 1990 dafür, dass Juden aus der Sowjetunion unkompliziert Aufnahme fanden.© picture alliance / dpa / Tagesspiegel / Kitty Kleist-Heinrich

Einreisen mit dem Touristenvisum

Die Perestrojka-Zeit unter Gorbatschow war geprägt von wirtschaftlichen Erschütterungen und wachsendem Antisemitismus. Das drängte Juden aus dem Land. Migrationsforscher Jannis Panagiotidis: "Dieser Migrationsdruck hatte ganz viel damit zu tun, dass in der zerfallenden UdSSR der Nationalismus auf dem Vormarsch war, und eben auch in vielen Fällen der Antisemitismus. Das heißt, jüdische Menschen hatten Angst vor Verfolgung, wurden bedroht, wurden bespuckt und suchten deswegen auch einen Ausweg aus der Sowjetunion. Auf diese latente, bis eben auch in vielen Fällen konkrete Bedrohungssituation reagierte die DDR-Regierung an dieser Stelle."

Almuth Berger hat die unkomplizierte Aufnahmeregelung für den DDR-Ministerrat mit entworfen. Die Asylsuchenden konnten mit Touristenvisa in die DDR einreisen. Sie mussten ihren Pass oder eine Geburtsurkunde vorlegen, denn in diesen Dokumenten war nach sowjetischem Recht Nationalität "Jude" vermerkt. Kaum war die Aufnahmeerklärung des DDR Parlaments am 12. April 1990 verkündet worden, überschlugen sich die Ereignisse, erinnert sich Almuth Berger.
"Ich war erst ganz wenige Tage in meinem neuen Amt als Ausländerbeauftragte, da kam ein Mitarbeiter des Verbandes jüdischer Gemeinden und war sehr aufgeregt und sagte: Wir müssen unbedingt etwas unternehmen, morgen stehen 100 Juden aus der Sowjetunion bei mir vor der Tür."

Hilfe bei der Wohnungs- und Arbeitssuche

Die jüdischen Asylsuchenden bekamen Hilfe bei der Wohnungs- und Arbeitssuche. In den wenigen Monaten bis zur Wiedervereinigung kamen 2650 sowjetische Juden nach Ost-Berlin. Danach übernahm die Bundesrepublik Deutschland die Verwaltung dieser einmaligen jüdischen Einwanderung. Rund 230.000 Juden aus der Ex- Sowjetunion sind bis heute nach Deutschland eingewandert.
"Ich bin sehr froh und auch ein bisschen stolz darauf, dass wir das damals geschafft haben. Ich weiß, dass vieles nicht befriedigend ist, dass vieles auch natürlich zu Schwierigkeiten geführt hat, und es innerhalb der Gemeinden oft Probleme gegeben hat. Aber insgesamt denke ich, jüdisches Leben ist seitdem wesentlich stärker wahrnehmbar und in den neuen Bundesländern, in den östlichen Bundesländern überhaupt erst richtig wahrnehmbar geworden. Sehr traurig macht mich, wenn ich heute Antisemitismus erlebe und auch Dinge, die einzelnen jüdischen Menschen bei uns geschehen. Das finde ich eine ganz schlimme Sache, der wir mit aller Kraft wirklich entgegenstehen müssen."

In Israel sprachen sich beim Thema deutsche Einheit Anfang 1990 etwa ein Drittel der Befragten dafür aus, einem Drittel war es gleichgültig und das restliche Drittel war ausdrücklich dagegen.

Der Historiker Moshe Zimmermann sprach sich damals, 1990, für eine gelassene Haltung gegenüber der deutschen Einheit aus. Heute sieht er das anders:

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